Aleppos Schicksal auf der Kippe
9. Februar 2015Kilometerlange Bazare, eine der größten und prächtigsten Moscheen der Welt, eines der florierendsten Geschäftszentren mitten im Nahen Osten – das war Aleppo bis Ende 2011. Dann kam der Bürgerkrieg. Das Stadtzentrum, seit 1986 stolzes UNESCO-Weltkulturerbe, existiert praktisch nicht mehr. Die Lage in Aleppo hat sich dramatisch zugespitzt: 50 Prozent der Einwohner sind geflohen, 80 Prozent der Altstadt liegen in Trümmern und sind vernichtet. Selbst die berühmte, früher uneinnehmbare Zitadelle im Stadtzentrum wurde bombardiert, beschossen, verbrannt. Dass hier wieder eine lebendige Stadt entstehen soll, es scheint kaum möglich.
Berliner Konferenz: Wiederaufbau Aleppos, trotz Krieg
Schon im Oktober 2013 schlug Mamoun Fansa, Archäologe und Professor für Geschichte an der Universität Oldenburg, in seinem Buch "Aleppo – Ein Krieg zerstört Weltkulturerbe" Alarm und erregte damit weltweit Aufsehen. Er war am vergangenen Wochenende Teilnehmer einer Tagung in Berlin, auf der Stadtplaner, Architekten, Kulturschaffende und Bauexperten sich Gedanken um die Zukunft Aleppos machten – Strategien für den Wiederaufbau, während in der Stadt noch weiter gekämpft wird.
"Ich kann nicht warten, ich muss irgendwas tun“, sagt der in Aleppo geborene Mamoun Fansa. Seit drei Jahrzehnten lebt er in Deutschland, war lange Direktor am Landesmuseum Natur und Mensch in Oldenburg und widmet sich nun wieder mehr seiner Heimat, was nicht alle gut finden. "Man attackiert mich, viele meiner Professorenkollegen verstehen nicht, dass man gerade jetzt etwas für Aleppo tun muss – auch wenn es noch keinen konkreten Plan gibt. Niemand hat einen Plan. Aber nach einem Friedensschluss wäre es zu spät, sich um Aleppo Gedanken zu machen", betont er.
Deutsche Stadtplaner könnten Aleppo retten
Das Schicksal und die Zukunft der Stadt stehen auf der Kippe: Doch Deutsche Stadtplaner und Archäologen könnten hier Einfluss nehmen und so das Weltkulturerbe retten: 17 Jahre lang, von 1994 bis zum Ausbruch des Bürgerkriegs 2011, waren sie vor Ort und leiteten gemeinsam mit der syrischen Aga Khan Stiftung die Restaurierung dieser grandiosen Stadt: vermaßen, notierten und sicherten dabei auch die alten Stadtpläne mit ihren kleinteiligen Parzellen.
"Viele Bauwerke waren damals schon verfallen, weil die syrische Oberschicht längst aus der Stadt ausgezogen war", sagt Anette Gangler von der Universität Stuttgart. Es musste erst mal ein Bewusstsein für das kulturelle Erbe geschaffen werden. "Doch dann hat es angefangen, Investitionen zu geben, vor allem für die Entwicklung des Tourismus. Hier waren Ansätze da, die uns alle bewogen haben, daran zu glauben, dass diese Stadt wieder prosperiert."
Luftkrieg gegen die eigene Bevölkerung
Ein Irrglaube. Der Krieg breitete sich bis nach Aleppo aus. Gekämpft wurde nicht nur von Straße zu Straße und Stadtteil zu Stadtteil; die Regierungsarmee ließ Aleppo auch per Flugzeug bombardieren. Dabei ging es nicht nur um Rebellen, sondern auch darum Areale zu planieren, die später nach einem Friedensschluss profitabel wieder aufgebaut werden sollen. Die Regierung hat Einträge im Katasteramt gelöscht, um die rechtmäßigen Besitzer an der Rückkehr zu hindern. Offenbar soll so Platz für Investoren geschaffen werden, die nach Kriegsende profitträchtig einsteigen können.
Das Regime Assad hat seine Rechnung allerdings ohne die deutschen Experten gemacht. Denn das Katasteramt von Aleppo und viele andere Unterlagen wurden vom Team um Anette Gangler digitalisiert – und sind damit in Deutschland abrufbar. Besitzverhältnisse können so rekonstruiert werden.
Berliner Tagung: "Aleppo darf kein zweites Beirut werden"
Hilmar von Lojewski, Beigeordneter des Deutschen Städtetags und langjähriger Syrien-Experte, fordert ein Moratorium. Es dürfe nach Kriegsende nicht weiter gebaut werden, damit keine wild wuchernden Großprojekte entstehen. "Aleppo darf kein zweites Beirut werden", so der Tenor der Berliner Tagung.
Beirut, bis zum libanesischen Bürgerkrieg eine der schönsten Städte des Nahen Ostens, zeigt, wie Stadtplanung grandios scheitert, wenn man einzelnen Geschäftsinteressen freie Hand lässt. Dort wurden Luxuswohnungen und Boutiquen ins Stadtzentrum geholt, Häuser abgerissen und die ursprüngliche Bevölkerung vertrieben.
Wenn Aleppo kein arabisches Disneyland werden soll, muss dringend geplant werden. Das klingt verwegen. Aber so einsam, wie es vielleicht scheint, sind die Berliner Planer gar nicht. Auch an der Architekturfakultät in Aleppo wird schon heute – unter freilich sehr ungewöhnlichen Umständen – an der Zukunft der Stadt gefeilt. Ein nächstes Treffen soll unter den Experten schon im März in Beirut stattfinden, mit Unterstützung des Goethe-Instituts.