Ende einer Ära in Argentinien
25. Oktober 2015Die Argentinier wählen einen neuen Präsidenten. Amtsinhaberin Cristina Kirchner darf nach zwei aufeinanderfolgenden Amtszeiten nicht mehr antreten. Umfragen zufolge liegt der Kandidat von Kirchners linksgerichteter Regierungskoalition "Front für den Sieg" (Frente para la Victoria), Daniel Scioli, mit rund 40 Prozent vorne. Ihm folgt der liberal-konservativen Mauricio Macri, der demnach bei rund 30 Prozent liegt. Auf dem dritten Platz landet den Umfragen zufolge mit knapp über 20 Prozent Sergio Massa (43), ein ehemaliger Kabinettschef Kirchners. Er steht der Regierung heute kritisch gegenüber.
Rennboot-Weltmeister gegen Unternehmer
Auch wenn Scioli die Mehrheit der Stimmen holen sollte - ob es für den 58-Jährigen bereits im ersten Durchgang reicht oder er in die Stichwahl muss, ist nicht absehbar. Um es im ersten Durchgang zu schaffen, benötigte Scioli mindestens 45 Prozent der Stimmen oder 40 Prozent mit zehn Prozentpunkten Vorsprung vor dem nächstbesten Kandidaten.
Scioli war von 2003 bis 2007 Vizepräsident in der Regierung von Néstor Kircher, Cristinas verstorbenem Ehemann. Dann wurde er zum Gouverneur der Provinz Buenos Aires gewählt und 2011 wiedergewählt. Zielstrebig ist er jedenfalls: 1989 verlor Scioli seinen rechten Arm bei einem schweren Unglück während eines Motorbootrennens. Dennoch nahm er weiter an den Sportwettbewerben teil und gewann bis 1996 mehrere Weltmeistertitel.
Hinter Scioli liegt Umfragen zufolge der liberal-konservative Mauricio Macri, der bisherige Bürgermeister der Hauptstadt Buenos Aires. Er profilierte sich als Gegenpol der Regierung Cristina Kirchners. Der 56-Jährige ist Gründer und Kandidat der Partei "Propuesta Republicana" (PRO). Der Sohn eines der reichsten Unternehmer Argentiniens ist Ingenieur und war lange selbst als Unternehmer tätig. 1991 wurde er entführt und erst nach Zahlung eines hohen Lösegeldes freigelassen. Vier Jahre später wurde Macri Präsident von Boca Juniors, Argentiniens populärstem Fußballverein.
Ende einer Ära
In Argentinien geht mit der Wahl eine Ära zu Ende. Nach zwölf Jahren "Kirchnerismo", einer Spielart des "Peronismus'", wird kein Kirchner mehr an der Spitze der drittgrößten Volkswirtschaft Lateinamerikas stehen. Cristina, wie sie sich von den Argentiniern nur nennen lässt, hat die Gesellschaft gespalten. Die ärmeren und linksgerichteten Wähler vergötterten sie, weil sie umfangreiche Sozialprogramme aufgelegt und Währungs- sowie Handelskontrollen eingeführt hat. Ihre Gegner schmähen ihren Regierungsstil als undemokratisch und ihre Rhetorik als reinen Populismus. Vor allem in Bezug auf ihre Wirtschaftspolitik hagelte es Kritik: Die Inflation lag 2014 nach offiziellen Zahlen bei fast 24 Prozent – tatsächlich dürfte sie aber noch einmal deutlich höher liegen. Nach einer langen Phase des Wachstums (2003-11) von jährlich durchschnittlich rund sieben Prozent ging es 2014 bergab auf 0,5 Prozent. Unter Cristina Kirchner führte Argentinien einen erbitterten Schuldenstreit mit US-Hedgefonds, die nach der Staatspleite 2001 billig argentinische Schuldscheine aufkauften und nun durch alle Instanzen gehen, um diese zu versilbern.
Zur Wahl sind rund 32 Millionen Bürger aufgerufen. Es werden auch 130 der 257 Abgeordneten und ein Drittel der 72 Senatsmitglieder sowie die Gouverneure von elf der 24 Provinzen gewählt. In Argentinien herrscht Wahlpflicht. Die Wahllokale sind bis 18.00 Uhr Ortszeit (22.00 Uhr MEZ) geöffnet. Erste aussagestarke Ergebnisse sollen erst am frühen Montag bekanntgegeben werden.
chr/wl (dpa, afp)