Afrikas digitales Dilemma
31. Mai 2019Knallgelb ist die Signalfarbe des in Südafrika ansässigen Telekommunikationsunternehmens MTN. "Y'ello" lautet auch der Slogan, der auf den Werbetafeln entlang der Autobahnen günstige Angebote verspricht. MTN gehört zu den digitalen Vorreitern in Afrika, inzwischen drängt der Konzern auch auf den arabischen Markt. Doch das Rennen um die digitale Vorherrschaft in Afrika wird zunehmend von Anderen bestimmt. Allen voran: US-amerikanische Tech-Giganten wie Amazon, Google und Facebook. Ihr erklärtes Ziel ist es, eine eigene digitale Infrastruktur für die Bewohner des Kontinents zu schaffen. Mit spektakulären Technologien wollen sie auch denjenigen Zugang zu ihren Plattformen ermöglichen, die bislang noch vom Internet abgeschnitten sind.
Ein hehres Vorhaben, könnte man meinen, angesichts der in vielen Teilen Afrikas immer noch vergleichsweise niedrigen Quote bei der Internetnutzung. Doch der Soziologe Michael Kwet sieht in den Initiativen der amerikanischen Branchenriesen eine strukturelle Gefahr für Afrika. Seine These: Die USA betreiben mithilfe der Tech-Konzerne eine neue Art des "digitalen Kolonialismus". Das Problem in den Augen Kwets: Die Vorhaben der US-Konzerne zielten darauf ab, die Kontrolle über das digitale Ökosystem und damit den kompletten Datenverkehr in Afrika zu erlangen. Demokratisch sei das nicht. "Bei einem demokratischen System wäre eine Öffnung, eine Art Dezentralisierung erlaubt", so Kwet im DW-Interview.
"Einheimische Unternehmen haben keine Chance"
Wer das Rennen am Ende macht, ist dabei noch unklar. Der Kampf um den größten Marktanteil läuft: "Diese Firmen halten nach Profit Ausschau. Sie werden auf jedem Markt auftauchen, der Zeichen von Entwicklung zeigt und sich den größten Anteil dort sichern", sagt Kwet. Einheimische Firmen wie MTN verhielten sich zwar nicht anders. Kwet wirft ihnen vor, das aggressive Verhalten der Firmen aus dem Silicon Valley nachzuahmen. Allerdings sieht er keine Chance, dass MTN & Co. es langfristig mit den US-Konzernen aufnehmen können. Zu groß sei jetzt schon die Macht der Tech-Giganten. "Es wird niemals eine 'Google'-Suchmaschine aus Ländern wie Südafrika, Äthiopien oder Botswana geben."
Das Internet sei ursprünglich eine Chance gewesen, den öffentlichen Raum zu demokratisieren, so Kwet. Aber es sei anders gekommen: In nur kurzer Zeit habe sich ein technologisches System entwickelt, das von den Multis der Welt bestimmt werde. Ihre Sammlung von Nutzerdaten gleiche einer Dauerüberwachung. "Facebook und Google wissen immer, was wir tun", sagt der Soziologe.
Afrikas digitales Dilemma
Vor allem ärmere Länder hätten der digitalen Übermacht aus den USA wenig entgegen zu setzen. Die Fülle der Angebote aus dem Ausland verhindere die Entwicklung eigener Industrien, die mit den westlichen Firmen in Wettbewerb treten könnten. Und: Ärmere Länder, gerade in Afrika, seien laut Kwet auch nicht in der Lage, die Nutzer vor Ausbeutung oder Missbrauch ihrer Daten zu schützen. Zu schwach seien die Gesetze, zu machtlos die Behörden.
Die Regierungen stecken in einem Dilemma. Für die digitale Revolution auf dem Kontinent, von der sich viele Afrikaner Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze versprechen, müssen mehr Menschen an das Internet angeschlossen werden. Aber: "Das Problem für die Länder ist, das die Kosten für Investitionen in Infrastruktur so hoch sind, dass sie auf ausländische Akteure angewiesen sind", sagt Tina Freyburg, Politologin an der Universität St. Gallen im DW-Interview.
Umdenken macht Trendwende möglich
Gibt es einen Ausweg? "Wir brauchen eine Gegenbewegung", fordert Kwet. "Es steht viel auf dem Spiel und deshalb braucht es ein öffentliches Bewusstsein und Druck aus der Gesellschaft um diese Trends wieder umzukehren." Wichtig sei dabei auch ein Umdenken in der Bildung. "Kinder sollten so früh wie möglich lernen, wie Google funktioniert, was dahinter steckt, anstatt sie an deren Produkte zu binden", so Kwet. Langfristig sieht er großes Potential in technologischen Systemen, die frei miteinander kooperieren, und nicht von einzelnen Unternehmen kontrolliert werden. Zwar gebe es da schon einige Ansätze, "aber ein kreatives Denken außerhalb der bewährten Denkmuster ist noch nicht wirklich populär", bedauert er.