Laschet: "Wir müssen strategischer werden"
19. Mai 2021Armin Laschet sieht einen "Epochenwechsel". Das internationale Machtgefüge verändere sich rasant: China steige immer mehr zur Großmacht auf; viele Staaten missachteten das Völkerrecht; auch in westlichen Demokratien gebe es populistische Strömungen. "Der Büffelmann im Kapitol ist zu einem Symbol für die demokratieverachtenden Bewegungen in der freien Welt geworden", sagte Laschet im Hinblick auf die Trump-nahen Erstürmer des US-Parlamentsgebäudes Anfang des Jahres. Die Corona-Pandemie habe eine Krise weit über die Gesundheitskrise ausgelöst. Schließlich müsse der Kampf gegen den Klimawandel zu einer Klimaaußenpolitik werden.
Deutschland sieht der CDU-Chef und Kanzlerkandidat unzureichend auf die Herausforderungen vorbereitet. Dem Land fehlt in seinen Augen bereits der außenpolitische Gestaltungswille. Nötig sei außerdem ein Modernisierungsschub im Inneren, "um außenpolitisch handlungsfähig zu bleiben". Und es fehle Weitsicht und Planung: "Wir müssen strategischer werden." Es gelte, nicht nur auf Krisen zu reagieren, sondern vorausschauend zu agieren.
Nationaler Sicherheitsrat
Als ein entscheidendes Instrument dafür würde Laschet den bestehenden Bundessicherheitsrat zu einem nationalen Sicherheitsrat weiterentwickeln. Dieser müsse seinen Platz im Bundeskanzleramt haben und alle sicherheitsrelevanten Ressorts einschließlich der Nachrichtendienste zusammenbringen. Der Rat solle "im ersten Jahr der Legislaturperiode" eine umfassende "nationale Sicherheitsstrategie" für die gesamte Bandbreite der Außen-, Sicherheits- und Handelspolitik, der Entwicklungszusammenarbeit und der Klimapolitik entwickeln, die dann im Deutschen Bundestag erörtert werden solle.
Mehr strategisches Denken und Handeln erwartet Laschet auch von der EU: "Europa muss weltpolitikfähig werden." Dazu sei zunächst eine neue Geschlossenheit notwendig. In außen- und sicherheitspolitischen Fragen rät er zu mehr Mehrheitsentscheidungen statt der Einspruchsmöglichkeit nur eines einzigen Mitgliedsstaates. Wo Geschlossenheit fehle, sollten diejenigen, die vorangehen wollten, auch die Möglichkeit dazu haben. Laschet nennt das "ein außenpolitisches Kerneuropa". Europa brauche außerdem eine Bündelung seiner militärischen Fähigkeiten, um seine Sicherheitsinteressen besser durchsetzen zu können.
Transatlantische Renaissance?
Dem Kanzlerkandidaten gefällt der Ausdruck "like-minded democracies" des amerikanischen Präsidenten Joe Biden. In einer transatlantischen Renaissance sollten die Partner, "die in ihrem Demokratie- und Freiheitsverständnis gemeinsame Werte teilen, auch wieder gemeinsam in der Welt handeln". Als Beispiel nannte er eine gemeinsame Klimaaußenpolitik, für die John Kerry stehe, der Klimabeauftragte der US-Regierung.
Kritik übte Laschet an Russland. Die "regelwidrige Verschiebung von Grenzen" sei "nicht akzeptabel", sagte er mit Blick auf die Annexion der Krim. Deshalb seien die Sanktionen der EU gegen Russland "berechtigt". Trotzdem hält er an der Gasleitung Nord Stream 2 von Russland nach Deutschland fest.
Seitenhiebe auf Baerbock
Dass Laschet auch schon als Wahlkämpfer auftrat, merkte man an einigen Seitenhieben auf seine - nach Umfragen - Hauptkonkurrentin für das Kanzleramt, Annalena Baerbock von den Grünen. Laschet sagte, Deutschlands Verbündete wollten wissen, wer von den Anwärtern auf das Kanzleramt "die Sicherheitsinteressen unserer Verbündeten ernst nimmt" und wer bereit sei, die von der NATO vereinbarten zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für Verteidigung auszugeben. Die Grünen-Spitzenkandidatin Baerbock hatte kürzlich eine Kopplung der Rüstungsausgaben an das Bruttoinlandsprodukt als "absurd" bezeichnet. Aus der SPD bekam sie dafür Beifall.
Laschet will trotz Klimaschutz eine deutsche und europäische Stahl-, Chemie- und Autoindustrie erhalten. Diese Industrien müssten klimaneutral umgestaltet werden. Eine Abwanderung in umweltpolitisch weniger strenge Länder diene aber nicht dem weltweiten Klimaschutz. Die klimarelevanten Aspekte von Herstellungsprozessen sollten in internationalen Handelsabkommen berücksichtigt werden.
"Mein Land first" funktioniert nicht
Um effektiv handeln zu können, erklärte er, brauche man Multilateralismus und starke internationale Institutionen. Die Vereinten Nationen müssten reformiert und gestärkt werden. Corona habe gezeigt, "dass der Ansatz 'mein Land first' falsch ist, wenn es um globale Herausforderungen geht."
Laschet sagte, die Entwicklungen am südlichen und östlichen Rand des Mittelmeers "berühren immer auch europäische Sicherheit". Daher lohnten alle Bemühungen "zur Stabilisierung und zur Ermutigung von Demokratie gerade in den Ländern rund um das Mittelmeer". Im Zusammenhang mit dem Nahostkonflikt wiederholte Laschet Bundeskanzlerin Angela Merkels Satz, es sei "Teil unserer Staatsräson, für die Sicherheit des Staates Israel einzutreten". Gemeinsam mit den anderen Europäern wolle Deutschland auch seinen Beitrag zu einem Friedensprozess in der gesamten Region leisten.
Das Fazit von Laschets Grundsatzrede: In diesem Epochenwechsel komme es darauf an, "mit den Grundkonstanten unserer Außenpolitik seit Staatsgründung - Westbindung, europäische Integration, Beitrag zur Verbesserung der Situation in der Welt - einen neuen Ansatz zu finden, der auf neue Herausforderungen antwortet."