48. Theatertreffen
7. Mai 2011Nicht mit einer, sondern gleich mit drei Katastrophen ist dieses Theatertreffen (6.-23.05.2011) gestartet – höhnisch verdichtet von Elfriede Jelinek, die in ihrer Untergangstrilogie "DAS WERK/ IM BUS/ EIN STURZ" den technikgläubigen Menschen in Erdspalten verschwinden und von Gesteinsmassen überrollen lässt: Während der Nazizeit sterben in den Kapruner Alpen hunderte von Zwangsarbeitern beim Bau eines Wasserkraftwerks, 1994 kippt in München ein Linienbus in einen Krater, der sich infolge von U-Bahnarbeiten jäh aufgetan hat. Und 2009 erleiden das Kölner Stadtarchiv und ein paar anliegende Gebäude ein ganz ähnliches Schicksal. Karin Beier, die viel gelobte und oft gefeierte Intendantin des Kölner Schauspielhauses, hat diesen giftigen Abgesang auf eine übermächtige Zivilisation furios und wütend und auch sehr komisch inszeniert.
Ganz schön böse
Das Theatertreffen 2011 ist, so kann man in seinem Programmheft lesen, "ganz schön böse". Es setzt auf Stücke voller Leidenschaft, die politisch unkorrekt sind und deshalb gerne mal unter den Tisch gekehrt werden. Als größter leibhaftiger Bösewicht wird ein eigentlich überaus netter Erdenbürger angekündigt - Herbert Fritsch, 60 Jahre alt, Schauspieler und neuerdings auch Regisseur. Mit seinen radikal genüsslich konsequenten Inszenierungen hat er der Theaterlandschaft zwischen Schwerin und Oberhausen eine frische neue Farbe verliehen und darf zum Dank in Berlin gleich zwei Arbeiten präsentieren: Gerhard Hauptmanns "Der Biberpelz" und Ibsens "Nora".
Fritsch, ein junger Regisseur, wenn auch kein junger Mann mehr, ist nur einer, der während dieses Theatertreffens eine eigene, neue Handschrift präsentieren darf. Zu ihm gesellen sich die jungen, aber schon altbekannten Regisseure Stefan Bachmann und Stefan Pucher; Pucher hat Arthur Millers "Tod eines Handlungsreisenden" am Schauspielhaus Zürich mit hervorragenden Schauspielern und historischer Distanz inszeniert, Bachmann zeichnet in "Die Beteiligten", inszeniert am Wiener Burgtheater, ein bitterböses Bild der sensationsgeifernden Mediengesellschaft.
Alles anders
"Alles anders, alles neu", das sei das inoffizielle Motto dieses 48. Theatertreffens, sagt Leiterin Iris Lauffenberg. Anders als in den Vorjahren ist die für die Auswahl dieser Leistungsschau verantwortliche Jury unabhängiger Kritiker und Kritikerinnen nämlich auch in der vermeintlichen Provinz fündig geworden. Und belegt etwa mit einem in die Gegenwart zielenden "Don Carlos" aus Dresden (Regie: Roger Vontobel), wie kreativ die deutschsprachige Theaterszene auch jenseits von München, Wien und Zürich ist.
Beinahe konsequent scheint es denn auch, dass die aufs Neue, Andere ausgerichtete Jury keine Inszenierungen der Berliner Staatstheater geladen hat, sondern Arbeiten der freien Szene zur Diskussion stellt. Zum einen "Verrücktes Blut", Nurkan Erpulats aberwitzige Komödie vom Zusammenprall der Kulturen, und "Testament", das die PerformerInnen der freien Gruppe "She She Pop" nach Shakespeares Lear und am Theater Hebbel am Ufer auf die Bühne gestemmt haben. Vor der Folie des Klassikers stehen sie mit ihren Vätern auf der Bühne und diskutieren mit ihnen deren Testament.
18 Tage lang dreht sich in Berlin ziemlich viel ums Theater. Insgesamt 82 Veranstaltungen stehen auf dem Programm des Festivals - neben Gastspielen der zehn bemerkenswerten Inszenierungen gehören dazu auch Diskussionen, Workshops und szenische Lesungen junger Dramatik. Zum Abschluss des Theatertreffens ist schließlich "Via Intolleranza II" des im vergangenen Jahr gestorbenen Regisseurs Christoph Schlingensief zu sehen.
Autorin: Silke Bartlick
Redaktion: Sabine Oelze