Amerikas Poker in Ankara
5. August 2015Ihre Raketen hat sie noch nicht abgeschossen, aber immerhin ist sie bereits in der Luft gewesen. Am Wochenende war die erste amerikanische Drohne vom türkischen Staatsgebiet aus gestartet. Ihre Aufgabe: die Positionen dschihadistischer Kämpfer auf syrischem Gebiet nahe der Grenze zur Türkei näher zu bestimmen. Die so gewonnenen Informationen nutzten die USA, um Stellungen der Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) mit Kampfjets zu beschießen.
Der Beschuss war auch darum nötig, weil einige Tage zuvor ein von den Amerikanern ausgebildeter Kämpfer im Kampf gegen sunnitische Extremisten getötet worden war – zwar nicht von Milizen des IS, sondern von der Nusra-Front. Aber der Vorfall zeigt, wie gefährdet die von den USA ausgebildeten Kämpfer auf syrischem Gebiet sind. Strategisch ist der Tod eines von ihnen auch darum so bedeutsam, weil die USA nur über wenige verlässliche Kämpfer in Syrien verfügen.
Ursprünglich haben die Vereinigten Staaten von Amerika in ihrem im Mai dieses Jahres angelaufenen Trainingsprogramm rund 4500 Syrer ausbilden wollen – bis jetzt waren es allerdings nur 60. Es hatte viele Bewerbungen gegeben. Aber die meisten dieser Kämpfer waren von den USA nicht als zuverlässig eingestuft worden. Amerika will unbedingt verhindern, dass Waffen in die falschen Hände, also in die von Terroristen, gelangen. Eine ganze Reihe säkular ausgerichteter Kämpfer hatte an der Ausbildung nicht teilnehmen wollen, weil sie nur gegen Dschihadisten, nicht aber gegen das ihnen verhasste Regime Bashar Al-Assads kämpfen sollten. Damit nahmen die USA Rücksicht auf die Position Irans, der Assad unverbrüchlich die Treue hält.
Vermengung außen- und innenpolitischer Ziele
All dies wissen auch die Türken, die damit über eine gute Verhandlungsposition verfügen. Indem sie den Amerikanern einen Teil ihrer südlichen Luftbasen zur Verfügung stellen, erhoffen sie sich von der US-Regierung eine möglichst weitgehende Akzeptanz eines zentralen Anliegens der Türkei: den Kampf gegen die Kurden. Und zwar nicht nur auf türkischem Gebiet, sondern auch auf dem der Nachbarstaaten Irak und Syrien.
Dabei geht es der Türkei nicht nur darum, einen künftigen, über die Grenzen der Nachbarstaaten sich erstreckenden kurdischen Staat zu verhindern. Kurzfristig, vermuten Beobachter, hat Staatspräsident Erdoğan ein dringlicheres Ziel: Nachdem seine Partei, die AKP, im Juni bei den Parlamentswahlen erhebliche Verluste erlitten hat, will er sie in Neuwahlen wieder zur stärksten Kraft machen.
Derzeit ist er auf die Stimmen der pro-kurdischen "Demokratischen Volkspartei" angewiesen. Die will er offenbar wieder loswerden, denn die Koalitionsverhandlungen mit ihr gestalten sich schwierig. "Zum ersten Mal seit vier Jahren greift die AKP-Regierung Stellungen der PKK in Irakisch Kurdistan an. Zugleich erklärt sie, diese fortsetzen zu wollen", schreibt der Analyst Cengiz Candar in der türkischen Zeitung Radikal. "Man muss schon sehr begriffsstutzig sein, um nicht zu verstehen, dass es ihr darum geht, die PKK zu kriminalisieren und die Volkspartei zu marginalisieren, indem sie sie unter die zehn-Prozent-Marke drücken."
Ähnlich sieht es auch der türkische Militärexperte Naim Baburoglu: "Es scheint, als wolle Erdoğan nach seiner Wahlschlappe seine Position als Oberkommandierender der türkischen Streitkräfte nutzen, um aus vorgezogenen Wahlen als Sieger hervorzugehen". Vermutlich gehe es dem Präsidenten eher um innenpolitische als um strategische Erwägungen, sagte Baburoglu dem mit der Politik des Nahen Ostens befassten Internetmagazins Al-Monitor.
Verhaltene Reaktion der USA
Die USA kommen dadurch in eine heikle Lage. Wie soll sie mit einem Partner umgehen, auf den man nicht verzichten kann, der sein Engagement im Kampf gegen den Terrorismus aber mit innenpolitischen Zielen verquickt? Alistair Besky, der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrats, erklärte, die USA respektierten das Recht der Türkei auf Selbstverteidigung: "Wir fordern die PKK, die von den USA zu einer terroristischen Vereinigung erklärt worden ist, dazu auf, dem Terrorismus abzuschwören und die Gespräche mit der Türkei wieder aufzunehmen." Zugleich rief er alle Seiten dazu auf, sich weiterhin um eine friedliche Lösung des Konflikts zu bemühen.
Auch NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg plädierte für eine friedliche Lösung des türkisch-kurdischen Konflikts. "Langfristig wird Gewalt diesen Konflikt nicht lösen", erklärte er.
Angst vor ethnischen Säuberungen
In Ankara versteht man die dezenten diplomatischen Hinweise. Zugleich hat man dort aber noch andere Sorgen. Zwar ist die Türkei grundsätzlich mit dem amerikanischen Vorschlag einverstanden, an ihrer Grenze eine vom IS befreite Zone zu errichten. In Ankara fragt man sich aber, wer dieses Gebiet langfristig besiedeln wird. Derzeit leben dort vor allem Turkmenen und Araber. Sollten nun auch Kurden eintreffen, fürchten die türkischen Behörden, könnten diese die alteingesessenen Bewohner vertreiben. "Dies könnte eine neue Welle ethnischer Säuberungen auslösen", erklärt ein türkischer Regierungsvertreter dem Wall Street Journal. "Und das wäre für uns nicht akzeptabel."
Seit Tagen stehen Amerikaner und Türken in Verhandlungen. Es kann kaum anders sein angesichts einer Region, die sich massiv verändert und in der Grenzen gleich mehrerer Nationalstaaten neu gezogen werden. Je höher der Einsatz, desto schwieriger die Gespräche.