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Hungerstreik am Brandenburger Tor

Heiner Kiesel16. Oktober 2013

Deutschland erlebt in diesen Tagen eine Vielzahl von Protestaktionen wegen seiner Asylpolitik. Sie nehmen an Radikalität zu: Knapp 30 Asylbewerber in Berlin weigern sich jetzt sogar, zu essen und zu trinken.

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Ein Flüchtling wird am Brandenburger Tor von Rettungskräften abtransportiert (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Akili Jules Zava erhebt sich ganz langsam von seiner grünen Isomatte. Er steht jetzt inmitten eines provisorischen Lagers aus Plastikplanen und Regenschirmen, einen Steinwurf vom Brandenburger Tor entfernt - östlich des Berliner Wahrzeichens, auf dem Pariser Platz. Es ist feucht, der Himmel ist grau und über den Platz zieht ein aromatischer Duft von Bratwürsten. Zava, der Asylsuchende aus der Demokratischen Republik Kongo nimmt ihn gar nicht mehr wahr. Er zieht seinen knielangen Ledermantel enger um sich.

"Seit acht Tagen habe ich nichts mehr gegessen, seit drei Tagen auch nichts getrunken", sagt er. "Ich fühle mich schwach." Um ihn herum hocken und liegen noch 23 weitere, die im Hungerstreik sind. Am Vortag waren es mehr, dann sind wieder drei ins Krankenhaus gebracht worden. "Wir haben alle ein Ziel: Wir wollen wie Menschen behandelt werden, uns frei bewegen und arbeiten dürfen", sagt Zava.

Die Lage der Hungerstreikenden im Zentrum der deutschen Hauptstadt ist in eine kritische Phase gekommen. Immer wieder brechen Teilnehmer zusammen. Der Hilfe von Sanitätern stehen viele Flüchtlinge skeptisch gegenüber. Wer weiß, ob die nicht dafür sorgen sollen, dass der Protest geschwächt wird?

Akili Jules Zava (Foto: Heiner Kiesel / DW)
Akili Jules Zava aus dem Kongo: "Wir wollen wie Menschen behandelt werden"Bild: DW/H. Kiesel

Jürgen Hölzinger lassen sie an sich heran. Der schlanke weißhaarige Urologe im Ruhestand geht zwischen den Hungernden umher, tippt sie an, fühlt den Puls - sein persönliches Engagement. Einem Afghanen massiert er den Nacken. "Es kann ganz schnell gehen, dann liegen die einfach da und reagieren nicht mehr auf Schmerzreize", sagt Hölzinger. Er ist wachsam, Nierenversagen und Herzrhythmusstörungen sind möglich beim "trockenen" Hungerstreik. Der Mediziner hat Bedenken, aber wenn er sich den Asylsuchenden zuwendet, lässt er auch Respekt vor deren Kampf erkennen. "Das ist doch toll, dass diese Menschen nicht mehr nur so als Bittsteller auftreten, sondern für ihre Rechte eintreten."

Sorgen und Zurückhaltung in Berlin

Die Teilnehmer der Protestaktion vor dem Brandenburger Tor sind aus Bayern nach Berlin gekommen. Am vergangenen Wochenende ist erst ein Protestcamp in der bayerischen Landeshauptstadt München aufgelöst worden. Es sollte verhindert werden, dass es Tote gebe, erklärten die Behörden dazu.

In ganz Deutschland scheint die Debatte um Asylfragen an Schärfe zuzunehmen. Die Bilder der Flüchtlingskatastrophe vor Lampedusa sind noch zu frisch, die Emotionen deswegen auch. In Hamburg eskalierten Proteste in gewaltsamen Übergriffen, in Köln versuchten Demonstranten, einen Sender zu besetzen. Der Berliner Innensenator Frank Henkel möchte, dass die Lage ruhig bleibt, und hat erklärt, dass er das Lager der Hungerstreikenden im Zentrum der Hauptstadt nicht räumen lassen will.

Jürgen Hölzinger im Protestcamp am Brandenburger Tor (Foto: Heiner Kiesel / DW)
Mediziner Hölzinger im Protestcamp: Nierenversagen und HerzrhythmusstörungenBild: DW/H. Kiesel

Das Brandenburger Tor ist eine der Touristenattraktionen Berlins. Die Mahnwache der Asylsuchenden dort scheint jetzt auch schon fast dazuzugehören: Ein US-Pärchen lässt sich vor den zusammengekauerten Hungernden fotografieren. Sie sind nicht die Einzigen.

Die Grünen-Politikerin Canan Bayram hebt kurz eine Augenbraue. Die Abgeordnete im Berliner Abgeordnetenhaus will sich aber nicht weiter mit diesem skurrilen Aspekt der Mahnwache aufhalten. Sie redet zusammen mit ihrer Parteikollegin Luise Amtsberg, Bundestagsabgeordnete aus Schleswig-Holstein, auf die Sprecher der Gruppe ein.

Sie versprechen ihnen, dass sie sich mit den Verantwortlichen für die Asylanträge in Verbindung setzen, und bitten die Hungernden, wenigstens wieder zu trinken. "Es könnte sein, dass bald ein Toter auf dem Pariser Platz liegt", fürchtet Bayram. "Ihr werdet zu schnell schwach, wenn ihr nichts trinkt", warnt Amtsberg.

Die Zeit wird knapp

Die Gesichter der Protestierer sehen müde aus, jetzt wirken sie noch ein Stück entrückter. Ihr Protest ist das Radikalste, was sie noch mit friedlichen Mitteln machen können. Jetzt nur nicht nachgeben sagen viele bei der Debatte über die Appelle der Politiker. Sonst ändert sich vielleicht nie etwas.

Die Antragsteller wohnen in Sammelunterkünften, dürfen nur eingeschränkt reisen und haben keine Arbeitserlaubnis. "Einige von uns warten schon seit zwei oder drei Jahren auf die Anerkennung ihrer Asylanträge", verdeutlicht Zava. "Es gibt keinen anderen Weg als den, die Nahrung zu verweigern." Die beiden Politikerinnen Amtsberg und Bayram versprechen, am Nachmittag wieder vorbeizukommen, vielleicht gibt es dann etwas Neues. Zava schaut ihnen nach. Seine Beine zittern. Es muss bald etwas passieren. "Ich habe das Gefühl, dass ich jeden Moment zusammenbreche."