30 Tage Haft für Alexej Nawalny
18. Januar 2021Die russische Justiz hat es eilig damit, Alexej Nawalny aus dem Verkehr zu ziehen. Erst wird der 44-Jährige bei seiner Rückkehr noch am Flughafen in Moskau festgenommen, dann dauert es nur Stunden, bis ein Urteil gefällt wird. In einer Art Eilverfahren, dass die Justiz in einer Polizeistation am Stadtrand von Moskau organisiert hat, wurde der Kremlgegner zu 30 Tagen Haft verurteilt.
Begründet wird das Urteil mit einem Verstoß gegen Meldeauflagen, die im Zuge einer früheren Bewährungsstrafe verhängt worden waren. Die Haft gelte bis zum 15. Februar, teilte Nawalnys Sprecherin Kira Jarmysch mit. Sein Anwalt Wadim Kobsew kündigte an, das Urteil anzufechten.
In Sankt Petersburg und mehreren anderen russischen Städten kam es daraufhin zu Protesten von Nawalny-Anhängern. Laut der Nichtregierungsorganisation OWD Info wurden insgesamt mehr als 70 Personen festgenommen, allein 56 in Sankt Petersburg.
"Gipfel der Rechtlosigkeit"
Nawalny selbst kritisierte das Verfahren als politische Inszenierung mit dem Ziel, ihn zum Schweigen zu bringen. Es handele sich um einem "Gipfel der Rechtlosigkeit". In einem Twitter-Video sagte er, die Behörden hätten die Strafprozessordnung zerrissen und auf den Müll geworden. "Ich habe oft gesehen, wie der Rechtsstaat ins Lächerliche gezogen wird, aber dieser Opi in seinem Bunker fürchtet sich inzwischen so sehr (...), dass nun einfach der Strafprozesskodex zerrissen und auf die Müllhalde geworfen wird", sagte Nawalny in dem improvisierten Gerichtszimmer. Mit "Opi in seinem Bunker" meint Nawalny ganz offensichtlich den russischen Präsidenten Wladimir Putin, der wegen der Corona-Pandemie meistens in seiner Moskauer Vorstadtresidenz per Video-Schalte arbeitet.
Nawalny ruft zu Protesten auf
Der inhaftierte Oppositionelle hat seine Landsleute zu Protesten gegen die Regierung aufgerufen. "Habt keine Angst, geht auf die Straße - nicht für mich, sondern für euch, für eure Zukunft", appellierte der Kremlkritiker in einem noch vor seiner Verurteilung auf Youtube veröffentlichten Video. Leonid Wolkow, ein Vertrauter Nawalnys, teilte auf Twitter mit, sein Team beginne mit Vorbereitungen von landesweiten Massendemonstrationen am Samstag.
Nawalnys Anwälte hatten soweit bekannt ein Schreiben über den Beginn einer Gerichtsverhandlung im Polizeigebäude erhalten, die dann prompt eröffnet wurde, ohne dass jemand sich hätte vorbereiten können. Zuvor hatten Nawalnys Anwälte und Mitarbeiter erklärt, dass von dem Oppositionellen seit seiner Festnahme jede Spur fehle.
Bundesregierung fordert sofortige Freilassung
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat die Verhaftung Nawalnys nach seiner Rückkehr aus Deutschland nach Moskau scharf verurteilt. Sie fordert seine sofortige Freilassung. Die russischen Behörden hätten das Opfer eines Mordanschlags verhaftet und nicht die Täter, so Regierungssprecher Steffen Seibert. Zudem müsse Russland die Umstände des Chemiewaffenangriffs gegen Nawalany auf russischem Boden vollumfänglich aufklären.
SPD: Einsatz für Demokratie offenbar strafbar
Der SPD-Vorsitzende Norbert Walter-Borjans sagte der DW, seine Partei sei entsetzt über die Verhaftung Nawalnys, auch wenn dies zu befürchten gewesen sei. Die russische Regierung gehe offenbar so vor, dass das Recht sei, was der Kreml vorgebe. Rechtsstaatlichkeit sei das nicht. Der Einsatz für Demokratie sei in Russland offensichtlich ein Straftatbestand, so Walter-Borjans weiter.
Die baltischen EU-Staaten dringen unterdessen auf Beratungen der Europäischen Union über weitere Sanktionen gegen Russland. Litauen, Lettland und Estland forderten bei dem für kommenden Montag geplanten Treffen der EU-Außenminister konkrete Diskussionen über mögliche Strafmaßnahmen, erklärte der litauische Außenminister Gabrielius Landsbergis. "Es ist offensichtlich, dass Moskau seine Angriffe auf den Oppositionsführer fortsetzt", so der Minister. Die EU müsse bereit zu einer entschlossenen Reaktion sein.
Nawalny ist einer der führenden Kritiker des russischen Präsidenten Putin. Nach einem Giftanschlag am 20. August in der sibirischen Stadt Tomsk mit dem Nerven-Kampfstoff Nowitschok wurde Nawalny im Berliner Krankenhaus Charité behandelt und erholte sich anschließend in Deutschland.
Der 44-Jährige hatte immer wieder Putin und den Inlandsgeheimdienst FSB für den Mordanschlag verantwortlich gemacht. Auch die Bundesregierung und andere westliche Staaten sprechen von einem Mordversuch. Nach Analysen von Labors in Deutschland, Frankreich und Schweden sowie der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) wurde bei dem Giftanschlag der in der damaligen Sowjetunion entwickelte Nervenkampfstoff Nowitschok verwendet. Die Regierung in Moskau weist jede Verwicklung in den Vorfall zurück.
Ungeachtet der Gefahr, getötet oder festgenommen zu werden, hatte Nawalny vor der Rückkehr in seine Heimat mehrfach betont, dass sein Platz in Russland sei und er dort seinen Kampf gegen das "System Putin" fortsetzen wolle.
qu/kle (rtr, dpa, afp)