25 Jahre Rabin-Mord und die Folgen
4. November 2020Tausende waren am 4. November 1995 zur Kundgebung auf den Platz der Könige Israels in Tel Aviv gekommen, dem heutigen Rabinplatz. Ministerpräsident Jitzchak Rabin hatte bezweifelt, dass der Platz überhaupt voll werden würde. Seit Wochen brodelte die Hetze aus dem rechten Lager gegen ihn und seine Politik und palästinensische Terroranschläge erschütterten das Land.
Auf der Kundgebung sprach Rabin über sein Vorhaben, Frieden mit den Palästinensern zu schließen. Die Menge in Tel Aviv jubelte ihm zu. "Dieser Abend beweist, dass die Israelis Frieden wollen", sagte Rabin einem Reporter erleichtert. Doch als er die Bühne verließ und zu seinem Auto ging, trafen ihn zwei Schüsse. Ein junger Israeli, Jigal Amir, hatte aus nächster Nähe auf ihn geschossen. Kurze Zeit später starb Rabin an den Schussverletzungen in einem Krankenhaus in Tel Aviv.
Der Tag, an dem ein jüdischer Extremist ein Attentat auf den israelischen Ministerpräsidenten verübte, hat sich tief in das kollektive Gedächtnis eingeprägt. Und so erinnern sich auch 25 Jahre später noch viele Israelis daran, wo sie an diesem schicksalhaften Novemberabend waren. Uri Dromi, damals Leiter des Pressebüros der Regierung, war im Kino in Jerusalem, als die ersten Nachrichten eintrafen. Sofort eilte er nach Tel Aviv.
"Schon unterwegs hörte ich im Radio, dass Rabin gestorben war. Von diesem Moment an funktionierte ich nur noch, wie eine Maschine. Ich dachte nur noch daran, was jetzt alles zu organisieren war für die Berichterstattung von der Beerdigung mit Hunderten Journalisten." Erst bei der Beisetzung wurde ihm bewusst, was passiert war: "Plötzlich wurde der Sarg hereintragen. Da verstand ich erst, dass darin mein Held lag, Jitzchak Rabin. Und ich begann zu weinen, wie alle um mich herum. Mir wurde klar: das war es."
Vom Hardliner zu Friedensgesprächen
Jitzchak Rabin, der bereits in den 1970er Jahren als Ministerpräsident amtierte, übernahm 1992 erneut das Amt und führte mit der Arbeitspartei eine Koalitionsregierung. Von Frieden mit den Palästinensern war damals, zumindest offiziell, noch keine Rede. "Lange Zeit hatten wir das Mantra der Partei wiederholt, dass wir niemals mit einer Terrororganisation wie der PLO, der Palästinensischen Befreiungsorganisation, sprechen würden," sagt Uri Dromi. "Ich erinnere mich noch gut an den Schock, als ich eines Morgens aufwachte und sich herausstellte, dass Rabin geheime Gespräche in Oslo genehmigt hatte, um mit der PLO zu verhandeln."
Hinter den Kulissen hatte die Regierung in der norwegischen Hauptstadt Oslo Gespräche mit der PLO geführt mit dem Ziel, den Nahostkonflikt zu beenden. Am 13. September 1993 unterzeichneten Rabin und PLO-Chef Jassir Arafat das erste Oslo-Abkommen im Weißen Haus in Washington. "Auf dem Flug nach Washington war Rabin sehr unruhig, er konnte nicht schlafen", erinnert sich Dromi. "Er wusste, er würde etwas tun, was eigentlich gegen alles sprach, was er in seinem Leben gemacht hatte. Er hat die Araber immer bekämpft." Nun war er zu dem Schluss gekommen, dass Frieden mit den Palästinensern Sicherheit für Israel bedeutet. "Aber er war auch nicht sicher, ob es funktionieren würde." In Washington schrieb Rabin dann Geschichte mit den Worten: "Wir, die wir euch, die Palästinenser, bekämpft haben, wir sagen euch heute mit einer lauten und klaren Stimme: Genug mit Blut und Tränen. Genug!"
Rabin zwischen den Fronten
Rabin selbst hatte durchaus Zweifel an dem eingeleiteten Prozess. Lange Jahre hatte er als Verfechter einer harten Linie gegolten, als Mr. Security mit einer eindrucksvollen Karriere in Armee und Politik. Bereits im Krieg 1948 war er Kommandeur, später dann Generalstabschef. Mitte der 1980er Jahre setzte er als Verteidigungsminister auf eine Politik der "Eisernen Faust" in den besetzten Gebieten und eine umstrittene Strategie, die palästinensischen Proteste der ersten Intifada mit "Gewalt, Macht und Schlägen" zu unterdrücken.
Dennoch ging Rabin nach Oslo noch einen Schritt weiter: Unter seiner Führung schloss Israel 1994 Frieden mit dem Nachbarland Jordanien. Seine Kehrtwende und die Friedenspolitik seiner Regierung empfanden Teile der israelischen Gesellschaft als Verrat.
Auch auf palästinensischer Seite gab es Widerstand. Und so folgte auf Oslo eine Serie von blutigen Terroranschlägen der palästinensischen Hamas und des Islamischen Dschihad in Israel. Selbstmordattentäter sprengten sich in Restaurants, Bussen und Clubs in die Luft. Das israelische rechte Lager machte Rabin dafür verantwortlich. Jede Woche protestierten Demonstranten vor Rabins Haus, skandierten "Tod für Rabin" oder zeigten ihn in Nazi-Uniform. Dem damaligen Oppositionsführer Benjamin Netanjahu (Likud) wurde später vorgeworfen, dass er nichts gegen die Hetze gegen Rabin unternommen habe.
Rabins Ermordung hat den Friedensprozess gestoppt
"Das Attentat hat den Oslo-Prozess im falschen Moment gestoppt, in der Übergangsphase. Und seit 25 Jahren hängen wir und die Palästinenser in dieser Phase fest", sagt Avraham Burg, damals prominenter Politiker der Arbeitspartei.
Den politischen Schwenk, den einige Israelis Rabin vorwerfen, nimmt Burg anders wahr. "Ich denke nicht, dass Oslo sein Vermächtnis war. Rabin war ein Soldat, ein General, er stand für vieles, aber im letzten Kapital seines Lebens ist er nicht zu einem 'Peacenik', zu einem Friedensaktivisten, geworden." Vielmehr hätte er eine "faszinierende Strategie" verfolgt, den Palästinensern auf "Augenhöhe zu begegnen", statt sie weiter zu unterdrücken.
Seit dem Mord an Rabin ist ein Frieden mit den Palästinensern im israelischen politischen Diskurs immer weiter an den Rand gedrängt worden. "Es scheint, als ob heute Rabins Vision weiter weg ist als je zuvor", sagt Omer Cohen, ein junger Israeli, der seit Monaten jede Woche an den Demonstrationen gegen die Regierung teilnimmt. An diesem Samstag gab es auch eine Gedenkfeier für Rabin in Jerusalem. "Rabin wollte diesen endlosen Konflikt zwischen Juden und Palästinensern beenden," sagt Cohen, der zum Zeitpunkt des Attentats zehn Jahre alt war. "Auch wenn seine Ideen heute kaum mehr jemand hören will, wir sind hier, um zu sagen, dass sie immer am Leben und noch immer relevant sind."