Afrika und der Traum eines WM-Halbfinales
18. November 2022Seit dem ersten Turnier im Jahr 1930 haben 13 afrikanische Mannschaften an einer Endrunde einer Fußball-WM teilgenommen. Nur drei von ihnen erreichten ein Viertelfinale: Kamerun (1990), Senegal (2002) und Ghana (2010). Keinem dieser Teams ist es gelungen, auch ins Halbfinale einzuziehen.
Afrikanische Spieler mischen den europäischen Vereinsfußball auf; einige von ihnen gehören gar zur aktuellen Weltspitze. Wie kommt es also, dass die Nationalmannschaften auf dem afrikanischen Kontinent derart hinterherhinken?
"Es stimmt, dass es in den letzten Jahren immer mehr afrikanische Spieler gibt, die sehr wettbewerbsfähig sind, die in den besten Vereinen der Welt spielen, um den Ballon d'Or kämpfen. Das wertet den afrikanischen Fußball auf", so Yacine Abdessadki, ehemaliger marokkanischer Nationalspieler. Doch ihm zufolge bereiten einige Faktoren auf Nationalmannschaftsebene noch Schwierigkeiten.
Die Rolle der Psyche
Der ehemalige Spieler des SC Freiburg ist der Meinung, dass die afrikanischen Nationalmannschaften sich zu sehr auf das Talent ihrer Stars verlassen und andere Aspekte vernachlässigen. "Kulturell gesehen neigt man in Afrika dazu, nicht an Dingen zu arbeiten, die in Europa oder Südamerika schon lange zum Standard gehören. Insbesondere mentale Aspekte."
Selbst der beste Spieler der Welt wisse nicht, was er in Stresssituationen mit dem Ball machen solle. Für Abdessadki eine Frage der mentalen Vorbereitung, die sich direkt auf dem Spielfeld bemerkbar mache: "Mannschaften wie Spanien, Frankreich, Belgien oder Brasilien spielen den Ball immer sehr sauber heraus. Selbst unter Druck rücken sie nie weit auf, sondern versuchen, ihr bevorzugtes Muster einzuhalten", behauptet er. "Bei weniger gut eingestellten Teams wird der Ball in einer stressigen Situation so weit wie möglich geklärt."
Eine Vision entwickeln
Ein weiterer Aspekt, der den afrikanischen Nationalmannschaften mitunter fehlt, ist die klare Perspektive. "Du kannst nicht plötzlich eines Tages an einem Turnier teilnehmen und dir ein hohes Ziel wie ein Viertelfinale setzen. Wenn du das tust, dann ist es zu spät", sagt Karim Haggui. Für den tunesischen Abwehrspieler, der unter anderem für Hannover 96 gespielt hat, fehlt es im afrikanischen Fußball an langfristigen Entwicklungsplänen. "Es muss eine Ausbildungsstrategie geben, man muss am Niveau des Fußballs in Afrika arbeiten, man muss in die Ausbildung der Trainer investieren."
Eine Meinung, die auch Hans Sarpei teilt. Der ehemalige Nationalspieler Ghanas, der unter anderem beim VfL Wolfsburg spielte, rät, die Verbände müssten fokussierter sein, sich ein Ziel setzen, wie ein WM-Halbfinale zu erreichen, und sich dafür zwölf Jahre Zeit geben. "Es gibt keine hundertprozentige Garantie, dass das funktioniert. Aber wenn man nach Deutschland oder auch Frankreich schaut, sieht man Nationen, die einen solchen Plan haben."
Der durchdachte Aufbau einer Mannschaft, die Ausbildung von kompetentem Personal und die Umsetzung eines Projekts, bei dem die technische, physische und mentale Arbeit untrennbar miteinander verbunden sind, erfordern Zeit. Aber vor allem auch Geld. In dieser Hinsicht ist Afrika Lichtjahre von Europa oder Südamerika entfernt. Im Jahr 2021 betrug das Budget des französischen Fußballverbandes FFF gut 249 Millionen Euro, wobei der Anteil für den Spitzensport rund 65 Millionen Euro ausmachte. Zum Vergleich: Das Budget des kamerunischen Fußballverbands FECAFOOT lag 2020 umgerechnet lediglich bei 12,7 Millionen Euro.
Der Mangel an Mitteln ist jedoch nicht der einzige Grund für das schlechte Abschneiden bei den Weltmeisterschaften. Für Yacine Abdessadki liegt es auch an der Anzahl der teilnehmenden Teams aus Afrika. "Es ist eine Frage der Wahrscheinlichkeit. Es gibt viel weniger afrikanische Mannschaften bei Weltmeisterschaften als europäische oder südamerikanische. Also ist es statistisch gesehen weniger wahrscheinlich, dass eine dieser Mannschaften in die Runde der letzten vier einziehen kann", so der ehemalige marokkanische Nationalspieler.
Weniger Mittel, weniger Chancen
Bis 1998, als erstmals fünf Teilnehmerplätze für den afrikanischen Verband reserviert waren, hatten nur drei afrikanische Mannschaften das Recht, sich mit der Weltspitze zu messen. Die Erfahrung auf sehr hohem Niveau fehlt dadurch selbst den konstantesten Mannschaften. Kamerun hat am häufigsten an WMs teilgenommen, acht Mal. "Das ist nicht schlecht, aber nur halb so viel wie bei einigen südamerikanischen oder europäischen Topteams", betont Karim Haggui.
Auch für Ricardo Faty ist die Erfahrung ein Schlüsselfaktor. "Ghana war zum Beispiel 2010 gegen Uruguay sehr nah am Halbfinale dran. Ich denke, dass es damals an der fehlenden Erfahrung lag", meint der ehemalige Nationalspieler Senegals. Das könne dieses Jahr in Katar anders sein. "Ich glaube wirklich, dass es in diesem Jahr Mannschaften wie den Senegal oder auch Kamerun gibt, die genug Talent und Erfahrung haben, um diesen Schritt zu gehen. Vor allem dank der Anwesenheit von Spielern, die in den größten Vereinen Europas spielen", meint Ricardo Faty.
Der etwas andere Druck
Aber Vorsicht vor der Erwartungshaltung, die laut Hans Sarpei in Afrika größer ist als andernorts. "Die meisten afrikanischen Spieler spielen in Europa und sind in der Lage, mit Druck umzugehen. Aber es ist etwas ganz anderes, wenn ein ganzes Land auf den Gesamtsieg wartet", sagt Sarpei. "In Deutschland hofft man, dass die Nationalmannschaft die WM gewinnt. In Afrika jedoch ist der Sieg ein Muss." Einigen Spielern merke man das an. "Sie spüren den Druck nicht nur für sich selbst, sondern auch für ihre Familien. Wenn du ausgeschieden bist, weißt du, du kannst ersmal nicht wieder in dein Heimatland, sondern fliegst zurück nach Europa, wo du spielst."
Druck werden die Teams aus Senegal, Kamerun, Ghana, Tunesien und Marokko dieses Jahr ganz besonders spüren. 2018 schaffte es zum ersten Mal seit 1982 kein afrikanischer Teilnehmer, die Gruppenphase zu überstehen. Ein derartiger Rückschlag darf sich nicht wiederholen.