Angola Massaker
10. Juni 2011Wer an Menschenrechtsverletzungen in den Siebzigerjahren denkt, dem fällt meist das Pinochet-Regime in Chile ein. Etwa 3000 Menschen kamen damals in dem südamerikanischen Staat ums Leben. Kaum jemandem aber fallen die Massaker ein, bei denen 1977 in Angola vermutlich mehr als zehnmal so viele Menschen getötet wurden.
Mit extremer Brutalität ging damals die ehemalige Unabhängigkeitsbewegung MPLA gegen missliebige Mitglieder vor, die von der offiziellen Linie der MPLA abwichen. Folter, Vergewaltigungen und Exekutionen begannen am 27. Mai 1977 und dauerten über Monate an. Am Ende lagen zehntausende Opfer in Massengräbern. Wie viele genau, ist bis heute unklar, denn auch mehr als 30 Jahre später ist das Massaker in Angola immer noch ein Tabu und nicht aufgeklärt.
Das Gesicht der Toten
Sie gab dem Horror ein Gesicht. Sita Valles war um 5 Uhr morgens am 1. August 1977 hingerichtet worden. Ein Schuss in beide Beine, ein Schuss in beide Arme und schließlich der Gnadenschuss in den Kopf. Zuvor war sie tagelang gefoltert und mehrmals von Beamten der angolanischen Staatspolizei DISA vergewaltigt worden.
Die hübsche 26-jährige Portugiesin Sita Valles war nach der Nelkenrevolution von Portugal in ihr Geburtsland Angola emigriert. Sie hatte ein wohlhabendes und unbeschwertes Leben in Lissabon hinter sich gelassen, um für ein kommunistisches Angola zu kämpfen.
Sita Valles ist wohl das bekannteste Opfer der "Säuberungsaktion" der MPLA, bei der 10.000 bis 80.000 Menschen ums Leben kamen. Junge und Alte, einfache Parteimitglieder und Minister. Unter den Ermordeten befanden sich viele Mitglieder des Führungsstabes der MPLA, der Volksbewegung für die Befreiung Angolas.
Blutiger Richtungskampf: Nähe zur Sowjetunion oder eigener Weg in Angola
Im Grunde ging es um ideologische Streitigkeiten. Zum einen darum, wie sehr sich die marxistisch-leninistische MPLA an der Sowjetunion und den anderen Ostblock-Staaten ausrichten sollte oder ob sie einen eigenen Weg einschlagen sollte. Zum anderen ging es darum, wie "schwarz-afrikanisch"oder wie "mestizisch" die MPLA sein dürfe.
Über 30 Jahre später ist das Ausmaß der Ereignisse des Jahres 1977 erst in Umrissen sichtbar. Der unabhängige, angolanische Journalist William Tonet meint, dass direkt oder indirekt die meisten Angolaner vom 27. Mai betroffen waren: "Ich und mein Vater wurden verhaftet. Meine beiden Onkel wurden verhaftet und lebendig begraben, ohne jede Art von Verhandlung."
William Tonet beklagt vor allem, dass es keinerlei offizielle Anklagen gegeben habe: "Wir sind misshandelt worden und wurden nie angehört. Präsident Agostinho Neto hat gesagt, dass es keine Prozesse gebe und keine Zeit mit Prozessen verloren würde. Das war eine wirkliche Barbarei!"
Als die portugiesische Kolonialherrschaft 1975 nach der Nelkenrevolution zerfallen war, rief die marxistische Guerilla MPLA die Unabhängigkeit aus. Sie wurde aber in einem Bürgerkrieg von zwei anderen Befreiungsbewegungen bekämpft.
Die beiden MPLA-Führer Nito Alves und José van Dunem spielten im Bürgerkrieg eine wichtige Rolle bei der Verteidigung der Hauptstadt Luanda. Nito Alves wurde dadurch zu einem Helden der Armen und stieg in das Politbüro der MPLA und zum Innenminister auf. Seine Anhänger, "Nitistas" genannt, saßen bald an fast allen Schalthebeln der Macht.
In einem eigenen Rundfunkprogramm verbreitete Nito Alves seine Thesen von der Vormacht der Schwarzen und erklärte Mischlinge und Weiße zu Klassenfeinden. Staatspräsident Agostinho Neto jedoch, selbst mit einer weißen Portugiesin verheiratet, galt als Verfechter des Ideals einer mehrrassigen Gesellschaft.
Die Revolution am 27. Mai 1977 - Auftakt zu den Massakern
Am 27. Mai kam es zu einer Eskalation, als die Gefolgsleute von Nito Alves in das São-Paulo-Gefängnis von Luanda eindrangen und den nationalen Rundfunksender besetzten. Sie mussten sich aber gegen zwölf Uhr mittags ergeben, als dem Präsidenten Agostinho Neto treu ergebene Truppen mit Hilfe kubanischer Soldaten die Oberhand gewonnen hatten.
Dem niedergeschlagenen Staatsstreich folgte eine brutale Säuberungsaktion innerhalb der MPLA. Der portugiesische Historiker und längjährige Angola-Kenner José Milhazes meint, dass die Ereignisse des 27. Mai von Agostinho Neto und Teilen der Führung der MPLA zu einem Putschversuch umgedeutet wurden: "Sie haben die Demonstration von Nito Alves, die für mich kein Versuch war die Macht in Angola zu ergreifen, als Vorwand genutzt. So konnten sie Mitglieder der MPLA, mit denen sie tiefgreifende Meinungsverschiedenheiten hatten, neutralisieren.“
Mit extremer Härte ging die MPLA in den Monaten nach dem 27. Mai gegen die eigenen Parteimitglieder vor, mit Verfolgungen anstelle eines demokratischen Sozialismus, den Präsident Agostinho Neto versprochen hatte. Vor allem die Parteimitglieder, die Beziehungen zur Sowjetunion hatten, wurden getötet, da man davon ausging, dass die Sowjetunion hinter der Fraktion um Nito Alves stünde. Selbst angolanische Austauschstudenten wurden beispielsweise von ihren Universitäten in Moskau nach Luanda zurückgerufen, um sie direkt nach der Ankunft zu erschießen.
Massaker bis heute tabuisiert
Trotz der Dimensionen der Massaker, bei denen je nach Schätzungen der Historiker zwischen 10.000 und 80.000 Menschen gestorben sind, bleiben sie in Angola bis heute tabu. Für José Milhazes gibt es einen einfachen Grund: "Einige der Beteiligten sind immer noch im Amt." Und Milhazes hat ein prominentes Beispiel: "Der aktuelle Staatspräsident José Eduardo dos Santos war damals Mitglied der Parteiführung der MPLA und damit direkt an den Ereignissen des 27. Mai beteiligt.“
Autorin: Helena de Gouveia
Redaktion: Lina Hoffmann