Ankara lässt TV-Sender mit Gewalt stürmen
28. Oktober 2015Ungeachtet internationaler Kritik geht die türkische Regierung kurz vor der Parlamentswahl am kommenden Sonntag weiter massiv gegen oppositionelle Medien vor. Am frühen Mittwochmorgen hatten Polizisten vor laufenden Kameras das Gebäude der regierungskritischen Mediengruppe Koza Ipek in Istanbul gestürmt. Die EU reagierte besorgt. "Die Türkei muss wie jedes andere Land, das über einen EU-Beitritt verhandelt, sicherstellen, dass die Menschenrechte eingehalten werden - das schließt auch das Recht auf freie Meinungsäußerung ein", sagte die Sprecherin der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini in Brüssel.
Die Kopak Ipek Holding, zu der die Sender Bugün TV und Kanaltürk gehören, steht der Bewegung um den Prediger Fethullah Gülen nahe. Gülen war einst ein enger Verbündeter des Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan. Inzwischen wirft Erdogan der Bewegung des im US-Exil lebenden Predigers vor, Polizei und Justiz unterwandert zu haben und die türkische Regierung stürzen zu wollen.
Metallschneider und Wasserwerfer
Ein Gericht hatte die Koza Ipek Holding am Montag unter staatliche Aufsicht gestellt und Treuhänder eingesetzt. Dem Konzern wird nach Angaben der staatsnahen Nachrichtenagentur Anadolu vorgeworfen, die als angebliche "Terrororganisation" eingestufte Gülen-Bewegung unterstützt zu haben. Beim Sturm auf den Sender setzte die Polizei Metallschneider und Wasserwerfer ein. Angestellte versuchten, die Polizei mit Regenschirmen zurückzudrängen.
Die Empörung über den Polizeieinsatz führte zu einem ungewöhnlich einheitlichen Protestauftritt der zerstrittenen Opposition. Abgeordnete der Mitte-Links-Partei CHP, der rechtsnationalen MHP und der pro-kurdischen HDP waren nach Angaben von Bugün TV vor Ort. HDP-Chef Selahattin Demirtas sagte in Istanbul, die Polizeiaktion verstoße gegen die Verfassung und gegen das nationale und internationale Recht. Schon Anfang September waren mehrere Firmen der Koza Ipek Holding durchsucht worden.
Ende der Einschränkungen verlangt
Deutsche Journalistenverbände verurteilten das Vorgehen der türkischen Polizei und Justiz. Der Vorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV), Michael Konken, sagte in Berlin: "Das Regime Erdogan will wenige Tage vor den Parlamentswahlen in der Türkei die letzten kritischen Journalisten in dem Land mundtot machen." Die Organisation "Reporter ohne Grenzen" sprach von "massiven Repressionen" und forderte ein sofortiges Ende staatlicher Einschränkungen.
ago/sc (dpa, kann, afp, rtr)