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Auschwitz-Prozess: "Es tut mir aufrichtig leid"

Florian Nusch29. April 2016

In einem der wohl letzten Auschwitz-Prozesse in Deutschland hat der ehemalige SS-Mann Reinhold Hanning (94) überraschend eine persönliche Erklärung abgegeben. Von Florian Nusch, Detmold.

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Deutschland Prozess gegen einen früheren Auschwitz-Wachmann
Reinhold Hanning - der Angeklagte auf dem Weg ins GerichtBild: picture-alliance/dpa/B. Thissen

Als Reinhold Hanning im Rollstuhl in den Gerichtssaal geschoben wird, ist sein Blick gesenkt, so wie an allen Verhandlungstagen zuvor. Offenbar möchte er jeden Augenkontakt vermeiden – vor allem mit den Auschwitz-Überlebenden, die in dem Prozess als Nebenkläger auftreten. Verantworten muss sich Hanning für Beihilfe zu mindestens 170.000-fachem Mord in dem Vernichtungslager. Seit Prozessbeginn im Februar hatte Hanning auch jede persönliche Einlassung vermieden und nur seine Anwälte sprechen lassen. Kaum einer hatte deshalb erwartet, an diesem Verhandlungstag erstmals Hannings Stimme zu hören.

Auch Leon Schwarzbaum nicht. Der heute ebenfalls 94-Jährige hat die Gräuel von Auschwitz überlebt - als Einziger seiner Familie. 35 Angehörige, darunter Mutter und Vater, wurden in dem Vernichtungslager ermordet. Seine persönliche Leidensgeschichte erzählt Schwarzbaum seit einigen Jahren immer wieder auch in Schulen. "Aber ich will, dass endlich auch die andere Seite sagt, was sie damals in Auschwitz getan hat."

Warten auf die Beichte

Hannings Anwälte hatten für den 13. Verhandlungstag eine Erklärung ihres Mandanten angekündigt. Deswegen ist der Gerichtssaal an diesem Freitag bis auf den letzten Platz gefüllt; nach der Prozesseröffnung im Februar hatte das Interesse zwischenzeitlich stark nachgelassen. Allerdings, so erklärten die Anwälte, falle es ihrem Mandanten schwer, sich zu konzentrieren und spontan auf Fragen zu antworten. Deshalb werde man einen persönlichen Bericht über Hannings Jugend und seinen Einsatz in Auschwitz verlesen.

Darin räumt der Angeklagte ein, von den Massenmorden gewusst zu haben. "Auschwitz war ein Albtraum. Ich wünschte, nie dagewesen zu sein." Gleichzeitig betont Hanning, dass er dem Dienst in Auschwitz nicht habe entgehen können. Seine Stiefmutter habe ihn gedrängt, zur SS zu gehen. Im September 1941 sei er dann bei einem Fronteinsatz verwundet und zum "Innendienst nach Auschwitz" versetzt worden. Zweimal habe er sich dort wegbeworben – erfolglos. Als Mitglied des Wachbataillons sei es seine Aufgabe gewesen, sicherzustellen dass kein Häftling flieht. "Wenn ich mich richtig erinnern kann, ließ man auch keinen Zweifel daran, dass – sollte man sich weigern – Schlimmeres zu befürchten hatte."

Wahrheit oder Kalkül

Obwohl die Erklärung in der Ich-Form verfasst ist, machen sich nach der Verlesung viele im Saal Gedanken über die tatsächliche Urheberschaft. "Das sind ja seine Anwälte", meint Leon Schwarzbaum. "Das ist alles schöngeredet. Er hat nur die harmlosen Sachen erzählt. Hat er die Misshandlungen nicht gesehen?"

Detmold Prozess gegen Auschwitz-Wachmann Nebenkläger Leon Schwarzbaum
Nebenkläger: Überlebender Leon SchwarzbaumBild: picture-alliance/dpa/B. Thissen

Hanning berichtet, er habe nie Dienst an der "Judenrampe" tun müssen, dort, wo die Selektionen stattfanden. Die Gleise nach Birkenau, den Vernichtungsteil des Lagers, habe er sich nur einmal in seiner Freizeit angeschaut. Ansonsten habe er alles getan, bloß nicht in Birkenau eingesetzt zu werden. Mit anderen Worten: Er wusste Bescheid über die massenhaften Tötungen, daran beteiligt aber sei er nie gewesen.

Überraschung im Gerichtssaal

23 Seiten ist Hannings "persönliche Erklärung" lang. Als sein Anwalt den Vortrag beendet, glauben die meisten bereits, dass der Verhandlungstag damit schon wieder beendet ist. Länger als zwei Stunden darf Reinhold Hanning aufgrund seines hohen Alters und Gesundheitszustandes nicht vernommen werden. Aber dann gibt es für die meisten im Saal doch noch eine Überraschung. Von einem Blatt Papier liest der 94-jährige Angeklagte selbst eine Entschuldigung ab und bricht damit sein monatelanges Schweigen: "Ich bereue zutiefst, einer verbrecherischen Organisation angehört zu haben, die für den Tod vieler Menschen verantwortlich ist. Ich schäme mich dafür, dass ich Unrecht sehenden Auges habe geschehen lassen. Ich entschuldige mich in aller Form. Es tut mir aufrichtig leid." Für Leon Schwarzbaum ist das trotzdem zu wenig. "Ich akzeptiere, dass er sich entschuldigt hat. Aber er hätte noch mehr sagen müssen. Dass er 35 Personen meiner Familie umgebracht hat, gibt es dafür eine Entschuldigung?"

Konnte man als SS-Mann in Auschwitz sein, ohne am hunderttausendfachen Mord zumindest mitschuldig zu werden? Ende Mai soll im Detmolder Prozess das Urteil fallen.