Angekommen, verteilt, weitergefahren
10. September 2015Es ist kurz vor Mitternacht als der erste Sonderzug mit Flüchtlingen aus Salzburg in den Bahnhof "Düsseldorf-Flughafen" einfährt. Am Gleis warten Polizisten, Helfer und Übersetzer, einige zittern ein wenig in der kalten Nachtluft. Im Unterschied zu anderen deutschen Städten, die bisher die aus Ungarn ankommenden Flüchtlinge aufgenommen haben, ist hier am Gleis keine applaudierende Menschenmenge zu sehen.
Nicht etwa, weil die Düsseldorfer weniger herzlich wären, erklärt der Pressesprecher der Stadt, Michael Bergmann. Düsseldorf habe bewusst darum gebeten, auf Begrüßungsaktionen zu verzichten: "Wir haben noch keine Routine, wie das Ganze hier läuft." Die Verteilung der ankommenden Flüchtlinge hat Düsseldorf an diesem Tag zum ersten Mal für 24 Stunden von der Stadt Dortmund übernommen, die von der steigenden Zahl an Hilfesuchenden überfordert war.
Plötzlicher Jubel sei für die erschöpften Neuankömmlinge oft unangenehm, erklärt er. Und die Geschenke könnten sie nicht mitnehmen, weil die Busse, mit denen sie nach dem kurzen Aufenthalt in der Aufnahmestelle weiter in die Kommunen gebracht werden, nicht darauf ausgelegt seien.
"Na, wach?" fragt ein Zugbegleiter, der die Türe öffnet. Die Reisenden steigen sehr langsam aus. Es sind Männer und Frauen, Alte und Junge, Familien mit Kleinkindern, schick gekleidet oder in kurzen Hosen, mit großen Taschen oder winzigen Plastiktüten als Gepäck. Aus Syrien, dem Irak und anderen Ländern.
Erschöpfte Flüchtlinge, erschöpfte Helfer
Manche von ihnen saßen noch vor einigen Tagen am abgesperrten Budapester Bahnhof und riefen "Germany" und "Merkel". Doch bei der Ankunft in Deutschland wirken sie nicht fröhlich oder erleichtert, sondern einfach nur völlig erschöpft. Zwölf Stunden waren sie unterwegs und wurden nun plötzlich aus dem Schlaf gerissen.
Erschöpft sind auch die insgesamt rund 50 ehrenamtlichen Helfer, die zum Teil für Hilfsorganisationen im Einsatz sind. Sie haben schon den ganzen Tag auf die Flüchtlinge gewartet. In einer Halle, die ursprünglich zur Gepäckabfertigung gedacht war und nun als Flüchtlingsaufnahmestelle dient, sind bereits seit dem Morgen hunderte Stühle und Tische bereitgestellt worden.
Wann die Züge einfahren würden, wusste niemand so genau. Die Sonderzüge dürfen nur dann rollen, wenn die Gleise nicht mit regulären Zügen besetzt sind. Außerplanmäßige Zwischenstopps, die sich manchmal stundenlang hinziehen, sind die Folge. Hassan Soliman (Name geändert) aus Düsseldorf ist schon seit dem Nachmittag am Bahnhof: "Ich habe den Anruf erhalten, dass ein arabischer Dolmetscher für die Flüchtlinge gebraucht wird. Natürlich habe ich sofort Ja gesagt."
Gerade jetzt wird er in der Flughafenhalle gebraucht. Die fast 400 Flüchtlinge, die dort sitzen und etwas essen, haben viele Sorgen. Doch nach einigen Minuten verlassen Dutzende die Halle und sammeln sich an den Fahrkartenautomaten. Sie fragen nicht nur die Helfer und Polizisten um Hilfe, sondern auch Passanten. "Hamburg! Help me to buy a ticket to Hamburg!", bittet ein junger Mann. Bald kommen weitere: "Berlin! Berlin! Help me to Berlin!" Andere wollen nach Kopenhagen und Brüssel, auch Helsinki ist ein gefragtes Reiseziel. Wo das genau liegt, wissen sie aber nicht. Dort leben aber bereits Verwandte und Landsleute - nur das ist wichtig. Eine Problem für viele ist jedoch: Sie haben nur 100-Euro-Scheine dabei, die der Fahrkartenautomat nicht annimmt. "Die Tickets kann man auch in der Bahn kaufen", ruft eine Helferin. Viele machen sich direkt in Richtung Gleise auf.
Am Morgen in NRW - dann in ganz Europa verteilt
Wieviele von ihnen bereits in Ungarn zum Beispiel ihre Fingerabdrücke abgegeben haben, weiß in Düsseldorf niemand. Die Registrierung findet erst in den jeweiligen Gemeinden statt, in die die Flüchtlinge gebracht werden - dort stellen sie auch ihre Asylanträge. Für jene, die aber anderswohin wollen, ist der Weg de facto frei.
Auch der 18-jährige Melat aus dem Irak will weiter nach Helsinki. Seit Wochen sei er unterwegs und habe vor vier Tagen zuletzt richtig geschlafen. Er spricht nur Kurdisch und hat kein Geld. In einer Flüchtlingsunterkunft möchte er nicht bleiben. Er will sofort nach Heidelberg, denn dort lebt sein Onkel. Schweigend deutet Melat auf dessen deutsche Telefonnummer und bittet um Hilfe.
Kurz vor zwei Uhr kommt der zweite Sonderzug an, diesmal aus München. Wieder fahren einige der Flüchtlinge selbstständig weiter in die Städte Europas, andere kommen mit den vorgesehenen Bussen in die deutschen Kommunen.
Um fünf Uhr morgens ist die Halle fast leer. Helfer Hassan Soliman könnte eigentlich nach Hause gehen. Doch er kümmert sich zuerst noch um den Iraker Melat - und wartet mit ihm am Düsseldorfer Hauptbahnhof, bis Melat um halb sieben in seinen Zug nach Heidelberg einsteigen kann. Denn alleine würde er das womöglich nicht schaffen.