AI: Polen drängt Afghanen rechtswidrig zurück
30. September 2021Unter äußerst prekären Bedingungen sitzt eine Gruppe von 32 afghanischen Flüchtlingen seit Wochen in der Nähe des polnischen Grenzortes Usnarz Gorny auf belarussischem Gebiet fest. Die Migranten haben keinen Zugang zu Nahrung, sauberem Wasser, einer Unterkunft und Medikamenten, wie die Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI) deutlich macht. Polen hat die 418 Kilometer lange Grenze abgeschottet und den Ausnahmezustand ausgerufen, weshalb Journalisten und Hilfsorganisationen der Zutritt formell untersagt ist.
Laut eigenen Angaben waren die Menschen nach der Machtübernahme der radikalislamistischen Taliban in Afghanistan geflohen und hatten im August von Belarus aus die Grenze zu Polen überschritten. Polnische Grenzschützer hätten sie dann zurück auf belarussisches Territorium gebracht.
Recherchen von Amnesty International untermauern dies: "Unsere Analyse zeigt unwiderlegbar, dass sich ihre Position Ende August über Nacht von Polen nach Belarus verschoben hat", erklärte die Direktorin des AI-Büros für Europäische Institutionen, Eve Geddie. Da die Bewegung stattgefunden habe, als bewaffnete polnische Grenzsoldaten das provisorische Lager der Flüchtlinge umstellt hatten, gehe Amnesty von einer rechtswidrigen Zwangsrückführung aus. Amnesty beruft sich auf die Auswertung von Satellitenbildern und Fotos.
Das Schicksal der Migrantengruppe hatte bereits im August über Polen hinaus große Aufmerksamkeit erregt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg schaltete sich in den Fall ein und erklärte, eine erzwungene Rückkehr nach Belarus sei nicht zulässig.
Amnesty fordert von Polen Versorgung der Flüchtlinge
Amnesty ruft die polnische Regierung nun auf, die Ausrufung des Notstands zurückzunehmen, die vier Frauen, ein 15-jähriges Mädchen sowie 27 Männer angemessen zu versorgen und ihre Asylanträge zu bearbeiten.
Geddie bittet auch die Europäische Union um Hilfe: "Die Menschen haben in einem EU-Land um Asyl gebeten. Ein EU-Mitgliedstaat verletzt in eklatanter Weise ihre Rechte", betonte sie. Die EU müsse "schnell und entschlossen handeln, um diese eklatanten Verstöße gegen EU- und internationales Recht anzuprangern".
Polen, Litauen und Lettland beklagen sich seit einigen Monaten über eine vermehrte Ankunft von Migranten vor allem aus dem Nahen Osten an ihren Grenzen zu Belarus. Die EU geht von einer Vergeltungsaktion des belarussischen Machthabers Alexander Lukaschenko aus. Dieser hatte Ende Mai deutlich gemacht, Minsk werde Migranten nicht mehr an der Weiterreise in die EU hindern - als Reaktion auf verschärfte westliche Sanktionen gegen die ehemalige Sowjetrepublik.
Polnische Hilfsorganisationen äußern seit längerem den Verdacht, dass Polens Grenzschutz die meisten Migranten wieder nach Belarus abschiebt - sogenannte Pushbacks vornimmt. Überprüfen und dokumentieren lässt sich das nur schwer, da eben in der Grenzregion der Ausnahmezustand herrscht.
EU-Innenkommissarin Ylva Johansson will wegen der Flüchtlingskrise an diesem Donnerstag nach Warschau fliegen. Es geht auch um mehrere Todesfälle an der Grenze. Laut Amnesty starben seit dem 19. September in der Grenzregion fünf Menschen, unter anderem durch Unterkühlung.
se/mak (afp, epd, dpa)