Der ewige Disput
23. Mai 2017Noch vor all den Staatspräsidenten, Königen, Ministern und Parlamentariern richtete Bill Clinton das Wort an die Witwe Yitzhak Rabins. Einen Moment durchblätterte er seine Papiere, erzeugte auf diese Weise eine Stille, in die er ihren Namen fallen ließ: "Leah". Trocken, leise, fast beiläufig und doch konzentriert sprach er ihren Namen aus, um dann, bevor er die anderen Anwesenden nannte, wiederum einige Sekunden zu schweigen. So stand er während der Trauerfeier einen Moment lang allein im Raum, der Name der Witwe, und drückte so die innere Verbundenheit des US-Präsidenten mit dem israelischen Premier aus.
Die beiden verband eine Freundschaft, erinnert sich Aaron David Miller, Diplomat und langjähriger Nahost-Berater im US-Außenministerium, in seinen Erinnerungen. Drei Jahre zuvor hatten sie sich kennengelernt, zu einer Zeit, da Clinton sich als Präsidentschaftskandidat zu positionieren begann. Während eines Arbeitstreffens habe Rabin eine Rede gehalten - so lang und vor allem langweilig offenbar, dass die Zuhörer nach und nach abschalteten, alle - bis auf Bill Clinton. "Clinton schaute Rabin an wie ein Student, der einen brillanten Professor bewundert", so Miller in seinen Memoiren über die lange Geschichte des Nahost-Konflikts aus amerikanischer Perspektive.
Lachen und Weinen
Vielleicht war es kein Zufall, dass die Annäherung, die Israel und Palästina unter der Präsidentschaft Clintons unternahmen, die Hoffnungen beider Seiten so sehr beflügelten wie keine davor und danach. Das persönliche Zutrauen, das beide füreinander empfanden, und in das sich Schritt für Schritt auch Jassir Arafat, der Vertreter der Palästinenser einbinden ließ, gab Anlass zu großem Optimismus. Förderlich war den Gesprächen freilich auch eine politisch besonders günstige Ausgangslage: Der Kalte Krieg war vorbei, und das Wort vom "Clash of Civilizations" war noch nicht in der Welt. Zudem war gerade die erste Intifada zu Ende gegangen und hatte beide Seiten von der Notwendigkeit einer Einigung überzeugt.
So verhandelten Israelis und Palästinenser in höchst eigentümlicher Atmosphäre miteinander. "Vor dem Hintergrund verpasster Fristen, von Terror, Gewalt und gegenseitigen Misstrauens lebten und lachten sie miteinander, brüllten sich an und vergossen Tränen", so Miller. Ein Frieden war das noch nicht, wohl aber die Voraussetzung dafür.
"Bei nach wie vor unterschiedlichen, teilweise entgegengesetzten Interessen der Konfliktparteien waren sie doch nicht länger Feinde, sondern akzeptierten einander als Verhandlungspartner und hatten damit den notwendigen ersten Schritt zu friedlichem Interessenausgleich anstelle kriegerischer Interessendurchsetzung getan", schreibt die Politologin Margret Johannsen in ihrem Buch "Der Nahostkonflikt". Dann aber, im November 1995, wurde Yitzhak Rabin durch einen Anhänger der religiösen Rechten ermordet. Danach traten die von Clinton angeregten Friedensverhandlungen auf der Stelle.
"Amerika kann nicht abseits stehen"
Das Engagement Bill Clintons gründete nicht nur auf persönlicher Nähe zu Yitzhak Rabin. Er führte zugleich jene Traditionen weiter, die nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und damit auch des Holocaust zu der engen amerikanisch-israelischen Beziehung führte, die beide Länder über Jahrzehnte miteinander verband. Harry S. Truman, der erste Präsident nach dem Zweiten Weltkrieg, ließ sich vor allem von dem Eindruck des Massenmords an den Juden leiten.
"Amerika könnte kaum abseits stehen, als den Opfern von Hitlers radikalem Wahn die Möglichkeit verweigert wurde, neues Leben aufzubauen", schrieb er in einem Brief an die britische Regierung, in dem er sich für eine Ausreisegenehmigung von 100. 000 jüdischen Flüchtlingen nach Palästina einsetzte. Damit umriss er eine der beiden großen Koordinaten der amerikanischen Nahostpolitik.
"Keine Vorzugsbehandlung"
Die andere Koordinate entstand vor dem Hintergrund des Kalten Krieges. In Zeiten des vor allem von dem ägyptischen Premier Gamal Abdel Nasser verkörperten arabischen Nationalismus setzten die Vereinigten Staaten einerseits von Anfang an auf Israel als verlässlichen Verbündeten. Andererseits fürchteten sie, eine Politik allein zugunsten Israels könnte die Palästinenser in die Arme des Nationalismus und damit die der Sowjetunion treiben. Die amerikanische Nahostpolitik, ließ US-Präsident Eisenhower 1953 den National Security Service (NSC) wissen, müsse auf einen Umschwung der antiamerikanischen Einstellung der Araber hinarbeiten. Darum gelte es eines klar zu stellen: "Israel wird allein aufgrund seiner jüdischen Bevölkerung keine Vorzugsbehandlung erhalten."
Eisenhowers Direktive gilt im neuen Jahrtausend noch immer - mit dem Unterschied, dass die USA nun nicht mehr fürchten, die Palästinenser könnten sich dem Kommunismus zuwenden. Inzwischen sorgen sie sich, die Menschen im Gazastreifen und im Westjordanland könnten sich in Teilen dem radikalen Islam oder gar dem Dschihadismus öffnen.
Trump auf der Suche nach seinem Kurs
Entsprechend behutsam war die Politik der vergangenen Jahre. Obamas Außenminister John Kerry bemühte sich über Jahre vergeblich um einen Ausgleich zwischen Israelis und Palästinensern. Nun hat sich der neue Präsident Donald Trump der Sache angenommen - und sendet widersprüchliche Signale aus. Bei seinem Besuch in Washington im Februar dieses Jahres erklärte der israelische Premier Benjamin Netanjahu, er habe von Trump "ausgesprochen positive" Signale erhalten, dass man im Nahen Osten eng zusammenarbeiten werde. Andererseits lehnte es Trump bei seinem Besuch in Jerusalem Mitte dieser Woche ab, sich von Netanjahu nach Bethlehem, im Westjordanland gelegen, begleiten zu lassen. Auch das nahm man in Israel als politisches Signal wahr.
Trump, so scheint es, hat seinen endgültigen Kurs im Nahostkonflikt noch nicht gefunden. Zumindest hat er ihn noch nicht verraten.