Macht Populismus den Wähler immer trauriger?
2. September 2024Mal angenommen, Sie fühlten sich unglücklich, besorgt oder bedroht angesichts der Veränderungen in ihrem Leben und ihrem Umfeld. Wäre dann ihr erster Impuls, sich einer Partei anzuschließen, die diese negativen Gefühle noch verstärkt?
Gut möglich - zumindest, wenn diese Partei Ihnen erzählt, dass sie die einzigen seien, die diese Probleme lösen können. Das ist zumindest die Beobachtung zweier Wissenschaftler, die sich mit dem Wahlverhalten von Anhängern der rechtspopulistischen und in Teilen rechtsextremen Alternative für Deutschland (AfD) beschäftigt haben.
Die AfD wurde 2013 gegründet und hat sich seitdem immer radikaler nach rechts ausgerichtet und signifikant an Rückhalt gewonnen. Bei der Europawahl im Juni erhielt sie 15,9 Prozent der Stimmen, auch dank einer wachsenden Zustimmung aus jüngeren Altersgruppen. Nun wurde sie bei der Landtagswahl in Thüringen mit 32,8 Prozent stärkste Kraft - erstmals seit dem Ende des Nazi-Regimes stellen Rechtspopulisten und Rechtsextreme die stärkste Fraktion in einem deutschen Parlament. In Sachsen wurde sie mit 30,6 Prozent und einem geringen Abstand zur CDU zweitstärkste Kraft.
Das starke Abschneiden von Rechtspopulisten ist kein allein deutsches Phänomen. Auch in anderen europäischen Ländern spielen sich ähnliche Entwicklungen ab. In Italien stellen bereits seit Oktober 2022 mehrere rechte und rechtspopulistische Parteien die Regierung; in Frankreich verhinderte in diesem Sommer nur ein Bündnis der anderen Parteien einen Durchmarsch der Rechten bei der Parlamentswahl. Im Vereinigten Königreich gewann die neue Partei der Brexit-Hardliner, Reform UK, im Juli dieses Jahres aus dem Stand 14,3 Prozent der Wählerstimmen. Aufgrund des britischen Mehrheitswahlrechts bleibt ihr Einfluss mit nur fünf Parlamentssitzen vergleichsweise gering.
Zufriedenheit rechter Wähler in einer Abwärtsspirale
Maja Adena und Steffen Huck vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung wollten wissen, wie glücklich oder unglücklich AfD-Wähler sind. Im Zentrum ihrer Untersuchung: das subjektive Wohlbefinden, ein feststehender Begriff aus der Psychologie.
Wie verändert sich das subjektive Wohlbefinden, wenn man eine populistische Partei unterstützt? Ihre Erkenntnisse lassen sich so zusammenfassen: AfD-Anhänger waren zu Beginn unglücklich und wurden noch unglücklicher. "Es ist wie eine Abwärtsspirale", schrieb Adena in einer Mail an die DW. "Neu an unserer Studie ist, dass wir zeigen, wie ihre Zufriedenheit weiter abnimmt, sobald sie der negativen Rhetorik der AfD ausgesetzt sind", erklärte Adena.
Am stärksten sei dieser Effekt bei neu hinzugekommenen Unterstützern zu beobachten, deren Identität als AfD-Anhänger noch nicht voll ausgebildet sei. "Die ursprüngliche Entscheidung, eine rechte Partei zu unterstützen (...), hat den bedeutsamsten negativen Einfluss auf die Zufriedenheit", schrieben Adena und Huck in ihrer Studie, die in der Fachzeitschrift "Plos One" veröffentlicht wurde. Beide geben darin an, "kausale Belege" gefunden zu haben, wonach neue Unterstützer sich zwar kurzzeitig besser fühlen, weil sie "Position beziehen". Letztlich mache die negative Rhetorik, in der etwa Eliten beschuldigt werden, sie jedoch unglücklicher.
Die Studie hält auch einen Silberstreif am Horizont bereit: Während sich das Wohlbefinden von Langzeit-Anhängern stabilisiere, würden diejenigen irgendwann wieder etwas zufriedener, die aufhörten, die AfD zu unterstützen, erklärte Adena.
Wie Psychologen die Zufriedenheit von Wählern messen
Adena und Huck haben sich die Datensätze von rund 4000 Menschen angesehen, die zwischen 2017 und 2021 erhoben wurden. Die Probanden wurden gebeten, sich selbst auf einer Skala zu verorten und darüber auszudrücken, wie es um ihr persönliches und finanzielles Wohlergehen steht. Abgefragt wurde jeweils das vergangene Jahr und die Aussichten auf das bevorstehende Jahr.
Psychologen sprechen dabei von innerem Bezugsrahmen: Es gibt keine Vergleichsmöglichkeiten zu anderen, sondern nur die eigene Selbstwahrnehmung. Die Forschenden erhofften sich davon präzisere Daten, aber gleichzeitig kann das auch ein Schwachpunkt der Daten sein.
"Dieser Teil der Studie ist ehrlich gesagt wacklig", sagte Fathali Moghaddam, Psychologieprofessor am Berkley Center der Georgetown University in der US-Hauptstadt Washington, D.C. "Ich glaube nicht, dass man eine solche Analyse ohne gesellschaftliche Vergleichswerte machen kann", sagte Moghaddam, der selbst an der Studie beteiligt war.
Jedes Gefühl von Zufriedenheit oder Unzufriedenheit müsse ins Verhältnis zu den von den Probanden empfundenen Bedrohungen gesetzt werden. "Und um populistische Bewegungen zu verstehen, müssen wir den größeren globalen Kontext betrachten: das subjektive Gefühl, die ganze Welt sei instabil", sagte Moghaddam. "Insbesondere in Europa und den USA, wo weiße Christen diese Instabilität wahrnehmen, sich überrannt oder bedroht fühlen."
Motivierende und demotivierende Emotionen in der Politik
Solche Wahrnehmungen können den Ausschlag dazu geben, sich einer populistischen Partei anzuschließen. Das Gefühl, "Position zu beziehen" kann sich positiv auf das eigene Wohlbefinden auswirken: "Ich erlange die Kontrolle zurück!"
Wer jedoch tiefer traurig oder sogar depressiv ist, wird seltener "Position beziehen" wollen. Vielmehr führen bestehende negative Emotionen in Kombination mit negativer populistischer Rhetorik häufig dazu, dass Menschen sich komplett abwenden.
"Mich hat der Standpunkt der Autoren überrascht", sagte Anna Kende, Direktorin der Abteilung für Sozialpsychologie an der ELTE Universität in der ungarischen Hauptstadt Budapest. "Wir wissen, dass Zufriedenheit kein Treiber für politisches Handeln ist, und Traurigkeit noch viel weniger. Traurige und depressive Menschen wenden sich häufiger als andere von Politik ab." Andere Studien legten nahe, dass eine Neigung zu populistischen Parteien Unzufriedenheit fördert, sagte Kende - aber Unzufriedenheit sei etwas anderes als Traurigkeit.
Zugleich meinte Kende, komme ihr das Thema negative Rhetorik bekannt vor. In Ungarn regiert seit 14 Jahren die Fidesz-Partei des populistischen Ministerpräsidenten Viktor Orban. Ihre negative Rhetorik lasse niemals nach, meinte Kende: "Es ist paradox, weil sie all unsere Probleme gelöst haben sollten - aber das ist nicht in ihrem Interesse."
Populisten bauen ihre Kampagnen nicht auf Erfolgen auf, sondern auf Bedrohungen, meinte Kende. Das kann Wähler und ihr zukünftiges Wahlverhalten beeinflussen.
"Langjährige Unterstützer stören sich nicht daran, dass ihre Partei nicht liefert. Anders die neuen und weniger überzeugten Unterstützer, die zu einem bestimmten Zeitpunkt denken 'Okay, die AfD könnte mir etwas bieten'", meinte Kende. "Für sie könnten dieses negativen Botschaften einen stärkeren Einfluss haben und sie zur Abkehr bewegen, weil sie von Anfang an weniger überzeugt waren."
Den Linken geht es nicht besser
Das alles bedeutet keineswegs, dass die Wähler des linken Spektrums glücklicher wären als die Rechten. Eine Forschungsarbeit der Columbia University in New York kam 2023 zu dem Schluss, dass "amerikanische Erwachsene, die sich als politisch liberal einstufen, auf lange Sicht weniger glücklich und psychologisch zufrieden waren als Konservative".
Warum das so ist, wissen Forscher noch nicht genauer. Möglicherweise sind Menschen jedweder politischen Einstellung unglücklicher, wenn ihre Ansichten nicht von Regierungsinstitutionen vertreten werden.
Allein durch ihre Studie, sagte die Berliner Forscherin Maja Adena, "sind wir leider noch weit davon entfernt, den Mechanismus zu fassen zu bekommen." Liegt dem beobachteten Rückgang im Wohlbefinden die negative Rhetorik der AfD zugrunde - oder eher das Gefühl, an den Rand gedrängt zu werden? "Wir halten beides für möglich", sagte Adena.
Dieser Artikel wurde aus dem Englischen adaptiert.
Primärquelle:
Support for a right-wing populist party and subjective well-being: Experimental and survey evidence from Germany, published by Maja Adena and Steffen Huck in PLOS ONE (June 2024) https://doi.org/10.1371/journal.pone.0303133