Kunst in China: mehr als Ai Weiwei
30. April 2014In Deutschland gibt es keinen neben ihm: Ai Weiwei, der Dissident aus Peking, ist unangefochten der berühmteste Künstler aus China. Und der einzige, den ein breiteres Publikum kennt. Man darf getrost sagen, dass es die chinesische Regierung war, die ihn hier so populär gemacht hat. Spätestens seit seiner Inhaftierung 2011 gab es eine Welle der Unterstützung - auch und gerade aus Berlin, wo er schon ein Atelier erwerben wollte, und wo er eine Gastprofessur innehat, die er nie antreten konnte.
Auch zur Eröffnung seiner bislang weltgrößten Ausstellung durfte er nicht anreisen: Seit Anfang April zeigt der Martin-Gropius-Bau "Evidence" - eine bildmächtige Anklage gegen Menschenrechtsverletzungen. Und alle pilgern hin: Mehr als 72.000 Besucher waren bis Anfang dieser Woche da, etwa so viel wie in den Blockbuster-Ausstellungen des renommierten Hauses. Und bald startet in den deutschen Kinos schon der zweite Dokumentarfilm über ihn. Welcher Künstler kann das schon von sich sagen?
Begegnung mit der Polizei
Doch kaum jemand im Westen weiß, dass in Peking eine höchst lebendige, rasant wachsende Kunstszene auch neben Ai Weiwei existiert. Mit witzigen oder provokativen, hintersinnigen oder sublimen, oft jedenfalls politischen Arbeiten loten Künstler die Grenzen des Möglichen aus. Einfach einen SUV zum gefälschten Polizeiauto umbauen und damit nachts durch Peking brausen? Sun Yuan und Peng Yu haben sich getraut. Einen Akt des Widerstands nennt das Kuratorin Guo Xiaoyan. Prompt traf das Pärchen auf die echte Polizei. "Sie hatten große Angst, aber es ist nichts passiert", erzählt Guo. "Die Polizei hat nichts gemerkt, denn es gibt immer wieder höhergestellte Leute, die ein Polizeiauto benutzen, einfach, damit sie freie Fahrt haben."
Das Video der satirischen Aktion ist nun in der Berliner Ausstellung "Die 8 der Wege" zu sehen. Der eigenwillige Titel spielt an auf die chinesische Glückszahl, aber auch an das Symbol für Unendlichkeit: Viele Wege führen zur Kunst. Das wird in der Schau deutlich. Oft zeigt sogar ein einziger Künstler völlig konträre Arbeiten – so wie He Xiangyu, Jahrgang 1986. Anderthalb Jahre lang hat er Coca-Cola einkochen lassen, 120 Tonnen Flüssigkeit, aus denen am Ende ein monströser, lavaartiger Klumpen giftiger Masse wurde. Sein trotziges Mahnmal gegen den Kapitalismus steht jetzt in Berlin.
Kratzen am Mythos Ai Wei Wei?
Wenige Meter davon entfernt liegt Ai Weiwei: gestürzt, mit dem Gesicht am Boden. Eine lebensechte Plastik, die He Xiangyu 2011, kurz nach der Inhaftierung Ais, anfertigte. Der Titel "The Death of Marat" erinnert an die Ermordung des französischen Radikal-Revolutionärs 1793 durch eine Anhängerin der königstreuen Girondisten. Ein mindestens doppelbödiges Statement zu Ai Weiwei, dem Opfer der chinesischen Politik. Oder ist es doch ganz anders? Dass Ai im blauen Anzug der chinesischen Funktionäre gezeigt wird, bringt zumindest die simplen Schemata von Opfer und Täter, Gut und Böse durcheinander. Kratzt hier jemand aus der jungen Generation am Mythos des Mannes, der so schön in die westlichen Erwartungen passt?
Menschenrechtskämpfer, die so lautstark Missstände anprangern wie Ai Weiwei, sind in der Berliner Schau nicht zu finden. "Die chinesische Art ist eher ein Um-die-Ecke-Denken, es ist nicht das Direkte", sagt der deutsche Kurator Andreas Schmid, der lange in China gelebt hat und die Szene seit 30 Jahren beobachtet. "Die Art von Ai Weiwei ist für uns im Westen interessant, er wurde in den USA sozialisiert. Aber für viele Chinesen ist seine Art nicht die richtige, mit Problemen umzugehen."
Sex und Überwachung
Die jungen Künstler in Peking jedenfalls haben dafür viele Möglichkeiten gefunden. Manchmal subtil, manchmal explizit – so wie Yang Junling. Er thematisiert seine Homosexualität in einem grellen Gemälde, das ein schwules Pärchen beim Sex im Freien zeigt – umgeben von Überwachungskameras. "I will monitor your morale all the time" - ich werde deine Moral jederzeit überwachen, nennt er das Bild. Wie alle anderen Arbeiten der Berliner Schau wurde es übrigens in China ausgestellt.
Zwischen Zensur und Anarchie
Ob totale Überwachung, Umweltzerstörung, Machtmissbrauch oder Militarismus - viele Themen der Ausstellung sind weit über China hinaus virulent. Erschreckend aktuell wird das bei Sun Yuan und Peng Yu, die in einer Video-Arbeit zeigen, wie Männer gekonnt mit verbundenen Augen Gewehre in Einzelteile zerlegen und zusammenbauen: ein bissiger Kommentar zum Waffenkult. Eigentlich sollte die Arbeit in China entstehen - oder in den USA. Doch in beiden Ländern stieß das Künstlerpaar auf Widerstände. Geklappt hat es schließlich in der Ukraine.
Längst sind die globalen Diskurse bei Pekings Künstlern angekommen, auch wenn sie sich nicht immer so direkt äußern wie Ai Weiwei. "Über Bande spielen" ist häufig die Taktik. In den Berliner Uferhallen sind reichlich Beispiele zu sehen. Doch während man bei Ai längst weiß, was zu erwarten ist, bietet diese Ausstellung noch Überraschungen: Momentaufnahmen in einer Zeit, in der zwischen Unterdrückung und künstlerischer Anarchie fast alles passieren kann.