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Afghanistan-Debakel: Was wusste der BND-Präsident?

Veröffentlicht 29. September 2023Zuletzt aktualisiert 3. Juli 2024

Heikler Termin für Bruno Kahl - der Chef des Auslandsgeheimdienstes muss im Untersuchungsausschuss des Bundestags aussagen. Seine Behörde hat die Taliban unterschätzt.

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Fünf mit Maschinengewehren bewaffnete Taliban-Kämpfer posieren nach der Machtübernahme in Afghanistan im August 2021 auf dem Flughafen von Kabul.
Taliban-Kämpfer im August 2021 beim Kabuler Flughafen, nachdem die internationalen Truppen Afghanistan verlassen habenBild: Wakil Kohsar/AFP/Getty Images

Von Widerstand ist wenig zu sehen, als die radikalislamischen Taliban im August 2021 in Afghanistan an die Macht zurückkehren. Die hatten sie 20 Jahre zuvor verloren, nachdem eine von den USA angeführte Militärkoalition in dem Land interveniert hatte. Die Militärmission war eine Reaktion auf die Terroranschläge vom 11. September 2001 in New York gewesen.

Vom schnellen Siegeszug der Taliban zeigt sich damals auch die deutsche Bundesregierung überrascht, nachdem der damalige Außenminister Heiko Maas noch kurz zuvor das Gegenteil prognostiziert hat. Seine Fehleinschätzung wirft die Frage auf, welche Informationen der für die Aufklärung im Ausland zuständige Bundesnachrichtendienst (BND) über den Vormarsch der Islamisten auf die afghanische Hauptstadt Kabul hatte.

Das Logo des BND: der Bundesadler mit gespreizten Flügeln, eingerahmt vom Schriftzug "Bundesnachrichtendienst".
Der deutsche Auslandsgeheimdienst BND wurde vom schnellen Vormarsch der Taliban in Afghanistan überrascht (Symboldbild)Bild: Wolfgang Kumm/dpa/picture alliance

Ein anonymer BND-Zeuge zu Afghanistan bereits befragt

Antworten darauf erhofft sich der seit 2022 tagende Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestags an diesem Donnerstag (4. Juli) von BND-Präsident Bruno Kahl. Seine Leute sollten in Afghanistan auch die Sicherheit der deutschen Bundeswehr-Truppen gewährleisten.

Kahl ist nicht der erste BND-Zeuge, der Rede und Antwort stehen muss. Ende September 2023 war der ehemalige Afghanistan-Regionalbeauftragte geladen. Sein Name blieb in der nur teilweise öffentlichen Befragung unerwähnt, um ihn nicht zu gefährden.

BND-Präsident Bruno Kahl - graue Haare, randlose Brille - sitzt in einem einem Saal des Bundestages an einem Tisch mit eingebauten Mikrofon.
BND-Präsident Bruno Kahl muss im Afghanistan-Untersuchungsausschuss des Bundestags mit kritischen Fragen rechnenBild: Fabian Sommer/dpa/picture alliance

Über seine Person erfuhren der Untersuchungsausschuss und das Publikum auf der Zuschauer- und Pressetribüne nur wenig: Nach 35 Jahren bei der Bundeswehr habe er zuletzt elf Jahre dem BND gedient. Sein Spezialgebiet: Fernmeldeaufklärung. In Afghanistan sei er mehrmals gewesen, bis zu einer Woche hätten die Aufenthalte gedauert. Die Expertise eines solchen Mannes ist im Bundeskanzleramt besonders gefragt.

Regelmäßige Gesprächsrunden zur Sicherheitslage im Kanzleramt

Dort, in der Berliner Regierungszentrale, finden regelmäßig Besprechungen zur Sicherheitslage statt. Dabei geht es um Gefahren, auf die sich Deutschland einstellen muss – nicht nur in Afghanistan, sondern überall auf der Welt, zu jeder Zeit. Vor allem dort, wo Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr in Auslandseinsätzen sind und dabei im schlimmsten Fall ums Leben kommen können. 

Gedenkakt für Afghanistan-Einsatz

Der Zeuge schilderte, wie sich aus seiner Sicht die Lage nach dem sogenannten Doha-Abkommen zwischen den USA und den Taliban vom Februar 2020 entwickelt: "Als Soldat sagen wir, ist das eine wesentliche Lageveränderung." Kernpunkt dieses Vertrags, der ohne Beteiligung der regulären afghanischen Regierung geschlossen wurde, war der mittelfristige Abzug der amerikanischen Truppen.

Das Doha-Abkommen demoralisierte die afghanische Armee 

"Damit ist die Unterstützung der afghanischen Streitkräfte weggebrochen", sagt der Zeuge. Vor allem die plötzlich fehlende Luftunterstützung durch die USA habe die afghanischen Truppen demoralisiert. Die Folge: Sie hätten ihre Kasernen nicht mehr verlassen. Dennoch war auch der hochrangige BND-Mann von der Geschwindigkeit überrascht, mit der die Taliban Kabul eingenommen hatten.

Dass die Islamisten am Ende triumphieren würden, daran hatte nach dem Doha-Abkommen auf politischer wie militärischer Ebene offenkundig niemand mehr gezweifelt. Dieser Eindruck hat sich im Untersuchungsausschuss schon länger verfestigt. Durch Aussagen vieler Zeugen, die in Ministerin arbeiten, im Kanzleramt, bei Hilfsorganisation oder Geheimdiensten.

Ein Taliban-Kämpfer mit Vollbart und Sonnenbrille sowie seinem Maschinengewehr im Anschlag regelt den Auto-Verkehr in Kabul.
Sinnbild für die Zeitenwende in Afghanistan: Wo früher Soldaten der Armee patrouillierten, übernahmen Islamisten das Kommando Bild: Wakil Kohsar/AFP/Getty Images

Schon früh wurde über den Fall Kabuls spekuliert

Der im September befragte BND-Mann berichtete von einem im August 2020, also ein Jahr vor der Machtübernahme durch die Taliban, entstandenen Papier. Der Inhalt: mögliche Szenarien für Afghanistan nach dem Abzug der internationalen Truppen.

Als wahrscheinlichste Variante habe man ein "Kalifat 2.0" prognostiziert. Damit meinte der Zeuge einen Gottesstaat mit radikalen islamischen Regeln. Und er betonte: "Wir haben immer deutlich gemacht, dass es eine Übergangszeit gibt, bis ein solches Szenario eintritt." Man habe aber nicht erwartet, dass die Taliban so schnell und fast kampflos weitere Distrikte Afghanistans übernehmen würden – bis hin zum Einmarsch in Kabul am 15. August 2021.

Informationsdefizite beim Bundesnachrichtendienst

Ghafari: "Sie verloren den Krieg gegen Terroristen"

Warum sich alle Beteiligten so fatal geirrt haben, darauf hatte der BND-Mitarbeiter auch keine Antwort. "Im Großen und Ganzen gab es ein gemeinsames Lagebild", sagt er über die regelmäßigen Besprechungen auf politischer und militärischer Ebene.

Dass der Bundesnachrichtendienst ab einem bestimmten, nicht näher beschriebenen Zeitpunkt Informationsdefizite hatte, räumte der frühere Regionalbeauftragte für Afghanistan auf Nachfrage des Untersuchungsausschusses allerdings ein.

Afghanistan-Ausschuss: Wird die Öffentlichkeit wieder ausgeschlossen?

Demnach gab es Probleme beim Zugang zu den Spitzen sowohl der regulären afghanischen Regierung als auch der Taliban. Ob und wie die Lücken geschlossen worden seien, wollte ein Abgeordneter wissen. Auf diese Frage gab der BND-Zeuge in öffentlicher Sitzung keine Antwort.

Nach dieser Sitzung wurde die Befragung des Zeugen wurde in einem abhörsicheren Raum des Deutschen Bundestags fortgesetzt. Ein Szenario, das auch bei der nun bevorstehenden Befragung des BND-Präsidenten Bruno Kahl wahrscheinlich ist.    

Dieser Artikel wurde am 29.09.2023 veröffentlicht und anlässlich der bevorstehenden Zeugen-Aussage des BND-Präsidenten Bruno Kahl im Afghanistan-Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages am 03. Juli 2024 aktualisiert.   

Deutsche Welle Marcel Fürstenau Kommentarbild ohne Mikrofon
Marcel Fürstenau Autor und Reporter für Politik & Zeitgeschichte - Schwerpunkt: Deutschland