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2015 - das Wandeljahr

Andreas Becker29. Dezember 2015

In gleich zwei deutschen Vorzeigeunternehmen wird man sich noch lange an das Jahr 2015 zurückerinnern. Für Volkswagen und die Deutsche Bank brachte es Ereignisse, die beide Konzerne dauerhaft verändern werden.

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Volkswagen und Deutsche Bank Logo
Bild: picture alliance/dpa/J. Stratenschulte D. Roland/AFP/Getty Images

"Die Marke Volkswagen wird in den USA wieder auf Angriff spielen." Im Januar 2015 sagte Martin Winterkorn diesen Satz auf der Detroit Motor Show, die das Autojahr traditionell eröffnet. Er konnte damals nicht ahnen, dass es neun Monate später eine Nachricht aus den USA sein würde, die seine Karriere als Chef des Volkswagen-Konzerns zerstören und den Ruf des ganzen Unternehmens beschädigen sollte.

Denn auch wenn die Absatzzahlen in den USA nicht optimal waren - lange lief es gut für den erfolgsverwöhnten Manager. Im April konnte er sich sogar gegen einen Gegner durchsetzen, den bei Volkswagen noch keiner besiegt hatte: Ferdinand Piech, Chef des Aufsichtsrats, Winterkorns Amtsvorgänger und Großaktionär, hatte seinem einstigen Schützling öffentlich das Vertrauen entzogen und gesagt, er sei "auf Distanz zu Winterkorn". Doch der Schuss ging nach hinten los. Die Anteilseigner stellten sich mehrheitlich hinter Winterkorn, Piech musste seine Ämter aufgeben.

Die Episode zeigt, wie fest Winterkorn im Sattel saß. Kein anderer deutscher Manager verdiente soviel Geld wie er - rund 15 Millionen Euro pro Jahr. Kein anderer herrschte über 600.000 Mitarbeiter. Und keiner hatte so globale Ziele. Bis 2018, das hatte Winterkorn immer wieder verkündet, werde Volkswagen mehr Autos verkaufen als jedes andere Unternehmen auf der Welt.

Deutschland IAA Frankfurt Martin Winterkorn
Kurz vor dem Ende: VW-Chef Winterkorn bei der Internationalen Automobilausstellung 2015Bild: picture-alliance/dpa/F.v. Erichsen

"Echte Werte"

Schon Mitte 2015 erzielte Volkswagen einen Etappensieg, in den ersten sechs Monaten hatte der Konzern den japanischen Konkurrenten Toyota erstmals als weltgrößter Hersteller überholt. Der Stolz war Winterkorn anzumerken, als er am 14. September bei einer Veranstaltung im Rahmen der Internationalen Automobilaustellung (IAA) in Frankfurt sprach. "Unsere Marken verkaufen nicht nur Autos und Technik", so der passionierte Ingenieur. "Sie stehen für eine Haltung, für ein Lebensgefühl, für echte, bleibende Werte."

Zu diesem Zeitpunkt wusste Winterkorn bereits von der Hiobsbotschaft, die die US-Umweltbehörde EPA vier Tage später veröffentlichte: Mit illegalen Mitteln habe Volkswagen die Abgaswerte seiner Dieselfahrzeuge manipuliert und damit gegen US-Recht verstoßen. Die Emissionen seien in Wahrheit viel höher als erlaubt, es drohten Bußgelder in Milliardenhöhe. Dann überschlugen sich die Ereignisse, der Aktienkurs brach ein, immer neue Details kamen ans Licht. Erst sollten nur 500.000 Wagen in den USA betroffen sein, dann mehr als elf Millionen weltweit.

Sichtbar angeschlagen leistete Winterkorn, der einstige Sonnenkönig im VW-Reich, öffentlich Abbitte: "Viele Millionen Menschen auf der ganzen Welt vertrauen unseren Marken, unseren Autos und unseren Technologien. Es tut mir unendlich leid, dass wir dieses Vertrauen enttäuscht haben. Ich entschuldige mich in aller Form bei unseren Kunden, den Behörden und der gesamten Öffentlichkeit für das Fehlverhalten."

"Schonungslose Aufklärung"

Doch es war zu spät. Nur zwei Tage nach dieser Erklärung, am 23. September, musste Winterkorn zurücktreten. Der kommisarische Aufsichtsratsvorsitzende Berthold Huber legte Wert auf die Feststellung, "dass Herr Winterkorn keine Kenntnis hatte von der Manipulation von Abgaswerten". Porsche-Chef Matthias Müller übernahm die Konzernführung und versprach "schonungslose Aufklärung".

Deutschland VW CEO Matthias Müller
Ernste Mine in ernsten Zeiten: Matthias MüllerBild: Reuters/I. Fassbender

Es bleiben viele Fragen: Wer ist verantwortlich für die Manipulationen, wer wusste davon, und seit wann? Und welche Kultur herrscht in einem Konzern, in dem der Chef angeblich keine Kenntnis davon hat, wenn millionenfach manipuliert wird?

Auch Informationen über betroffene Fahrzeuge kommen nur scheibchenweise ans Licht. Inzwischen sind nicht nur Diesel-, sondern auch Benzinmotoren betroffen, und nicht nur die Marke VW, sondern auch Audi, Seat, Skoda und Porsche. In vielen Ländern ermitteln die Behören, Kunden ziehen vor Gericht, Millionen Fahrzeuge müssen umgerüstet werden.

Der Schaden geht in die Milliarden, doch schwerer wiegt der Imageverlust. Der Konzern, der sich Haltung und bleibende Werte auf die Fahnen geschrieben hatte, steht plötzlich da wie eine betrügerische Organisation, die Profit höher achtet als das Gesetz. Jetzt ist man um Schadensbegrenzung bemüht und will "ohne Tabus" aufklären, wie neu berufene Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch auf der ersten Pressekonferenz nach dem Skandal am 10. Dezember in Wolfsburg sagte. "Alles kommt auf den Tisch. Nichts wird unter den Teppich gekehrt." Und Vorstandschef Matthias Müller will einen ehrlichen Neuanfang und alles tun, um die aktuelle Situation zu bewältigen. "Aber wir werden es nicht zulassen, dass uns diese Krise lähmt. Im Gegenteil, wir nutzen sie als Katalysator für den Wandel, den Volkswagen braucht."

Kulturwandel

Wie schwer es ist, einen ramponierten Ruf wiederherzustellen, weiß man bei der Deutschen Bank nur zu gut. Gut drei Jahre lang bemühte sich das größte deutsche Geldhaus um einen "Kulturwandel": weg von der kurzfristigen, oft rücksichtslosen Profitorientierung, die die gesamte Finanzbranche an den Rand des Abgrunds gebracht hatte.

Deutsche Bank Hauptversammlung
Gescheitert am Wandel: Deutsche Bank Chefs Anshu Jain und Jürgen Fitschen bei der Hauptversammlung im MaiBild: Reuters/K. Pfaffenbach

"Wir sind fest entschlossen, nachhaltig und langfristig Wert zu schaffen", hatte Co-Chef Anshu Jain gesagt, während sein Kollege Jürgen Fitschen 2013 um Geduld gebeten hatte: "Ein umfassender Kulturwandel, wie wir ihn anstreben, kann nicht von oben verordnet werden, man kann nicht einfach einen Hebel umlegen."

Doch auch in der ersten Hälfte des Jahres 2015 war von einer neuen Kultur nichts zu sehen. Stattdessen kämpfte die Deutsche Bank mit den Geistern der Vergangenheit. Im März versagte sie bei einem Stresstest der US-Notenbank Federal Reserve wegen Schlampereien im Berichtswesen. Im April musste sie die Rekordstrafe von 2,5 Milliarden US-Dollar zahlen für ihre Rolle bei der Manipulation von Zinssätzen.

Ebenfalls im April stand Co-Chef Fitschen vor dem Münchener Landgericht, angeklagt des schweren Prozessbetrugs in einem früheren Verfahren. Die Anklagebank war hochrangig besetzt, neben Fitschen saßen dort zwei frühere Chefs und zwei Ex-Vorstände der Bank - also Vertreter jener Kultur, die Fitschen eigentlich ändern wollte.

Der Prozess ist noch nicht beendet, die Banker weisen jede Schuld von sich. Doch die Bilder aus dem Gericht waren Gift für das ohnehin angeschlagene Image der Bank, gegen die weltweit tausende Prozesse anhängig sind und die allein an Strafen seit 2012 rund zwölf Milliarden Euro gezahlt hat.

Jain und Fitschen versuchten, mit einer "Strategie 2020" gegenzusteuern. Das Investmentbanking soll verkleinert, die Postbank wieder verkauft, der Handel mit Rohstoffen und bestimmten Finanzderivaten aufgegeben werden.

Die Hauptversammlung der Aktionäre im Mai geriet dennoch zum Debakel, fast hätten die wütenden Aktionäre dem Vorstand die Entlastung verweigert. Im Juni war es dann vorbei, das Führungsduo trat zurück. Anshu Jain, der nach Ansicht der Aktionäre als früherer Chef der Investmentsparte die Hauptverantwortung trägt für die heutigen Probleme, ging sofort. Jürgen Fitschen darf noch bis Juni 2016 bleiben, um dem neuen Mann an der Spitze die Arbeit zu erleichtern.

Neue Bescheidenheit

Der heißt John Cryan, ist Brite und sieht nicht aus, als wäre er dem Jetset-Leben zugeneigt. "Ich glaube, dass die Leute im Bankensektor zu viel Geld verdienen", sagte er und übte deutliche Kritik an seinen Vorgängern: "In den vergangenen zwei Jahrzehnten sind zahlreiche Strategien und Ziele verkündet worden, aber selten wurden sie konsequent realisiert."

Frankfurt PK Deutsche Bank John Cryan
Bild: Getty Images/T. Lohnes

Das trifft nicht zuletzt Josef Ackermann, der die Deutsche Bank zwischen 1996 und 2012 führte. Die Ausweitung des Investmentbanking, die ambitionierten Renditeziele, der Traum vom globalen Finanzimperium, die Übernahme der Postbank - all das ist vor allem Ackermanns Werk.

Cryan beginnt nun das große Aufräumen. Wegen gewaltiger Abschreibungen machte die Bank im dritten Quartal einen Rekordverlust von 6,2 Milliarden Euro. Die Dividende für die nächsten zwei Jahren wurde gestrichen - das gab es seit den 1950er Jahren nicht mehr.

Die Zahl der weltweiten Mitarbeiter wird um ein Viertel gekürzt, aus zahlreichen Auslandsmärkten zieht sich die Bank zurück. "Die größte Stärke der Deutschen Bank ist ihre tiefe Verwurzelung in Deutschland und in Europa", sagte Cryan. Sein Ziel sei es, diese Wurzeln zu stärken, die Bank solle "weniger komplex" und dafür "normaler" werden.

"Unsere Ziele mögen zwar weniger spektakulär sein als in der Vergangenheit", sagte Cryan, "aber dafür soll die Deutsche Bank nachhaltiger Gewinne erzielen." Dieses Ziel hatte allerdings schon der glücklose Anshu Jain ausgegeben. Es wird sich zeigen, ob John Cryan damit mehr Erfolg hat.

Wie wichtig dafür jedoch Vertrauen ist - das der Kunden, der Mitarbeiter und der Aktionäre - diese Botschaft zumindest dürfte 2015 bei der Deutschen Bank und bei Volkswagen angekommen sein.