AfD-Chefin Alice Weidel: rechts, extrem, unkonventionell
8. Oktober 2024Sie gehört zu einer sehr kleinen Minderheit: Alice Weidel ist eine von neun Frauen in der Bundestagsfraktion der Alternative für Deutschland (AfD). Der Rest: 69 Männer. Frauenanteil: 11,5 Prozent. So niedrig ist die Quote sonst nirgends. Sie liegt zwischen 25,4 Prozent (CDU/CSU) und 59,3 Prozent (Grüne).
Politisch ist Weidel innerhalb der männlich geprägten AfD ein Schwergericht: Mit Tino Chrupalla teilt sie sich den Vorsitz sowohl in der Partei als auch in der Parlamentsfraktion. Das gleiche Bild bei der Bundestagswahl 2021, zu der die beiden als Spitzenduo ins Rennen gegangen waren. Das Ergebnis war aus Sicht der AfD enttäuschend: 10,3 Prozent gegenüber 12,6 Prozent im Jahr 2017.
Rekordergebnisse bei Landtagswahlen
Doch seitdem geht es fast nur noch in eine Richtung: nach oben. Bei Landtagswahlen erzielte die AfD zuletzt Ergebnisse zwischen 18,4 Prozent (Hessen) und 32,8 Prozent (Thüringen). In deutschlandweiten Umfragen erreicht die vom Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) als rechtsextremer Verdachtsfall eingestufte Partei Werte bis zu 20 Prozent.
Der Erfolg auf allen politischen Ebenen hat die AfD nun dazu bewogen, für die Bundestagswahl im September 2025 eine Kanzlerkandidatin zu nominieren: Alice Weidel. Die 45-Jährige soll auf dem Bundesparteitag im März gewählt werden. Chancen, deutsche Regierungschefin zu werden, hat die promovierte Ökonomin allerdings keine. Selbst wenn die AfD stärkste politische Kraft werden sollte, fände sie wohl keine Partei, die mit ihr koalieren würde.
Vorbild der Kanzlerkandidatin: Margaret Thatcher
Alice Weidel kann also nur davon träumen, in die Fußstapfen ihres Vorbilds zu treten: Margaret Thatcher. "Mir imponiert ihre Biografie, das Schwimmen gegen den Strom, auch wenn es unangenehm wird", sagte die AfD-Frontfrau in einem Interview mit der Boulevard-Zeitung "Bild" über die von 1979 bis 1990 amtierende Premierministerin Großbritanniens.
Thatchers Spitzname war "Eiserne Lady", weil sie gegen alle Widerstände an ihrem radikal wirtschaftsliberalen Kurs festhielt. Ihr Credo: niedrige Steuern, weniger staatliche Subventionen, Privatisierungen. Ein Kurs, der den Vorstellungen der früheren Unternehmensberaterin Weidel entspricht. "Thatcher hat Großbritannien übernommen, als das Land wirtschaftlich am Boden lag, und hat es wieder auf die Spur gebracht."
"Wir versuchen, die EU zu reformieren"
Als Weidel 2013 in die wenige Monate zuvor gegründete AfD eintrat, handelte es sich programmatisch um eine europaskeptische und nationalliberale Partei. Daran hat sich aus Sicht der designierten Kanzlerkandidatin nichts geändert: "Wir versuchen, die EU zu reformieren", sagte sie im August der Zeitung "Welt am Sonntag". Sollte eine Reform der Europäischen Union scheitern, müsse jedem Land die Möglichkeit gegeben werden, per Volksabstimmung über den Verbleib in der EU abzustimmen.
Von einem Rechtsruck will Weidel in demselben Interview nichts wissen. Sie nimmt sogar den Wortführer des extremistischen Parteiflügels, Björn Höcke, in Schutz. Der Thüringer AfD-Chef wurde mehrmals verurteilt, weil er öffentlich nationalsozialistische Parolen verwendet hatte. Trotzdem behauptet Weidel: "Das sehr provokante Element hat sich bei ihm abgeschwächt. Er macht einen hervorragenden Job in Thüringen. Die Strafprozesse finde ich lächerlich und fragwürdig."
Weidel wollte Björn Höcke mal aus der AfD ausschließen
So redet die AfD-Spitzenpolitikerin über einen Mann, der laut Gerichtsbeschluss als "Faschist" bezeichnet werden darf. Mehr noch: Seine eigene Partei warf ihm schon 2017 eine "Wesensverwandtschaft zum Nationalsozialismus" vor. Deshalb wollte sie ihn mit Weidels Zustimmung ausschließen. Der Antrag des Bundesvorstands wurde jedoch vom Schiedsgericht abgelehnt.
Dass Weidel gerne provoziert, räumt sie offen ein. Flüchtlinge und Asylbewerber verunglimpfte sie 2018 im Bundestag pauschal als "alimentierte Messermänner" und muslimische Kinder als "Kopftuchmädchen". Dafür wurde die AfD-Fraktionschefin vom damaligen Parlamentspräsidenten Wolfgang Schäuble öffentlich gerügt.
Die AfD-Chefin rechtfertigt das Wort "Kopftuchmädchen"
"Die Polarisierung ist ein Stilmittel, um Debatten anzustoßen", rechtfertigte sie ihre Wortwahl wenige Tage später im Gespräch mit der "Neuen Zürcher Zeitung". Mit dem Begriff "Kopftuchmädchen" habe sie darauf aufmerksam machen wollen, dass Deutschland ein Problem mit dem konservativen Islam habe, der nach ihrer Ansicht mit dem Grundgesetz unvereinbar ist.
Alice Weidel, die Provokateurin? Eine, die wegen ihres Privatlebens vielleicht in den eigenen Reihen Vorurteilen begegnet? Denn sie ist mit einer aus Sri Lanka stammenden Frau liiert und hat zwei adoptierte Kinder. Das ist weit entfernt vom Idealbild der AfD. Im Parteiprogramm bekennt man sich zur traditionellen Familie als Leitbild: "In der Familie sorgen Mutter und Vater in dauerhafter gemeinsamer Verantwortung für ihre Kinder."
Die künftige Kanzlerkandidatin der AfD mit Wohnsitzen in Deutschland und der Schweiz verkörpert in keiner Weise die Weltanschauung ihrer Partei. Für Alice Weidel kein Problem, wie sie schon 2017 sagte: "Es mag sein, dass der eine oder andere Ressentiments hat, aber das gibt es auch in anderen Parteien."