Aufstände erschweren Flucht
17. Oktober 2013Das Boot hielt der See nicht stand. Richtungslos schlingerte es auf den Wellen, nahm immer mehr Wasser auf, bis es schließlich kenterte. Mehrere Menschen starben, darunter auch eine syrische Krankenschwester, die mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern die Überfahrt nach Europa gewagt hatte. Die Leiche konnte geborgen werden. Seine Frau sollte nicht umsonst gestorben sein, entschied der Ehemann - und gab ihre Leber und Nieren zur Transplantation frei. Drei Italienern, die auf Ersatzorgane dringend warteten, konnte er auf diese Weise helfen.
Der Tod der jungen Frau ist nur eines von vielen Schicksalen jener syrischen Bootsflüchtlinge, die das UNHCR, das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, in den vergangenen drei Monaten in immer größerer Zahl registrierte. Zwar suchten die meisten Syrer ihr Heil auf dem Landweg, sagt Babar Baloch, ein Sprecher des UNHCR. Immer mehr versuchten, dem Krieg in der Heimat aber auch über den Seeweg zu entkommen. Das Wasser erscheint ihnen als letzter Ausweg, weil viele Landgrenzen geschlossen sind. Tatsächlich wollen Syriens Nachbarstaaten, die bereits zwei Millionen Flüchtlingen Aufenthalt gewähren, keine weiteren Menschen mehr ins Land lassen.
Immer mehr Menschen fliehen über das Meer
So versuchen immer mehr Syrer, ihr Land auf illegale Weise zu verlassen. Schutz suchen sie nicht nur in den Nachbarländern, sondern zunehmend auch in Europa. Wenn irgend möglich, wählen sie den weniger gefährlichen Landweg. Viele Syrer, die es bis in die Türkei geschafft hätten, versuchten von dort aus in den benachbarten EU-Staat Bulgarien zu kommen, erläutert Bill Frelick. Er ist bei der Menschenrechtsorganisation "Human Rights Watch" für Flüchtlingsfragen zuständig.
Diejenigen aber, die es nicht in die Türkei geschafft haben, sind gezwungen, eine andere Route zu wählen. Diese führt sie in Richtung Süden - und damit irgendwann auch ans Ufer des Mittelmeers. Das Risiko, es in oft unsicheren Booten zu überqueren, haben in den vergangenen Monaten immer mehr Syrer in Kauf genommen. Allein zwischen Anfang August und Mitte September 2013 hat das UNHCR mehr als 30 erfolgreiche Bootsfahrten von Nordafrika nach Süditalien registriert. Rund 3.300 syrische Flüchtlinge kamen auf diese Weise nach Europa - unter ihnen auch 230 unbegleitete Kinder. Die meisten Boote starteten von Ägypten aus. Zuletzt beobachtete das UNHCR aber auch zunehmend Fahrten, die in Libyen starten. Einfach ist es für syrische Flüchtlinge aber in beiden Ländern nicht.
Endstation Ägypten
In Ägypten habe sich die Lage für ausländische, insbesondere syrische Flüchtlinge zuletzt wieder verschlechtert, sagt Babar Baloch. Bis zum Sturz von Präsident Mohammed Mursi Anfang Juli waren Syrer in Ägypten willkommen. "Seitdem aber gehen die Behörden immer strenger mit ihnen um." Sie bräuchten ein spezielles Visum und müssten zahlreiche Sicherheitskontrollen über sich ergehen lassen. "Außerdem werden unseren Informationen zufolge viele Syrer, die das Land über das Meer verlassen wollen, verhaftet." Ähnliche Beobachtungen hat auch "Human Rights Watch" gemacht. Immer mehr Syrer würden beim Versuch, Ägypten über das Mittelmeer zu verlassen, geschnappt und dann zurück in ihr Heimatland gebracht.
Aber auch für Flüchtlinge aus anderen Ländern, insbesondere denen südlich der Sahara, werde es schwieriger. So sei etwa die Route durch den Sinai, auf dem sich viele Afrikaner früher nach Israel durchschlugen, inzwischen gesperrt. Das liege zum einen an dem Sperrzaun, den der jüdische Staat an seiner Südgrenze errichtet habe. Zum anderen aber auch an den Unruhen auf dem Sinai selbst. "Sie haben das Gebiet zu einem höchst gefährlichen Ort werden lassen."
Fremdenfeindlichkeit in Libyen
Angesichts dieser Schwierigkeiten ziehen syrische Flüchtlinge selbst das weiter westlich gelegene Libyen als Ausgangspunkt einer Fahrt über das Mittelmeer in Erwägung. Doch auch dort ist die Lage nicht einfach. Unter der Herrschaft Gaddafis habe es keine Gesetze zum Schutz von Flüchtlingen gegeben, sagt Bill Frelick. Die neue Regierung habe dieses Versäumnis nicht nachgeholt. Zudem seien die staatlichen Institutionen schwach, weshalb das Land kaum in der Lage sei, Flüchtlinge zu schützen. "Insofern ist Libyen ein schwarzes Loch, in dem Fremdenfeindlichkeit sehr verbreitet ist."
Entsprechend sorglos gingen die Schlepper auch mit den Flüchtlingen um. Die Überfahrten seien schlecht organisiert. "Es werden auch seeuntüchtige Boote eingesetzt. Wenn die Flüchtlinge diese nicht betreten wollen, kann es passieren, dass sie dazu gezwungen werden." Zu diesem Zeitpunkt haben die Flüchtlinge den Preis für die Überfahrt bereits bezahlt. Dass es eine Reise in den Tod sein kann, kümmert die Schlepper nicht. Und in Europa gibt man sich einstweilen ratlos.