54 Milliarden Euro für Klimaschutz in Deutschland
20. September 2019Es ist 14.30 Uhr in Berlin, als Bundeskanzlerin Angela Merkel mit ihren Ministern aus dem sogenannten Klimakabinett und den Vorsitzenden der Regierungsparteien vor die Presse tritt. In einer Marathonsitzung haben CDU, CSU und SPD mitsamt ihrem Beraterstab 19 Stunden lang im Kanzleramt über den Entwurf für ein Klimaschutzgesetz verhandelt. 2020 müsste Deutschland eigentlich 40 Prozent weniger Treibhausgase ausstoßen als 1990, wenn es seine Klimaziele erreichen will. Das wird nicht klappen, so viel ist klar.
Deshalb wird der Blick auf 2035 gerichtet. Das Einsparziel wird dann bei 55 Prozent liegen. "Wir haben Konsequenzen aus der Tatsache gezogen, dass wir es einmal nicht geschafft haben", sagt die Kanzlerin und versucht, möglichst überzeugend zu klingen. Das fällt ihr sichtlich schwer und das nicht nur wegen des Schlafmangels. Als Physikerin weiß sie, dass zwischen dem, was die Politik ausgehandelt hat und dem, was Wissenschaftler als notwendig erachten, eine große Lücke klafft.
CO2 bekommt einen Preis
Ab 2021 soll jeder, der das Treibhausgas emittiert, dafür bezahlen. Mit zehn Euro pro Tonne fällt der Einstiegspreis allerdings überraschend niedrig aus. Bis 2025 soll er in Stufen auf 35 Euro pro Tonne steigen. In der Konsequenz werden die Preise für Heizöl, Benzin und Gas steigen, aber nur langsam. Man habe die Menschen nicht überfordern wollen, sagt die Kanzlerin. Außerdem sollten die Förderprogramme zunächst einmal ihre Wirkung entfalten.
Damit sind die Zuschüsse gemeint, die der Staat jedem Bürger zahlen will, der eine neue Heizung einbauen, sein Haus energetisch sanieren oder sich ein neues, weniger CO2 ausstoßendes Auto kaufen will. Stromverbraucher sollen durch eine geringere Umlage für die Erneuerbaren Energien entlastet werden.
Viele Fördermaßnahmen
Die Mehrwertsteuer auf Bahntickets soll von 19 auf sieben Prozent verringert werden. Im Gegenzug soll das Fliegen etwas teurer werden. Die Abgabe für Flugtickets soll ab 2020 wahrscheinlich verdoppelt werden. Mit einem Sammelsurium an Fördermaßnahmen sollen die Menschen also dazu bewegt werden, klimafreundlich zu handeln. Auf der anderen Seite kann sich, wer beruflich viel mit dem Auto unterwegs ist, das in seiner Steuererklärung anrechnen lassen - künftig sogar mit 35 statt wie bisher 30 Cent pro Kilometer.
Revolutionär klingt das nicht. Eher nach einem Anfang. Tatsächlich verspricht die Kanzlerin eine regelmäßige Überprüfung der Ergebnisse und Anpassung der Maßnahmen. "Das Klimakabinett wird weiter existieren." Unterstützt von Experten werde das Erreichte jährlich neu bewertet. Dieser Mechanismus sei eine Garantie dafür, Schritt für Schritt die Ziele zu erreichen.
Das Klimaschutzgesetz sei ein Beispiel "für das, was Politik ist", fügt die Kanzlerin fast entschuldigend hinzu. "Politik ist das, was möglich ist und diese Möglichkeiten haben wir ausgelotet. Das unterscheidet Politiker von Wissenschaftlern und ungeduldigen jungen Leuten."
270.000 demonstrieren in Berlin
Die haben in ganz Deutschland zu Hunderttausenden gegen einen in ihren Augen unzureichenden Klimaschutz protestiert. In vielen Schulen durften die Jugendlichen ab 11 Uhr ihre Klassen verlassen. In Berlin fand die zentrale Kundgebung von "Fridays for Future" am Brandenburger Tor statt. Die Berliner Verwaltung, aber auch zahlreiche Unternehmen hatten ihre Mitarbeiter freigestellt. In Scharen strömten die Menschen seit dem Morgen durch das Regierungsviertel, während das Klimakabinett noch verhandelte.
Viele hatten selbstgebastelte Plakate dabei mit Sprüchen wie "Klimaschutz ist ein Menschenrecht", "Geröstete Erde gefällig?" oder "Oma, wie sieht ein Schneemann aus?". Sie setze sich seit Jahren dafür ein, dass die Politiker mehr für den Klimaschutz tun müssten, sagt die 65-jährige Angelika Stolz bitter. Als Großmutter habe sie große Angst vor dem, was die Erderwärmung für ihre Enkel bedeute. "Wieso geht das erst jetzt richtig los?"
Reichlich Kritik an den Beschlüssen
Kurz nachdem Stolz das sagt, laufen die ersten Meldungen ein, das Klimakabinett habe sich geeinigt. Erste Details sickern durch. Die Reaktionen lassen nicht lange auf sich warten. "Ich bin bitter enttäuscht", twittert die Grünen-Co-Vorsitzende Annalena Baerbock. "Nötig war fürs Klima: schnell, kraftvoll, verbindlich. Was wir bekommen, ist langsam, lasch, unverbindlich. Das ist eine Abkehr von den Pariser Klimazielen und von unserer Zukunft."
Ein "wichtiger Schritt für den Klimaschutz" - aber nicht der erhoffte "große Wurf", kommentieren Wirtschaftsverbände und Ökonomen. Es gebe noch erheblichen Nachbesserungsbedarf. Das Klimapaket sei unsozial und ineffektiv, erklären hingegen die Fraktionsvorsitzenden der Linken, Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch. Vor allem kleine und mittlere Einkommen würden belastet, Reiche und Konzerne geschont. "Es setzt auf nutzlose, marktliberale Instrumente statt auf wirkungsvolle staatliche Ordnungspolitik."
Keine neuen Schulden aufnehmen
Das will vor allem die SPD so nicht stehen lassen. "Für uns Sozialdemokraten ist wichtig, dass wir die Ziele erreichen, aber auch, dass wir als Gesellschaft zusammenbleiben", verteidigt die Interims-Vorsitzende der Partei, Malu Dreyer, das Klimapaket, dessen Kosten Vize-Kanzler und Bundesfinanzminister Olaf Scholz mit 54 Milliarden Euro bis 2023 beziffert. Der Staat könne die Summe stemmen, ohne neue Schulden aufnehmen zu müssen, verspricht Scholz.
Möglich soll das durch die Rücklage von sechs Milliarden Euro sein, die im Klimafonds liege. Der speist sich aus dem europäischen Handel mit CO2-Zertifikaten, dem die Industrie bereits seit geraumer Zeit unterworfen ist. Jedes Unternehmen darf nur so viel Treibhausgas verursachen, wie es Zertifikate nachweisen kann. Reichen die nicht aus, müssen welche nachgekauft werden. Sie sind wöchentlich über Versteigerungen an der Leipziger Strombörse zu bekommen. Die Erlöse fließen in den Klimafonds.
Pfad der Vernunft?
Der Bundesfinanzminister geht davon aus, dass der stufenweise steigende Preis für CO2 mit den Jahren steigende Einnahmen für den Klimafonds mit sich bringen wird. "Wir haben allen Anlass zu handeln", sagt Scholz. Malu Dreyer ergänzt: "Wir schämen uns alle ein bisschen dafür, dass wir es nicht schaffen werden, die Klimaziele 2020 zu erreichen."
So weit will der CSU-Vorsitzende Markus Söder nicht gehen. Er sorgt sich eher darum, dass es auch Bürger gebe, die fragen würden, ob das in der Größenordnung überhaupt nötig sei und ob nicht zu viel Geld ausgegeben werde. "Ich glaube, dass der Weg der Mitte, den wir wählen, der Pfad der Vernunft ist."