Weine nicht um mich, Argentinien
24. Oktober 2015"Ich hoffe, dass ihr mich 2019 nicht braucht" – so lautete ihre verklausulierte Ankündigung für ein politisches Comeback in der argentinischen Presse. Dörte Wollrad, Leiterin des Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) in Buenos Aires, übersetzt die Botschaft dahinter: "Das heißt, natürlich werdet ihr mich brauchen!".
Fest steht: Der Abschied aus dem Regierungspalast fällt der 62-Jährigen Staatschefin schwer. Bereits 2013 versuchte sie ihre Amtszeit zu verlängern. Doch für die geplante Verfassungsänderung, die eine dritte Amtszeit ermöglicht hätte, verfehlte sie damals die erforderliche Zwei-Dritte-Mehrheit im Parlament.
Nun muss die Peronistin, die ihre politische Karriere 1989 als Abgeordnete im Parlament der argentinischen Provinz Santa Cruz begann, nach zwei Amtszeiten als Präsidentin abtreten. Ihrem voraussichtlichen Nachfolger Daniel Scioli, den sie im Wahlkampf unterstützt hat, hinterlässt sie einen Scherbenhaufen.
Tango auf der Titanic
Inflation, Staatsverschuldung, Exportflaute, Devisenmangel, Protektionismus und Rezession – Argentinien droht im wirtschaftlichen Chaos zu versinken. Damit nicht genug: Die Preise für die wichtigsten Exportprodukte Soja und Weizen sind auf dem Weltmarkt gegenüber 2014 um 20 bis 35 Prozent gefallen.
Angesichts der akuten Krise wird der neue Präsident, darin sind sich die Experten einig, Sozialprogramme und Subventionen kürzen müssen. "So wie bisher kann es nicht weiter gehen", bestätigt FES-Büroleiterin Dörte Wollrad.
Ihre Prognose: "Cristina Kirchner wird die unangenehmen Reformen aus der Ferne betrachten und kommt dann 2019 wie Phönix aus der Asche zurück und tritt wieder an."
Der argentinische Politikprofessor Marcos Novaro ist sich da nicht so sicher. Seiner Ansicht nach sind die Chancen für ein politisches Comeback gering. "Die Mehrheit der Bevölkerung zieht eine kritische Bilanz", meint er. Bereits 2013 deutete sich dies an. Mehr als eine Million Menschen protestierten damals in Buenos Aires gegen Korruption in Regierungskreisen und den autoritären Führungsstil der Präsidentin.
Allerdings: "Es kann sein, dass Cristina 2019 immer noch beliebt ist, weil sie bei vielen Landsleuten als soziale Wohltäterin gilt", erklärt der Direktor des Zentrums für politische Forschung (Cipol) an der Universität Buenos Aires.
Massenproteste gegen Korruption
Denn in den Armenvierteln am Rande der argentischen Metropolen ist der Kampf ums tägliche Überleben wichtiger als der Kampf gegen Korruption. Die peronistische Partei wird dort wegen ihrer Sozialprogramme gefeiert. Die Sozialausgaben Argentiniens sind zwischen 1990 und 2010 von 18,5 auf fast 28 Prozent des Bruttoinlandprodukts gestiegen.
Mittlerweile zollen auch eingefleischte Gegner der Präsidentin Respekt. "Die Regierung Kirchner verfügt über eine hervorragende Eigenschaft, und das ist ihr Wagemut", erklärte der argentinische Kolumnist Jorge Lanata gegenüber der spanischen Tageszeitung "El Pais". "Je eingepferchter sie ist, desto größer ihre Bereitschaft zu pokern.“
Der Politpoker kommt gut an. So punktete die Präsidentin mit ihrer hartnäckigen Weigerung, auf die Forderungen amerikanischer Hedgefonds einzugehen, bei ihren Wählern. Die Wirtschaft hingegen ächzt unter den Folgen dieses Wagemuts, der dem Land 2014 eine technische Staatspleite bescherte und bis heute den Zugang zu den internationalen Finanzmärkten versperrt.
Peronistische Siegesformel
Auch FES-Büroleiterin Dörte Wollrad erkennt das politische Geschick Kirchners an. "Sie ist eine geborene Populistin. Sie weiß, wo sie ihre Stimmen herbekommt“, erklärt sie. So habe ihre Initiative, auf der UN-Generalversammlung nach dem Streit mit den amerikanischen Hedgefonds ein Insolvenzrecht für Staaten zu fordern, die Umfragewerte enorm gesteigert, "auch wenn dies für Argentinien nichts bringt."
Das Verhältnis zum Papst ist ein weiteres Beispiel für das strategische Geschick der Präsidentin. Über Nacht verwandelte sich Jorge Mario Bergoglio vom verfeindeten Erzbischof aus Buenos Aires zum argentinischen Heiligen in Rom.
Die Empörung über Bergolios Kritik an der von ihr vorangetriebenen Einführung der Homo-Ehe schien vergessen. Nach der Wahl mutierte Cristina Kirchner umgehend zur frommen Katholikin und Bewunderin des Papstes.
Auch wenn Cristina Kirchner 2019 nicht noch einmal kandidieren sollte - die Argentinier werden ihre polarisierende Präsidentin wohl so schnell nicht vergessen.
"Sie hat die Gesellschaft in ihre Anhänger und Gegner gespalten", sagt Kolumnist Marcos Novaro. Er ist froh, dass die Ära Kirchner vorbei ist. Seine Prognose: "Die nächste Regierung wird über weniger Macht verfügen und das ist gut so."