Berlin sucht den Draht zu Bouteflika
17. September 2018Offiziell geht es bei der Reise vor allem um den Ausbau der Handelsbeziehungen. Der Besuch biete die "Gelegenheit einer Bestandsaufnahme der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Algerien und Deutschland" und für deren Stärkung, heißt es bei der algerischen Nachrichtenagentur APS.
Und da ist durchaus Luft nach oben. Bei den Importen steht Deutschland an fünfter Stelle hinter China und den nördlichen Mittelmeer-Anrainerstaaten Frankreich, Italien und Spanien. Bei den Exporten dagegen rangiert Deutschland unter ferner liefen. Mit Abstand wichtigste algerische Exportprodukte sind Öl und Gas.
Doch bei Angela Merkels Verhandlungen mit Präsident Abdelaziz Bouteflika und Regierungschef Ahmed Ouyahia dürfte es auch um das Thema Migration gehen. Algerien ist das mit Abstand größte Land der Region, es grenzt im Süden an Mali und Niger, über die viele Migranten in Richtung Mittelmeer ziehen, um von dort aus nach Europa zu kommen.
In Algerien sind sie nicht gern gesehen. Im Juli hatte die Internationale Organisation für Migration Algerien vorgeworfen, es habe Menschen in der Wüste an der Grenze zu Niger einfach sich selbst überlassen, was Innenminister Noureddine Bedoui entrüstet zurückwies. Aber auch Algerier suchen ihr Glück in Europa, obwohl die Anerkennungsquote bei algerischen Asylbewerbern in Deutschland nur bei rund zwei Prozent liegt, ähnlich niedrig wie bei Tunesiern und Marokkanern.
Sicheres Herkunftsland?
Deshalb will die Bundesregierung die Maghreb-Staaten als sogenannte "sichere Herkunftsstaaten" einstufen. Bei Antragstellern aus diesen Ländern wird vermutet, dass sie nicht verfolgt werden und daher keinen Asylanspruch haben. Sie können aber in einem Asylverfahren diese Vermutung widerlegen. Die Bundesregierung erhofft sich davon nicht nur eine Beschleunigung des Asylverfahrens und schnellere Abschiebungen, sondern auch das Signal an potenzielle Auswanderer und Asylbewerber aus der Region, dass ihre Chancen gering sind.
Die Regierung braucht für diese Einstufung aber die Zustimmung des Bundesrates, also der Länder. Und mehrere Regierungen, an denen die Grünen beteiligt sind, sind dagegen. Die Grünen kritisieren, dass in Marokko, Algerien und Tunesien Homosexuelle, Oppositionelle und Journalisten verfolgt würden und diese Länder daher nicht sicher seien.
Barbara Lochbihler, die menschenrechtspolitische Sprecherin der Grünen im Europaparlament, sagte der Deutschen Welle: "Wenn wir schauen, was das Bundesverfassungsgericht in einer Grundsatzentscheidung festgelegt hat, was man braucht, um als sicheres Herkunftsland zu gelten, dann muss man schauen, wie ist die Rechtsanwendung, wie sind die allgemeinen politischen Verhältnisse, wie ist die Rechtslage, und man kann nicht davon ausgehen, dass es ein sicheres Herkunftsland ist."
Doch selbst wenn diese Einstufung in Deutschland gelänge, "nützen die schönsten Gesetze nichts (…), wenn diese Länder sich unverändert weigern, ihre Bürger zurückzunehmen", so der niedersächsische SPD-Ministerpräsident Stephan Weil vor rund einer Woche gegenüber den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Merkel steht unter Druck, ein Rücknahmeabkommen auch mit Algerien zu schließen. Weil sagte in dem Interview, es gebe "handfeste ökonomische Gründe", warum sich die Maghreb-Staaten oft weigerten, ihre Staatsbürger zurückzunehmen, nämlich weil diese viel Geld in ihre Heimatländer schickten.
Einseitige Abhängigkeit vom Öl
Genau hier setzt Merkels Afrika-Strategie an, die auch für ihre Reise nach Algerien gilt: Sie will einen Beitrag zur Entwicklung des Landes leisten, um die Fluchtursachen zu bekämpfen. Algeriens Probleme, das sind zum Beispiel die hohe Arbeitslosigkeit, vor allem unter jungen Leuten. Mehr als jeder vierte Algerier unter 30 ist arbeitslos, und diese Altersgruppe macht mehr als zwei Drittel der Bevölkerung aus.
Ein Problem ist auch die einseitig ausgerichtete Wirtschaft. Auch wenn die Regierung seit Jahren verspricht, die hohe Abhängigkeit vom Energiesektor zu verringern und die Wirtschaft zu diversifizieren, ist davon bisher wenig passiert. "Unser Land braucht einen schnelleren Übergang zu einer Wissens- und Innovationsökonomie", sagte Aliu Haddad, der Chef des größten algerischen Unternehmerverbandes, kürzlich bei einer Konferenz.
Nach wie vor tragen Öl und Gas zu rund 95 Prozent der Exporteinkünfte bei. "Die Arbeitslosenquote erklärt sich aus dem schwachen Wachstum außerhalb des Energiesektors", heißt es im jüngsten Weltbankbericht über Algerien. Dort steht auch, neben jungen Leuten seien vor allem gut ausgebildete Arbeitskräfte und insbesondere Frauen von Arbeitslosigkeit betroffen. Immerhin, wieder gestiegene Erdölpreise haben dem Land auch wieder höhere Einkünfte beschert.
Ausbaufähig ist auch der Tourismus. Im Gegensatz zu den Nachbarn Tunesien und Marokko konnte Algerien bisher kaum Touristen ins Land locken. Und die ausländischen Investoren, die in Algerien außerhalb des Energiesektors tätig sind, klagen oft über zu viel Bürokratie. Hier ergeben sich möglicherweise weitere Ansatzpunkte für die algerisch-deutschen Verhandlungen.
Ein Hort der Stabilität - aber zu einem Preis
Auf der Habenseite ist Algerien ein enger Verbündeter des Westens im Kampf gegen islamische Extremisten und ein Hort der Stabilität - in krassem Gegensatz etwa zu dem gescheiterten Staat Libyen. Diese Stabilität hat allerdings ihren Preis, findet Barbara Lochbihler: "Immer wenn die Sicherheitskräfte oppositionelle Gruppen zusammentreiben oder verhaften, wird nach außen gesagt, das sei eine notwendige Maßnahme, Teil der Bekämpfung des Terrorismus, aber die Bewertung, was terroristisch ist, ist sehr, sehr vage."
Die Stabilität des Landes hängt nicht zuletzt vom Gesundheitszustand des 81-jährigen Präsidenten Bouteflika ab. Seit einem Schlaganfall 2013 sitzt er im Rollstuhl und tritt seit mehreren Jahren nicht mehr in der Öffentlichkeit auf. Auch Merkel holt jetzt einen Besuch nach, den sie schon vor anderthalb Jahren machen wollte. Im Februar vergangenen Jahres hatte die algerische Regierung einen geplanten Besuch Merkels wegen einer "akuten Bronchitis" von Bouteflika kurzfristig abgesagt.