1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Afghanistan: Abschied vom Opium

20. Dezember 2023

Über anderthalb Jahre ist es nun her, dass die Taliban den Anbau von Schlafmohn, dem Grundstoff für Opium, verboten haben. Das Verbot zeigt Wirkung und könnte die Landwirtschaft in neue Bahnen lenken.

https://p.dw.com/p/4aCc1
Landwirte zerstören unter der Aufsicht von Beamten ihre Schlafmohnblüten, Kandahar, März 2023
Landwirte zerstören unter der Aufsicht von Beamten ihre Schlafmohnpflanzen, Kandahar im März 2023Bild: Mohammad Noori/AA/picture alliance

Der Erlass hatte Folgen: im April 2022 verboten die Taliban in Afghanistan den Anbau von Schlafmohn als Rohstoff zur Gewinnung von Opium und Heroin. Der Anbau ging zurück - und zwar so sehr, dass nicht mehr Afghanistan der weltweit größte Produzent des Rauschgift-Grundstoffes ist, wie Nachrichtenagenturen dieser Tage melden. Diesen Platz nimmt nun Myanmar ein.

Das südostasiatische Land habe im laufenden Jahr geschätzte 1080 Tonnen des Ausgangsstoffs für Heroin produziert, heißt es in einem am Dienstag vergangener Woche veröffentlichten Bericht des UN-Büros für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC). Im Vorjahr habe die Produktion noch bei geschätzt 790 Tonnen gelegen.

In Afghanistan hingegen ist die Produktion massiv geschrumpft. Eine Analyse des auf geographische Informationen spezialisierten Informationsdienstleisters ALCIS gibt an, dass sie landesweit um 85 Prozent zurückgegangen sei. Von noch drastischeren Zahlen geht das United Nations Office on Drugs and Crime (UNODC) aus: Seinen Berechnungen nach reduzierte sich der Anbau im laufenden Jahr um 95 Prozent, nämlich auf 333 Tonnen - von 6200 Tonnen im Vorjahr. Beide Institutionen gründen ihre Aussagen auf Luftaufnahmen von Afghanistan.

Insgesamt lieferte die Schlafmohnernte des laufenden Jahres Material für 24 bis 38 Tonnen Heroin, so das UNODC. 2022 hatte der Wert noch bei 350-580 Tonnen gelegen. Das wirkt sich auch auf die Erlöse aus: Sie reduzierten sich demnach von 1360 Millionen US-Dollar, ungerechnet 1241 Millionen Euro, im Jahr 2022 auf 110 Millionen US-Dollar (100 Millionen Euro) im laufenden Jahr, so das UNODC in einem Report.

Ein Landwirt in Myanmar auf seinem Opium-Feld, 2019
Jetzt weltweit größter Opium-Produzent: MyanmarBild: Ye Aung THU/AFP

Dramatische Auswirkungen

Der Rückgang hat auf die afghanische Wirtschaft erhebliche Auswirkungen. Machten 2015 der Anbau von Schlafmohn und der Handel mit Opium noch 16 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) aus, waren es im Jahr 2021 nur noch 9 bis maximal 14 Prozent, berichtet das UNODC. Für das Jahr 2022 - in ihm wurde das Anbauverbot ausgesprochen - geht das Büro von einem wieder wachsenden Anteil aus. Das aber liege vor allem am generellen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts seit dem Machtantritt der Taliban.

Einem Reportvon ALCIS zufolge trifft das Verbot damit auch die Bevölkerung des Landes sehr hart. So zähle die Opiumwirtschaft zu den Sektoren, in denen die meisten Menschen beschäftigt seien. Ohne das Verbot der Taliban würden im Mohnanbau im Jahr 2022 geschätzte 450 000 Menschen in Vollzeit arbeiten. Allein in der südafghanischen Provinz Helmand hätte der Mohnanbau den Bauern und Erntearbeitern im Jahr 2022 fast 21 Millionen Arbeitstage und 61 Millionen US-Dollar an Löhnen eingebracht.

Am stärksten von dem Verbot sind diejenigen betroffen, die als Kleinbauern über wenig Land oder als Saisonarbeiter über gar kein Land verfügen, um ihre Grundbedürfnisse zu befriedigen. Sie verlieren nicht nur ihr unmittelbares Einkommen aus dem Opiumgeschäft. Sie sind zudem auch vom Rückgang der Löhne in anderen Sektoren betroffen. Denn auch auf diese habe das Verbot einen indirekten Einfluss, heißt es in dem Report.

Nahe Kabul werden Drogen verrannt, November 2013
Nahe Kabul werden Drogen verbannt, November 2013Bild: S. Sabawoon/dpa/picture alliance

Zähneknirschende Akzeptanz

Die Taliban hatten das Verbot mit religiösen Argumenten begründet. Er halte diese Argumentation für plausibel, sagt der Afghanistan-Experte Thomas Ruttig, Mitbegründer der unabhängigen Denkfabrik "Afghanistan Analysts Network", im DW-Interview. "Darauf, dass diese Begründung nicht vorgeschoben ist, deutet aus meiner Sicht der Umstand hin, dass die Taliban sich mit diesem Verbot auch selbst schaden. Denn die Opium-Ökonomie stellt ja einen großen Teil der Gesamtwirtschaft Afghanistans dar und bringt damit einiges an Steuern ein, und zwar unabhängig davon, dass sie nun illegal ist."

Die Bevölkerung nehme das Verbot seinen Informationen zufolge zähneknirschend hin, so Thomas Ruttig. "Denn die meisten Afghanen stellen sich nicht gegen eine durch islamische Rechtsauslegung begründete Anordnung. Damit würden sie sich ihrer Selbstwahrnehmung nach gegen den Islam selbst stellen. "Diese Logik sei auch das Problem der vorhergehenden Regierung gewesen. Diese sei nicht als wirklich islamisch angesehen worden. Darum habe sie in den Augen der Bevölkerung auch keinerlei Legitimation gehabt, ein solches Verbot durchzusetzen. "Das galt in noch viel höherem Maß für die westlichen Truppen", ergänzt Ruttig.

Spekulation nach dem Verbot

Die Reaktion der Bauern schon im Vorfeld des Verbots lag nahe, heißt es in dem Report: Sie horteten so viel Opium wie möglich. Das Kalkül: Das Verbot würde die Preise unweigerlich steigen lassen. Einige verkauften Teile ihres Eigentums. etwa Vieh oder ein Motorrad, um mit dem Geld weiteres Opium zu kaufen. Im Vorteil in diesem Spekulationsgeschäft waren vor allem die Landbesitzer: Sie kauften den Teilpächtern oder umherziehenden Erntearbeitern, die teilweise durch einen Anteil an der Opiumernte entlohnt wurden, ihre Anteile zu einem günstigen Preis ab. Anschließend brauchten sie nur noch auf die Preissteigerungen zu warten. Die trafen auch ein: Im August 2023 betrug der Preis für ein Kilo Opium dem UNDOC zufolge 408 US-Dollar - ein Allzeithoch.

Ansicht einer Schlafmohnblüte
Rohstoff für Opium: der SchlafmohnBild: Ye Aung THU/AFP

Umstellung der Landwirtschaft

In Afghanistan gebe es aber keine reinen Opium-Bauern, sagt Thomas Ruttig. Niemand habe ausschließlich auf Opium gesetzt. Dies begünstigt den Wandel: Bereits im laufenden Jahr seien 68 Prozent der zuvor mit Mohn bepflanzten Felder für den Weizenanbau genutzt worden, berichtet UNDOC. Das habe 2023 zu einer zu einer Steigerung des Getreideanbaus um 160 000 Hektar im Vergleich zum Vorjahr geführt.

Dieser Trend werde sich fortsetzen, erwartet Ruttig. "Denn Weizen ist ja das wichtigste Grundnahrungsmittel in Afghanistan." Zudem gebe es Anzeichen, dass die Bauern diversifizierten und höherwertiges Gemüse und Obst anbauten." Aber gerade mit Blick auf Obst ist das natürlich schwierig, denn Bäume müssen gepflanzt werden und dann wachsen, bevor sie wirklich Früchte tragen." Das heißt, dass gerade den Landlosen schwere Jahre bevorstehen. "Das zweite Jahr des Anbauverbots wird für sie schwer zu ertragen sein."

Als eine Perspektive sieht Ruttig, dass die derzeit weiter anhaltende Gewalt im Lande enden könnte und dadurch die Vermarktung leichter werde. Dazu trage auch der Bau von Straßen bei, den die Taliban derzeit vorantrieben. Langfristig könnten damit Sicherheitskosten wegfallen, was sich auch auf Produktion und Handel auswirke. Ruttig warnt aber gleichzeitig: "Man darf nicht vergessen, dass Afghanistan sich unter den zehn am stärksten von der Klimakrise betroffenen Ländern weltweit befindet. So wird die Landwirtschaft insgesamt problematischer."

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika