Afrikas Freihandel: Das Chaos im Kleinen
9. August 2019Die Kreuzung in Ngueli, einem Viertel in der tschadischen Hauptstadt N'Djamena, ist heillos verstopft. Sie führt auf die Brücke, über die man in die kamerunische Stadt Kousseri gelangt. Zahlreiche Händler machen hier ihre Geschäfte mit dem Nachbarland. Souleymane Djabo ist einer von ihnen. Obwohl beide Staaten - sowohl der Tschad als auch Kamerun - der Zentralafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft angehören, wird Djabo immer wieder von Zollbehörden und Polizei schikaniert. Das neue panafrikanische Freihandelsabkommen beeindruckt ihn deshalb kaum: "Ich glaube nicht an eure Geschichte des freien Handelns", sagt er der DW. Seit über zehn Jahren benutze er die Straße von N'Djamena nach Kousseri. Seine Erfahrungen sind ernüchternd: "Weil wir keine anderen Berufe finden, um unsere Familien zu ernähren, akzeptieren wir hier an der Ngueli-Brücke alle möglichen Demütigungen. Mir wurden meine Waren weggenommen, ich wurde sogar von Zollbeamten oder Polizisten verprügelt. Mehrere Male."
Die weltweit größte Freihandelszone
Am 7. Juli hat die Afrikanische Union (AU) in Niamey, der Hauptstadt Nigers, das kontinentale Freihandelsabkommen AfCFTA offiziell auf den Weg gebracht. Es war der Startschuss zur weltweit größten Freihandelszone. Außer Eritrea haben alle afrikanischen Staaten das Abkommen unterzeichnet. Auch ökonomische Schwergewichte wie Südafrika und Nigeria, die dem Vorhaben zunächst skeptisch gegenüber standen, haben schließlich ihren Beitritt erklärt.
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Ein Binnenmarkt, der 1,2 Milliarden Menschen umfassen wird, soll entstehen. Ziel ist die "wirtschaftliche Integration" des Kontinents. Ist der innerafrikanische Handel heute durch hohe Einfuhrzölle und Bürokratie-Hürden geprägt, soll er in Zukunft vereinfacht werden. "Dabei geht es um die Freizügigkeit des Waren- und Dienstleistungshandels und die Personenfreizügigkeit", sagt Robert Kappel, Professor emeritus an der Universität Leipzig am Institut für Afrikastudien, im DW-Gespräch.
Der zweite Schritt vor dem ersten
Der Afrikanist glaubt, dass der Freihandelsvertrag dem wirtschaftlichen Wachstum Afrikas einen Schub geben könnte. Zugleich könne er die Abhängigkeit von europäischen und chinesischen Märkten reduzieren. "Denn durch die schrittweise Öffnung der Märkte untereinander kann der Handel innerhalb Afrikas sich stark erhöhen. Er liegt gegenwärtig nur bei 14 bis 15 Prozent. Also sehr niedrig im Verhältnis zu anderen Kooperationsverbünden." Zum Vergleich: In der EU beträgt der innereuropäische Anteil am Handel bei circa 65 Prozent.
Doch kann dieses ambitionierte Vorhaben gelingen? Wirtschaftsprofessor Prosper Honest Ngowi von der Mzumbe Universität in Daressalam, Tansania, hat seine Zweifel. Denn jede der derzeitigen regionalen Vereinigungen, wie etwa die Ostafrikanische Gemeinschaft EAC, die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS oder die Entwicklungsgemeinschaft des südlichen Afrika SADC, habe ihre eigenen Prioritäten. "Ich glaube, dass die ostafrikanischen Länder zum Beispiel der Ostafrikanischen Gemeinschaft Vorrang vor der afrikanischen Freihandelszone einräumen werden", sagt Ngowi. Seiner Meinung nach sollten zuerst die regionalen Verbünde gestärkt werden: "Erst wenn diese stark genug sind, können sie den Weg zu einem kontinentalen Handelsblock ebnen."
Acht regionale Wirtschaftsbündnisse konkurrieren
Derzeit gibt es acht verschiedene regionale Wirtschaftsbündnisse in Afrika. Sie alle haben unterschiedliche Handelsabkommen untereinander und unterschiedliche Ideen von Freihandel. In diesen Regionalbündnissen sei die wirtschaftliche Integration in der Tat sehr schleppend vorangegangen, sagt Robert Kappel. Denn: "Die jeweils großen Nationen wie Südafrika im südlichen Afrika, Nigeria im westlichen Afrika oder Kenia im östlichen Afrika haben nicht so wahnsinnig viel Drive in die regionalen Abkommen gegeben."
Der bisherige Misserfolg habe aber auch mit schwachen Institutionen zu tun: "Die Nationalstaaten haben viel größeren Einfluss als die jeweiligen Institutionen der Regionalverbände." Betrachte man die regionalen Verbünde, dann könne man schon daran zweifeln, dass der erhoffte große Durchbruch sofort erreicht werde, so Kappel. "Handelsfragen sind sehr komplex", gibt er zu bedenken. Dabei achte zudem jedes Land auf seine eigenen Interessen wie Zolleinnahmen und den Schutz nationaler Unternehmen vor internationaler Konkurrenz. Die Frage sei, ob die einzelnen Akteure bereit seien, ihre Schutzmaßnahmen aufzugeben.
Ostafrika und die Hoffnung auf Verbesserung
Als positives Beispiel könne aber die EAC dienen, sagt Kappel. "Die haben Schritt für Schritt die Handelsliberalisierung und eine Senkung der Zölle eingeführt. Sie sind die nichttarifären Handelshemmnisse angegangen, haben also Schutzmaßnahmen der einzelnen Länder reduziert, sodass die Integration vorangehen konnte." Außerdem habe die EAC Infrastrukturmaßnahmen angestoßen - laut Kappel eine der wichtigsten Voraussetzungen für stärkeren intraregionalen Handel. Denn die Transport- und Handelskosten der afrikanischen Länder untereinander seien im Schnitt viermal höher als im Handel mit der Europäischen Union.
Khadidja Mariam handelt wie Souleymane Djabo auf der Brücke zwischen dem Tschad und Kamerun. Sie hofft auf Verbesserung durch die neue Freihandelszone: "Wenn dieses Abkommen in Kraft tritt, wäre es eine Erleichterung für uns, die Händlerinnen. Wir haben auf dieser Straße wirklich zu viel gelitten."
Mitarbeit: Blaise Dariustone (N'Djamena), Daniel Gakuba