Volksaufstand auf der Bühne
25. Juni 2015"Wir greifen jetzt an! Wir schreiten zur Aktion!", skandiert das Volk. Es wird gestritten, gekämpft, eine Statue des Machthabers umgekippt. Eine Familie hebt den leblosen Körper ihres Sohnes vom Boden auf. Diese Szenen passieren nicht auf den Straßen von Burkina Faso, wo ein Volksaufstand im vergangenen Jahr den langjährigen Präsidenten zum Abdanken gezwungen hat, sondern auf der Bühne, in dem Stück "Nuit Blanche à Ouagadougou" - "Durchwachte Nacht in Ouagadougou". Die Tanzperformance auf dem Festival Africologne in Köln erzählt vom Traum einer besseren Gesellschaft.
Die Tänzer werden live von Rapper Smockey begleitet. Er prangert Korruption und gesellschaftliche Probleme an und ruft dazu auf, endlich aufzuwachen. Smockey war eine zentrale Figur während der Massenproteste in Burkina Faso 2014.
Bemerkenswert an dem Stück ist aber vor allem, dass es schon lange vor der Revolte in dem westafrikanischen Land konzipiert wurde. Choreograph und Tänzer Serge Aimé Coulibaly aus Burkina Faso ließ sich von den Aufständen in Tunesien und Ägypten inspirieren. "Damals war noch nicht klar, ob sich Präsident Blaise Compaoré 2015 tatsächlich an die Verfassung halten und die Macht abgeben würde", sagt Coulibaly. "Ich hatte Lust, mir eine Nacht vorzustellen, in der das Schicksal des Landes kippen würde".
Von der Realität eingeholt
Am 25. Oktober 2014 feierte sein Stück in Burkina Faso Premiere. Sechs Tage später eskalierten die Demonstrationen gegen Compaoré. Er war gescheitert mit dem Versuch, die Verfassung zu ändern, um nach 27 Jahren an der Macht für eine weitere Amtszeit zu kandidieren. Die von Rapper Smockey gegründete Bürgerbewegung "Le balai citoyen" ("der Bürgerbesen") und große Teile der Bevölkerung gingen auf die Straße, bis der Präsident seinen Rücktritt erklärte.
Regisseur Serge Aimé Coulibaly will die Jugend des Landes ansprechen - mit Theater, aber auch mit Tanz, der mutig ist, der provoziert. "Bevor ich mit meinen eigenen Kreationen anfing, fand ich den zeitgenössischen Tanz zu höflich", erklärt Coulibaly. "Er war nicht genug in der Realität unserer Länder verankert".
Theater gegen das Schweigen
Realitätsnah ist auch das Theaterstück "Blaues Koma" von der kongolesischen Regisseurin Sylvie Dyclo-Pomos. Eine sechzigjährige Frau, Anastasia, kampiert vor dem Präsidentenpalast und fordert Gerechtigkeit für die unzähligen Opfer einer schweren Explosion, die sie selbst überlebt hat. Die Szenen sollen an die Detonation eines Munitionslager am 4. März 2012 in Brazzaville erinnern, der Hauptstadt der Republik Kongo. Es gab viele Todesopfer, tausende Menschen wurden obdachlos, bis heute ist der Fall nicht aufgeklärt.
"Seit dem 4. März 2012 gab es Verhaftungen. Die Leute hatten also Angst, über die Ereignisse zu reden", sagt Regisseurin Sylvie Dyclo-Pomos. "Während der Aufführung im Kongo waren die Zuschauer froh, dass jemand endlich offen über alles spricht." Die Regisseurin will reden, wo andere schweigen, auch in einem autokratisch geführten Staat wie Kongo. "Es stimmt, dass ich damit Risiken eingehe", sagt sie, "aber sollte ich verhaftet werden, wäre es nur ein weiterer Beweis dafür, dass mein Land keine Demokratie ist".
Afrikas junge Theater- und Tanzszene will mutig sein, glaubwürdig und nah dran an der Realität - viele Stücke auf der Africologne werden diesem Anspruch gerecht. Das Festival dauert noch bis zum 27. Juni 2015.