Erste "Africa Fashion"-Ausstellung in London
3. Juli 2022Spätestens seit Black-Lives-Matter nahm auch in Großbritannien die Debatte über den Umgang mit der kolonialen Vergangenheit Fahrt auf. Von Museumsausstellungen über den Umgang mit Denkmälern bis hin zum Geschichtsunterricht in Schulen findet im Vereinigten Königreich derzeit ein Umdenken statt. Das ehrwürdige, mehr als 170 Jahre alte Victoria-and-Albert-Museum hat einen konstruktiven Weg gefunden, sich mit der eigenen kolonialen Vergangenheit auseinanderzusetzen.
"Wir wollen die afrikanische Modeszene feiern"
Mit der Ausstellung "Africa Fashion" stellt sich das Museum den gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit. Es ist die erste jemals kuratierte Ausstellung im Victoria-and-Albert-Museum, die sich mit diesem Thema beschäftigt. Die Kuratorin des Projekts, Elisabeth Murray, erklärte gegenüber AFP, dass die Schau einen "Einblick in den Glamour und die Politik der Modeszene" geben solle. "Wir wollen die erstaunliche afrikanische Modeszene von heute feiern. Wir wollen die Kreativität all der Designer, Stylisten und Fotografen feiern und die Inspiration dahinter beleuchten."
In der Ausstellung sind Objekte, Skizzen, Textilien, Fotos und Filme aus ganz Afrika zu sehen - angefangen von den Jahren der Dekolonisation Afrikas von den 1950er bis zu den 1980er-Jahren bis hin zu Werken von aufstrebenden zeitgenössischen Designern und Designerinnen.
Die leitende Kuratorin Christine Checinska bezeichnet die Ausstellung als "Teil des kontinuierlichen Engagements des V&A-Museums, die Arbeit von afrikanischen Kreativen in den Vordergrund zu stellen".
Koloniale Vergangenheit des V&A-Museums
Dass das V&A-Museum sich jetzt auf diese Weise mit seiner Vergangenheit auseinandersetzt, hat seine Gründe: Die Vergangenheit des Museums ist eng mit der Kolonialgeschichte verbunden. Es wurde 1852 gegründet, als Großbritannien unter Königin Victoria sein globales Imperium - auch in Afrika - ausdehnte. Bis heute stammen einige Sammlungen des Museums aus dieser Zeit. In den asiatischen Sammlungen befinden sich beispielsweise Exponate, die aus dem 1801 von der East India Company eingerichteten India Museum stammen. In der fast 200-jährigen Geschichte des Museums haben afrikanische Kunst und Kultur jedoch lange keine Rolle gespielt. Zuweilen wurde sie sogar falsch dargestellt oder exotisiert, meint Kuratorin Checinska, die zugleich Designerin für Mode und Kunsthistorikerin ist. Das sei auf die historische Trennung zwischen Kunstmuseen und ethnografischen Museen zurückzuführen, "die sich aus unseren kolonialen Wurzeln und den darin verankerten rassistischen Annahmen ergibt". "Africa Fashion" ebne dem Museum neue Perspektiven und sei ein Testfeld für neue, gleichberechtigte Wege der Zusammenarbeit.
Afrikanische Mode ist politisch
Die Ausstellung ist in unterschiedliche Abschnitte unterteilt - mit Namen wie "Afrotopia", "Cutting-Edge" oder "Mixology". Die Abschnitte beschäftigen sich mit ganz unterschiedlichen Themen wie Nachhaltigkeit, Geschlecht, Rasse, sexuelle Identität oder Politik. Im ersten Abschnitt, "African Cultural Renaissance", sind beispielsweise Protestplakate und Literatur der afrikanischen Unabhängigkeitsbewegungen ausgestellt. Sie werden im Zusammenhang mit der Mode der Zeit gezeigt.
Denn Kleidung in Afrika war immer auch politisch. Das bewies unter anderem der ghanaische Premierminister Kwame Nkrumah, der 1957 in einem Lendenschurz aus dem traditionellen, farbenfrohen Stoff Kenté auftrat. Kurz nachdem er die Unabhängigkeit des Landes verkündet hatte, legte er so in einer symbolischen Geste europäische Trachten ab.
Und überhaupt spielen Textilien und Stoffe in der Ausstellung eine wichtige Rolle. Der ghanaische Bildhauer El Anatsui sagte einmal: "Der Stoff ist für den Afrikaner das, was die Denkmäler für den Westen sind."
Afrikanische Stoffe sind einzigartig
Ein Kernstück von "Africa Fashion" ist deshalb auch der Abschnitt "Vanguard". Darin werden die Werke der Begründer und Begründerinnen des modernen afrikanischen Designs gewürdigt. Zu sehen sind Designs von Alphadi aus Niger, Shade Thomas-Fahm aus Nigeria und Kofi Ansah aus Ghana. Sie experimentierten mit afrikanischen Textilien und Stilen wie Perlenstickerei und kreierten innovative Designs mit kulturübergreifenden Einflüssen.
Thomas-Fahms Entwürfe zum Beispiel erfanden die traditionelle afrikanische Kleidung für die "kosmopolitische, berufstätige Frau" neu.
Ein Highlight von "Africa Fashion" ist ein speziell für die Ausstellung angefertigtes Design vom marokkanischen Modemacher Artsi, das von einem britischen Trenchcoat und einem muslimischen Hijab inspiriert ist. Das Design soll die Frage aufwerfen, wie "Afrika in England präsentiert wird", so Artsi gegenüber der Nachrichtenagentur AFP.
Genau das will auch "Africa Fashion": einen zeitgerechten Diskurs darüber anregen, wie mit Großbritanniens Kolonialgeschichte in der Kunst umgegangen werden sollte.
"Africa Fashion" ist noch bis zum 16. April 2023 im Victoria-and-Albert-Museum in London zu sehen.
kt/so (mit AFP)