Alkohol, ein Nervengift
30. Dezember 2015Sekt schmeckt, hebt die Laune, macht vielleicht locker und gesprächig - auf jeden Fall aber wirkt der darin enthaltene Alkohol auf das Gehirn und auf den Körper.
Etwa zwei Prozent des Alkohols nimmt der Mensch schon kurz nach dem Trinken auf - über die Mundschleimhaut. Den größten Teil, hingegen schluckt er herunter. Etwa 20 Prozent werden von der Magenschleimhaut aufgenommen, der Rest erst im Dünndarm. Durch die Schleimhäute wird er absorbiert und dann über das Blutsystem an die Leber geleitet. "Die Leber ist schon mal die erste, wichtigste Station. Dieses Organ verfügt über Enzyme, die Alkohol abbauen können", erklärt der Heidelberger Forscher Helmut K. Seitz.
Die Leber transportiert Giftstoffe aus dem Körper. Alkohol gehört dazu. Bei der ersten Passage durch die Leber baut diese nicht den gesamten Alkohol ab. Ein Teil geht wieder hinaus und gelangt dann in alle anderen Organe. "Das betrifft beispielsweise die Bauchspeicheldrüse, die Muskulatur, die Knochen, und es führt zu entsprechenden Veränderungen", so Seitz. Alkohol könne über 200 Krankheiten verschlechtern oder sogar verursachen.
Was passiert im Gehirn?
Zu viel Alkohol im Körper wirkt sich vor allem auf das Gehirn aus: Die Wahrnehmung ist verzerrt, das Urteilsvermögen getrübt, das Konzentrationsvermögen nimmt ab. Zugleich sinkt die Hemmschwelle. Vielleicht kommt ein angenehm sorgloses Gefühl auf. Zu viel des Guten aber kann zu Rauschzuständen führen bis hin zur Bewusstlosigkeit. Besonders schlimm hat sich das beim exzessiven "Komasaufen" unter Jugendlichen gezeigt. Depressionen und Aggressionen werden stärker. Die traurige Konsequenz: Weltweit nehmen Alkoholmissbrauch, Unfälle und Gewalt unter dem Einfluss von Alkohol zu. Etwa 3,3 Millionen Menschen sterben pro Jahr dadurch.
Wenn der Alkohol durch den Körper zirkuliert, trifft er auch auf das Gehirn. Etwa sechs Minuten dauert es, bis er dort angekommen ist. "Das Molekül Alkohol-Ethanol ist ein kleines Molekül. Es ist im Blut, in allen Wasseranteilen, es ist wasserlöslich. Der Mensch besteht zu 70 bis 80 Prozent aus Wasser, der Alkohol verteilt sich darin und gelangt so ins Gehirn."
Alkohol beeinflusst die so genannten Neurotransmitter. Das sind Substanzen, die an den Nervenenden im zentralen Nervensystem übertragen werden. Unter Alkoholeinfluss kommt es zu einer falschen oder veränderten Übertragung.
So können akute Schäden eintreten. Ist die Situation chronisch, also bei regelmäßigem Konsum über Jahre oder sogar Jahrzehnte hinweg, sind die Schäden entsprechend schlimmer: "Es kommt zu Störungen bei Vitaminen und Spurenelemente, die im zentralen Nervensystem eine große Rolle spielen. Das Vitamin B1 zum Beispiel brauchen wir ganz dringend in unserem Gehirn. Fehlt es, kann das zum Korsakow-Wernicke-Syndrom führen."
Das ist eine Erkrankung des zentralen Nervensystems. Durch Alkoholismus kommt es dabei zu einem Mangel an Vitaminen und dadurch wiederum zu Krankheiten. Im Gehirn können die Auswirkungen von Alkoholmissbrauch bis zur Demenz führen.
Was passiert im Körper?
In Mund und Rachen greift Alkohol die Schleimhäute an, zum Beispiel in der Speiseröhre. Die kann den Körper nicht mehr gegen giftige Stoffe schützen. Die Leber aber, die dafür zuständig ist, Gifte abzubauen, konzentriert sich zuerst einmal darauf, den Alkohol abzubauen. Andere toxische Substanzen werden gar nicht erst beachtet.
Das könne erhebliche Folgen haben wie eine schwere Bauchspeicheldrüsenentzündung, so Experte Seitz. "Denken wir an Krebsarten, Tumoren von Mundhöhle, Rachen, Kehlkopf, Speiseröhre, aber auch Krebse der Leber oder der weiblichen Brust. Man vergisst häufig, dass Alkohol ein Risikofaktor für Brustkrebs bei der Frau ist und auch ein Risiko für den Dickdarm."
An erster Stelle aber stehe die Leberzirrhose. Wenn Alkohol in der Leber abgebaut wird, entstehen dort gleichzeitig toxische Produkte. Die schädigen die Leberzellen. Ungefähr 20.000 bis 30.000 Menschen sterben allein in Deutschland jährlich an einer solchen Leberzirrhose. "Alkohol wird in der Leber abgebaut, und dann denkt man, das Gift sei weg.
Aber es gibt ein Abbauprodukt, ein Zwischenprodukt quasi. Das ist das Acetaldehyd, eine Substanz, die auf kleinste Anlässe reagiert, vieles zerstören und unter anderem sogar Erbschäden auslösen kann." Es sei ein gefürchtetes Stoffwechselprodukt von Alkohol, so Seitz weiter, und eine krebserzeugende Substanz.
Mehr als nur ein Gläschen
Allein in Deutschland werden 11,8 Liter reiner Alkohol pro Kopf im Jahr konsumiert. Das entspricht umgerechnet 500 Flaschen Bier - pro Person wohlgemerkt. In Großbritannien und Slowenien sind es mit jeweils etwa 11,6 Litern geringfügig weniger. Die Menschen in Irland und Luxemburg wiederum trinken etwas mehr als die Deutschen, 11,9 Liter im Durchschnitt. Das ist das Ergebnis einer WHO-Studie. Weißrussland nimmt dabei einen fragwürdigen ersten Platz ein. Dort werden jährlich 17,5 Liter reiner Alkohol getrunken. Ganz unten auf der Skala liegen Länder wie Pakistan, Kuwait, Libyen und Mauretanien mit jeweils 0,1 Liter pro Person und Jahr. Eine ganz andere Situation herrscht in manchen asiatischen Ländern.
Asiaten und Alkohol
Etwa 40 Prozent aller Japaner, Koreaner und Chinesen fehlt ein Enzym, das Acetaldehyd abbaut. Damit fehlt ihnen eine wichtige Voraussetzung zum Abbau des Alkohols im Körper. "Alkohol wird zu Acetaldehyd umgewandelt und Acetaldehyd zu Essigsäure. Wenn aber Acetaldehyd nicht zu Essigsäure umgewandelt wird, dann akkumuliert Acetaldehyd.
Viele Asiaten können es wegen dieser genetischen Disposition eben nicht abbauen. Das kann zu Kopfschmerzen führen, zu Übelkeit, Erbrechen, Zittern, ihr Gesicht wird ganz rot", erklärt Seitz. Er habe einige Freunde aus Japan, die davon betroffen sind. "Sie trinken trotzdem Alkohol und müssen dann sogar erbrechen." Zehn Prozent können gar keinen Alkohol trinken, denn ihnen wird wirklich furchtbar übel. So sind sie aber gegenüber jeglicher Art von Alkoholvergiftung geschützt.
Alkohol habe aber auch eine gute Seite, wenn auch nur eine einzige, so der Alkoholforscher: "Es wirkt günstig auf die Arteriosklerose, auf die Verkalkung der Gefäße. Wenn Sie etwas älter sind und ein Risiko für einen Herzinfarkt haben oder vielleicht schon einen Infarkt hatten, dann ist wahrscheinlich ein Glas Wein am Abend nicht schlecht, aber nicht mehr." Und das wusste auch schon Paracelsus.
Der Mediziner, Heiler und Theologe predigte schon Anfang des 16. Jahrhunderts: "All Ding sind Gift, und nichts ist ohne Gift, allein die Dosis macht, dass ein Ding zum Gift wird." Also, wie bei so vielem: die Menge macht's.