Die Angst vor den Geiern
27. März 2020Beim Bundesverband für Fusionen und Übernahmen sieht es gerade ähnlich düster aus wie überall. Einige kleinere Mitglieder hätten bereits um eine Verschiebung oder Stundung ihrer Jahresbeiträge gebeten, erzählt Geschäftsführer Kai Lucks.
Eigentlich verfolgen die Mitglieder seines Verbandes ein einträgliches Geschäft, doch in der Corona-Krise sind die meisten geplanten Fusionen oder Übernahmen auf Eis gelegt. Angesichts vieler Firmen, die geschwächt aus dem Shutdown der Wirtschaft hervorgehen, stehen ganze Branchen vor turbulenten Zeiten - Abwicklungen und Übernahmen könnten folgen. Doch wann? "Wir schauen alle in den Nebel", so Lucks im Gespräch mit der DW.
Der Jurist Marc Löbbe hingegen verspürt derzeit bereits wieder ein verstärktes Interesse aus China. Für die Kanzlei Schilling, Zutt & Anschütz berät er Dax-Konzerne und den gehobenen Mittelstand bei Übernahmen und Fusionen. Es gebe bereits Anfragen, aber noch keine "Transaktionen" - wie Übernahmen und Fusionen in der Welt der Juristen genannt werden.
"Make no mistake about it"
Die Angst vor einem zunehmenden ausländischen Einfluss auf deutsche Unternehmen geistert derzeit vor allem durch die Politik. Bei der Vorstellung des Corona-Hilfspakets für die deutsche Wirtschaft an diesem Montag wechselte der deutsche Wirtschaftsminister Peter Altmaier kurz ins Englische - wohl auch um sich bei den Zuhörern im Ausland Gehör zu verschaffen. "Make no mistake about it", sagte Peter Altmaier und schaute entschlossen in die Kameras. Das sollte wohl so viel heißen wie: "Lasst Euch das ganz deutlich gesagt sein." Adressiert war das an die, wie er sagte, "Hedgefonds, die sich bereits darauf freuen, das ein oder andere zu erwerben". Denen will es Altmaier so schwer wie möglich machen.
Die Brandmauer bildet der nun verabschiedete 600 Milliarden Euro schwere Wirtschaftsstabilisierungsfonds für mittlere und größere Unternehmen. Geraten deutsche Firmen in Zahlungsnöte, kann die Bundesregierung sie mit Krediten absichern. Man wolle so wenig wie möglich in Märkte eingreifen, so Altmaier. Von dem Fonds solle ein "starkes Signal" ausgehen, "dass wir im Bedarfsfall auch handeln werden."
Der Übernahme-Experte Löbbe findet in der aktuellen Situation einen gewissen Schutz sinnvoll. "Aber man muss aufpassen, dass man da jetzt keine Unternehmen stützt, die nicht wegen der Coronakrise, sondern aus anderen Gründen in Schwierigkeiten geraden sind." Auch bräuchten deutsche Unternehmen weiterhin ausländische Investoren. "Wir wollen da keinen 'Closed-Shop'", so Löbbe.
Thilo Brodtmann, Hauptgeschäftsführer des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA), rät schon jetzt, an die Zeit nach Corona zu denken. Es solle nun keine "Regelungswut" entfacht werden, "die uns in ein paar Monaten dann wieder ärgert". Bei seinen meist mittelständischen Mitgliedern mache man sich noch keine Sorgen vor Übernahmen, so Brodtmann in einer E-Mail an die DW.
Einfluss durch die Hintertür
Nicht nur direkte Übernahmen - beispielsweise eines Mittelständlers - sind eine Option. Auch über Aktienzukäufe können sich ausländische Investoren Einfluss in deutschen Konzernen sichern. Durch die Coronakrise sind fast alle Aktienkurse eingebrochen. Deutschlands größtes Geldhaus, die Deutsche Bank, wurde zeitweise mit nur noch zehn Milliarden Euro bewertet. Die Lufthansa lag bei gerade einmal vier Milliarden. Für so manchen chinesischen oder saudi-arabischen Staatskonzern wahre Schnäppchen.
"Momentan Übernahmeangebote zu machen, ist natürlich ein großes Risiko, weil die Kurse sehr volatil sind", gibt der Jurist Löbbe zu bedenken. Viele nutzten aber die aktuell niedrigen Aktienkurse deutscher Unternehmen, um ihre Beteiligungen aufzustocken.
Auch der Aktienkurs des deutschen Premium-Autobauers Daimler hat mächtig Federn gelassen. Die Bänder in Deutschland stehen derzeit still, je länger die Coronakrise dauert, desto kostspieliger die Situation. Daimler-Chef Ola Källenius gab sich Anfang der Woche in einem Handelsblatt-Interview optimistisch. Sein Unternehmen benötige keine Staatshilfen. Mehr Sorgen könnte er sich allerdings um den wachsenden Einfluss Chinas machen. Denn Großinvestoren wie der Geely-Gründer Li Shufu und der Pekinger Staatskonzern BAIC waren schon vor der Corona-Pandemie mit fast zehn beziehungsweise fünf Prozent am Unternehmen beteiligt. Auch die kuwaitische Regierung hält Anteile an Daimler.
Lehren aus der Finanzkrise
Auch für solche Fälle hat sich der deutsche Staat gerüstet. Im 600 Milliarden Euro schweren Corona-Paket sind 100 Milliarden für Staatsbeteiligungen vorgesehen. Gerät ein wichtiges Unternehmen in Schieflage, kann sich der Staat sogar direkt daran beteiligen. Konzerne würden so de facto teilverstaatlicht. Dieses Instrument wurde schon in der Finanzkrise angewandt.
Damals stützte der Bund die "systemrelevanten" Unternehmen, also Banken, und hält noch heute Anteile an der Commerzbank. Dieses letzte Mittel hält sich der Staat für die sogenannten "strukturrelevanten" Unternehmen vor. Noch ist nicht klar, welche Branchen und Firmen dazu zählen. "Das ist dann am Ende eine politische Bewertung, die getroffen werden muss", sagt Löbbe.
Solides Fundament
Kai Lucks vom Bundesverband Mergers & Aquisitions ev. glaubt, die Investoren seien eher kurzfristig abgeschreckt: "Das unkalkulierbare Problem für alle ist, dass niemand aktuell weiß, wo die Bundesregierung einschreitet". Mittelfristig sieht Lucks aber China im Vorteil. Dort würden die Unternehmen bereits wieder gesunden, "während wir hier noch in einer Wackelsituation sind". Das sei dann eine gute Gelegenheit, um einzukaufen.
Noch ist nicht abzusehen, wie lange das öffentliche Leben gelähmt ist und wie lange das staatliche Hilfspaket für die Unternehmen reicht. Viele Ökonomen und die Bundesregierung rechnen damit, dass Deutschland in eine tiefe Rezession rutscht. Marc Löbbe von der Kanzlei Schilling, Zutt & Anschütz glaubt aber, Deutschland sei mit den nun getroffenen Maßnahmen, gepaart mit dem "guten Fundament der deutschen Wirtschaft", besser aufgestellt als andere. Für sein Geschäftsfeld ist der Jurist insgesamt eher verhalten. Wie schon nach der Finanzkrise würden zwar neue Transaktionen entstehen. "Auf lange Sicht sind die aber geringer als bei einer gesünderen Wirtschaft."