Abchasiens "rosarote" Zukunft
1. September 2008"Land der Seele“ heisst das idyllische Stück Schwarzmeerküste in der Sprache der Abchasen. Hier ist alles Grün, genährt vom feuchten, fast subtropischen Klima. Auf der einen Seite das Meer, auf der anderen Seite erheben sich majestätisch die Gipfel des Kaukasus. Zu Sowjet-Zeiten nannte man das Land Rote Riviera. Alle Moskauer Parteichefs, von Stalin bis Gorbatschow, besaßen hier ihre Datschen.
Neue Brücken bauen
Heute erinnert nur noch wenig an die einstige Pracht. Die Seebrücken, an denen in guten Zeiten russische und türkische Kreuzfahrtschiffe anlegten, sind zusammengebrochen. Die meisten der alten Kurhotels an der Hafenpromenade von Suchumi liegen zerschossen da. Sie sind zerstört seit dem blutigen Krieg gegen Georgien von vor 15 Jahren.
Doch heute haben die rund 300.000 Einwohner Abchasiens eine eigene Verfassung, ihre eigene Gesetzgebung, eine Hymne und eine Staatsflagge. Seit neuestem haben sie auch die Anerkennung des großen Nachbarn Russlands. Dass es für den Rest der Welt völkerrechtlich weiterhin Teil Georgiens ist, kümmert den Außenminister des De-Facto-Staates nicht. Warum, so fragt Sergej Schamba, bekommen wir versagt, was dem Kosovo zugestanden wurde, nämlich die Unabhängigkeit?
„Nach dem Unabhängigkeitskrieg vor 15 Jahren waren wir mit den Georgiern kurz davor, eine Einigung über eine staatliche Konföderation zu erzielen. Die georgische Seite hat dann auf Zeit gespielt, sagt der Außenminister. 1999 habe Abchasien ein Referendum durchgeführt, worin sich die Mehrheit der Abchasen für eine staatliche Unabhängigkeit ausgesprochen habe. Seitdem könnte diese mit Georgien nur auf der Grundlage von zwei souveränen Staaten verhandeln.
Eine bewegte Geschichte
Im August 1992 marschierten georgische Truppen nach Abchasien ein, denn Georgien wollte den Unabhängigkeitswillen der Abchasen brechen. Diese wehrten sich jedoch fanatisch, unterstützt von Söldnern aus anderen Kaukasusrepubliken und der Türkei. Auf beiden Seiten kam es dabei zu Morden und Plünderungen. Nach einem Jahr mussten die Georgier geschlagen wieder abziehen. Der brutale Bürgerkrieg forderte mehrere tausend Tote auf beiden Seiten.
Abchasien erklärte sich daraufhin für unabhängig von Georgien. Als Reaktion darauf wurde das Land mit einer internationalen Blockade belegt. Keiner durfte hinaus, auch die Russen hielten die Grenze geschlossen und erlaubten nur wenigen eine Fahrt nach Moskau. Seit 15 Jahren ist in dieser so genannten Konfliktzone eine Friedenstruppe der GUS-Staaten stationiert. Sie besteht ausschließlich aus russischen Soldaten.
Verluste auf der Goldwaage
Abchasen wie die pensionierte Lehrerin Mira Inalipa, die einen Sohn im Unabhängigkeitskrieg verloren hat, sehen die Russen als Beschützer. Diese Ansicht hat sich durch den Angriff der Georgier auf Süd-Ossetien verstärkt. Für sie ist eine Rückkehr der 200.000 Georgier, die nach dem Krieg aus Abchasien fliehen mussten, unvorstellbar. „Solange die Generation lebt, die diesen Krieg erlebt hat, wird es keine Versöhnung geben“, sagt die Lehrerin. Die Verluste auf abchasischer Seite seien viele höher gewesen als auf georgischer.
Anfang August wäre es neben dem Konflikt um Süd-Ossetien in der Schwarzmeerprovinz um ein Haar zu einer zweiten Kriegsfront gekommen. Auch dort mussten die Georgier vor drei Wochen eine militärische Niederlage hinnehmen: das nordwestlich gelegene Kodori-Tal, das georgische Truppen erst vor zwei Jahren von den Abchasen zurückerobert hatten, holten sich abchasische und russische Einheiten nach kurzem Kampf zurück.
Traumziel für Touristen?
Bereits im April dieses Jahres hob Moskau einseitig das Embargo gegen Abchasien auf. Seitdem beteiligen sich Russen aktiv beim Wiederaufbau: 350 Millionen Dollar russische Investitionen sollen nächstes Jahr nach Abchasien fließen. Besonders die Hotels werden von Moskauer Unternehmen wieder aufgebaut, die abchasischen Behörden rechnen in mit zwei Millionen russischen Touristen jährlich. 2014 finden in der russischen Schwarzmeerstadt Sotschi, die eine halbe Autostunde von der abchasischen Grenze entfernt liegt, die Olympischen Winterspiele statt. Das Olympische Dorf soll mit Baumaterialien und Fachkräften aus Abchasien errichtet werden.
Nicht Mitgefühl für ein staatenloses Volk, sondern handfeste Interessen stünden hinter dem Engagement Russlands in ihrem Land, weiß die Journalistin Izida Chania. Sie sieht Abchasien zwischen Hammer und Amboss: die Georgier wollten sie zur Minderheit machen, die Russen zu einem Protektorat. Die Schuld sieht sie im Westen, der die Abchasier durch einen Boykott nach dem Krieg in die Arme Russlands getrieben habe. „Nur die Russen haben uns geholfen, darum blieb uns keine andere Wahl als Russland“, sagt die Journalistin. Eine Folge sei, dass abchasische unabhängige Medien große Schwierigkeiten hätten, gegen die russischen Zeitungen und Fernsehsender anzukommen, die den Alltag beherrschten.
Die Chance auf Versöhnung und Frieden zwischen Abchasen und Georgiern ist derzeit gering. Noch immer hat sich Georgien nicht offiziell bei den Abchasen für den Angriff auf Suchumi vor 15 Jahren entschuldigt. Und die Abchasen sehen keinen Anlass, die Vertreibung der Georgier als Verbrechen zuzugeben. Außenminister Sergej Schamba glaubt aber, dass seinem Land auch ohne Anerkennung durch den Westen eine rosige Zukunft bevorsteht und verspricht: „Wir werden alle Chancen, die sich uns ergeben, nutzen und durch Investitionen wirtschaftlich viel weiter sein als heute.“