2023 – Jahr der Entscheidung in Myanmars Bürgerkrieg?
31. Januar 2023Tausende Tote und mindestens 1,5 Millionen Binnenvertriebene, das ist die bisherige Bilanz des Bürgerkriegs in Myanmar. Seit das Militär am 1. Februar 2021 geputscht hat, kommt es fast im ganzen Land immer wieder zu Gefechten, Anschlägen, Entführungen. Die Gefängnisse sind voll von politischen Gefangenen, die vom Militär misshandelt, gefoltert und ermordet werden. Die entmachtete Regierungschefin Aung San Suu Kyi wurde vor Gericht gestellt und in Scheinprozessen zu insgesamt mehr als 30 Jahren Haft verurteilt. Unabhängige Berichterstattung ist extrem schwierig, Journalisten werden bedroht, verfolgt und getötet.
Mindestens drei Konfliktparteien stehen sich gegenüber: Zum ersten die Militärregierung, die sich selbst State Administrative Council (SAC) nennt. Zum zweiten der Widerstand, bestehend aus dem National Unity Government (NUG), dem 2020 gewählten, aber durch Putsch entmachtete Parlament (Committee Representing Pyidaungsu Hluttaw, CRPH) und den People's Defense Forces (PDF). Zum dritten gibt es eine Vielzahl von ethnischen Gruppen und deren Armeen, die zum Teil den Widerstand, zum Teil die Militärregierung unterstützen, in einigen Fällen aber auch neutral bleiben.
Der Konflikt hat wie jeder Bürgerkrieg verschiedene Dimensionen: eine militärische, eine wirtschaftliche und eine politische. In allen Bereichen versuchen die Konfliktparteien die Oberhand zu gewinnen.
Machtkampf unentschieden
Militärisch zeigt sich ein gespaltenes Bild. Das Militär dominiert große Teile des Kernlands und die großen Städte wie Yangon, Mandalay und die Hauptstadt Naypyidaw. Um das Kernland ziehen sich hufeisenförmig die Regionen der ethnischen Minderheiten. Hier haben entweder das NUG oder die jeweiligen ethnischen Minderheiten die Oberhand.
Die Einschätzungen darüber, welche Seite militärisch gewinnt, gehen weit auseinander. Der Myanmar-Experte der International Crisis Group, Richard Horsey, und der Politologe Michał Lubina von der Jagiellonian-Universität in Krakau, mit denen die DW gesprochen hat, sind sich allerdings einig, dass es so bald keinen Marsch auf die Hauptstadt geben wird. Dafür ist das Kräfteverhältnis zu unausgeglichen: Das Militär verfügt auch dank russischer Lieferungen vom November letzten Jahres über neue Sukhoi Su-30 Kampfjets, während viele Bürgermilizen mit selbstgebauten Gewehren zurechtkommen müssen.
Der bewaffnete Kampf ziele vielmehr darauf ab, so die Experten, das Militär an möglichst vielen Fronten gleichzeitig so unter Druck zu setzen, dass es sich überdehnt. Die Hoffnung, so Lubina, ist, "dass es eine Art Gegenputsch oder zumindest eine Machtverschiebung im Militär gibt, die den Weg für Verhandlungen mit dem NUG frei machen könnte." Bisher ist es dazu allerdings noch nicht gekommen.
Wirtschaftskrieg
Wirtschaftlich zielt der Widerstand durch zivilen Ungehorsam, Anschläge auf die Infrastruktur wie etwa das Stromnetz und durch Boykott von Unternehmen, die dem Militär gehören, darauf ab, das Militär von benötigten Einkünften abzuschneiden. Umgekehrt versucht das Militär, Spenden der Bevölkerung an den Widerstand zu unterbinden und eigene Anhänger in der Wirtschaft zu bevorteilen.
In Folge des internen Wirtschaftskriegs ist Myanmars Bruttoinlandsprodukt dramatisch geschrumpft. Im Juli 2022 war es nach Angaben der Weltbank noch 13 Prozent kleiner als im Jahr vor dem Putsch. 40 Prozent der Bevölkerung leben unterhalb der nationalen Armutsgrenze. Die Bevölkerung leidet unter der miserablen Wirtschaftslage, aber auch hier dauert die Auseinandersetzung der Konfliktparteien unentschieden an.
Politische Dimension 2023 entscheidend
Während militärisch und wirtschaftlich unklar ist, was 2023 bringen wird, lässt sich schon jetzt sagen, dass das Militär alles daransetzt, einen politischen Sieg zu erzielen und seine Legitimität zu stärken. Es hat für 2023 deswegen Wahlen angekündigt.
Klar ist schon heute, dass die Wahlen weder frei noch fair sein werden und auch nicht im ganzen Land durchgeführt werden können. Die Wahlkommission besteht aus 15 vom Militärchef handverlesenen Mitgliedern. In heftig umkämpften Gebieten wird es praktisch unmöglich sein, die Bevölkerung wählen zu lassen. Das Wahlsystem soll so geändert werden, dass es das Militär, für das laut Verfassung ohnehin schon 25 Prozent aller Sitze in allen Parlamenten reserviert sind, und seine Partei stark begünstigt. Vergangenen Freitag wurde eine Wahlrechtsreform erlassen, die es vielen Parteien unmöglich machen wird, an den Wahlen teilzunehmen. So müssen Parteien drei Monate nach ihrer Registrierung 100.000 Mitglieder nachweisen, um an den Wahlen teilnehmen zu können.
Fassade für das Ausland
Klar ist auch, dass die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung die Wahlen mindestens ebenso ablehnt, wie es die Militärregierung ablehnt. Wofür also Wahlen, wenn es nicht darum geht, die Stimme des Volkes zu respektieren?
Der Politologe Lubina sagt: "Es geht darum, eine Fassade aufzubauen. Die Junta hat die Nase voll davon, Junta genannt zu werden. Sie brauchen die Fassade, um es insbesondere für asiatische Mächte einfacher zu machen, die Beziehungen zu Naypyidaw zu normalisieren."
Lubina hat dabei vor allem Länder wie China, Indien, Thailand, Vietnam, Singapur oder Japan im Sinn. Die Scheinwahl könnte es diesen Ländern, die ohnehin weniger Berührungsängste mit der Militärregierung haben als etwa europäische Staaten oder die USA, leichter machen, sich wieder stärker im Land zu engagieren. Myanmar braucht diese Partner, um seine Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen.
Falle für den Widerstand
Horsey weist im Zusammenhang mit den Wahlen auch auf die reale Gefahr eines Imageschadens für den Widerstand hin. Wenn Wahlstationen von den Bürgermilizen angegriffen und die Wahlen insgesamt von exzessiver Gewalt überschattet werden, würde das Ländern, die keine Partei ergreifen wollen, leichter machen zu sagen: "Es ist ein komplexes Problem, niemand weiß, wer Recht hat. Es ist ein Konflikt. Man muss alle Seiten berücksichtigen."
Dabei sei sehr klar, wie die Dinge liegen. Mit Blick auf den Putschführer Min Aung Hlaing sagte Horsey der DW: "Er braucht die Wahlen als Übergang. Nicht als Weg zur Demokratie, nicht für den Frieden oder für das Ende der Gewalt, aber zur Konsolidierung seiner Kontrolle und seiner Vorstellung von der Zukunft des Landes." Einer Zukunft mit Min Aung Hlaing an der Spitze einer durch Schein-Wahlen legitimierten Militärregierung in zivilem Gewand.