Ai Weiweis erster Auftritt als Gastprofessor
1. November 2015Ob er definieren könne, was Kunst sei, wollte eine Zuhörerin bei der Anstrittsveranstaltung von Ai Weiwei als Gastprofessor an der Berliner Universität der Künste (UdK) wissen. In seinem Sessel auf dem Podium lehnte der 58-Jährige sich schweigend zurück. Nach einer Weile ließ er übersetzen: "Dazu bin ich nicht in der Lage, etwas zu sagen."
Das Publikum im Saal applaudierte. Bei seiner offiziell ersten Veranstaltung sprach Ai unter dem Titel "KUNST (lehren)" mit Lehrenden der UdK Berlin über sein Werk, seine Visionen und seine Studenten. Mit Ai Weiwei saßen Prof. Anna Anders, Videokünstlerin, der Kulturwissenschaftler Prof. Dr. Thomas Düllo, der Professor für zeitgenössischen Tanz und Choreografie, Nik Haffner, sowie der Kunstwissenschaftler Prof. Dr. Karlheinz Lüdeking auf dem Podium.
Ai Weiwei: "Es ist ein bisschen wie mit dem Sex"
Als das Publikum wieder stiller wurde, setzte Ai doch noch einmal an, die Frage zu beantworten: "Es ist ein bisschen wie mit dem Sex: Man kann viel Erfahrung haben, trotzdem fällt mir eine Definition äußerst schwer." Mit diesem Satz Ais endete seine erste offizielle Veranstaltung an der UdK, die dem Künstler sichtlich schwer fiel. Es sei eine Herausforderung, vor vielen Menschen zu besprechen, was er in seiner dreijährigen Gastprofessur vermitteln möchte, sagte Ai, aber er möge diesen offenen und demokratischen Weg.
Anhand visueller Impulse wie einem Globus, einem Backstein, einem Plattencover und einem leeren Notizbuch erstreckte sich die Diskussion auf dem Podium über den Drang im modernen China, alles Alte zu zerstören, den Kunstmarkt, auf den Ai nach eigener Aussage seine Schützlinge explizit nicht vorbereiten wolle, und Ais Passion, ständig Fotos und Videos zu machen. Er wolle der Nachwelt Beweismateraial zurücklassen. Spuren, aus denen sie sich selbst ein Bild machen könnte. So schieße er mittlerweile rund 50.000 Fotos im Jahr. Auch bei der Veranstaltung zückte Ai sein Handy und fotografierte, was er sah:
Auch die Bewerber für seine Klasse hat er bei den Auswahlgesprächen gefilmt. Eine Literaturempfehlung habe er für sie nicht, sagte Ai. Was er genau mit ihnen schaffen wolle, ließ er offen. Er wolle sie zunächst besser kennenlernen, um ihre Potenziale zu fördern.
16 von 100 Studenten hat Ai Weiwei ausgewählt
Für eine Aufnahme in seine Klasse konnten sich Studierende aller Fakultäten der UdK bewerben. Insgesamt habe es rund 100 Bewerber gegeben. 16 von ihnen hat der chinesische Aktionskünstler ausgewählt. Sie kämen aus den Bereichen Medien, Mode, Film, Design und Fotografie. Es sei unglaublich, was die Studierenden für eine breite Wissensbasis mitbrächten, betonte Ai bei einer Pressekonferenz vor der Veranstaltung.
Einige seiner Studenten seien "schon richtig gute Künstler". Von den Bewerbern habe Ai zunächst dasjenige Drittel ausgeschlossen, das Kunst als ein Ziel definiert habe. "In meiner Vorstellung ist Kunst nicht Ziel, sondern Mittel". Ein weiteres Drittel sei ausgeschieden, weil es ihn nach dem Geheimnis seines Erfolges gefragt habe; er könne selbst gar nicht beurteilen, ob er erfolgreich sei. Augenzwinkernd fügte Ai an, dass bei der letztendlichen Auswahl auch "sehr egoistische" Motive eine Rolle gespielt hätten. "Wir wollen ja alle eine gute Zeit zusammen verbringen".
Meinungsfreiheit wird nicht Thema bei Gastprofessur
Mit seinen Studenten wolle Ai Weiwei die Themen Meinungsfreiheit und Menschenrechte jedoch nicht behandeln. "Ich lehre an einer Kunstschule", unterstrich er vor Antritt seiner Professur. Er wolle verschiedene Projekte umsetzen, unter anderem zum Thema Flüchtlinge. Dabei solle der Fokus jedoch weniger auf dem "Heute" liegen, vielmehr sei das Thema Teil der Menschheitsgeschichte.
Der weltberühmte Künstler hatte in China immer wieder die Grenzen der Meinungsfreiheit ausgelotet und war dabei wiederholt mit Regierung und Behörden in Konflikt geraten. Im August bekam er nach vier Jahren Ausreiseverbot überraschend seinen Reisepass zurück und reiste kurz darauf nach München und Berlin, wo sein kleiner Sohn und dessen Mutter leben. Berlin bezeichnete er als "sehr interessante" Stadt, in der er sich wohlfühle. Künstler und alle anderen hätten hier "noch Zeit und Raum, um ihren eigenen Lifestyle zu leben".
Unterstützt durch seine Fangemeinde
Und auch die Berliner scheinen den Künstler zu schätzen: So unterstützten sie ihn bei seinem neusten Projekt und sammelten für ihn Lego-Steine. Denn die hatte ihm der dänische Lego-Konzern verwehrt und eine bestellte Großlieferung an Ai Weiwei mit dem Hinweis auf den politischen Charakter seines Projekts abgelehnt. Daraufhin hatte Ai Weiwei rund um den Globus Autos aufstellen lassen, in die Unterstützer wie in eine Spardose durchs Dach Bausteine einwerfen konnten. Die Lego-Steine will Ai Weiwei nutzen, um mit ihnen Porträts prominenter Bürgerrechtler nachzubauen. Diese sollen ab dem 11. Dezember in der Ausstellung "Andy Warhol/Ai Weiwei" in der Nationalgalerie des Bundesstaates Victoria im australischen Melbourne zu sehen sein.
Auch der UdK-Präsident Martin Rennert betonte bei Ais erster Veranstaltung: "Ich bin sehr, sehr glücklich, ihn hier zu sehen." Der Vorstandsvorsitzende der Einstein Stiftung, Günter Stock, sagte, die Stiftung sei besonders froh, mit Ai einen Künstler aus einem anderen Kulturkreis an die UdK geholt zu haben, von dem man etwas lernen könne. "Wir ermöglichen Studierenden, in Auseinandersetzung mit Ai Weiwei und seiner Arbeit die eigenen künstlerischen Positionen zu erweitern und zu hinterfragen", sagte Stock.
ld/pg (epd, dpa, Universität der Künste Berlin)