Ökumenischer Kirchentag: Getrennt, aber gemeinsam
13. Mai 2021"Gerade jetzt ist der dritte Ökumenische Kirchentag von höchster Relevanz", sagt Bettina Limperg. Die Juristin, seit 2014 Präsidentin des Bundesgerichtshofs, ist evangelische Präsidentin des Evangelischen Kirchentages. In diesen Tagen steht sie mit dem Präsidenten des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Thomas Sternberg, an der Spitze des dritten Ökumenischen Kirchentags (ÖKT), der unter dem Motto "Schaut hin" steht und am Donnerstag beginnt. "Wir wollen hinschauen: Dahin, wo es weh tut, dahin, wo wir heilen können und dahin, wo wir handeln können", sagt Limperg.
"Schaut hin!" Dieses Motto, aus dem Markus-Evangelium gewählt und lange vor Corona-Zeiten festgelegt, hat in Zeiten der Pandemie ganz neue Dimensionen bekommen. So betonen die Veranstalter den Blick auf das Land und die Welt in der Corona-Krise, auf die gesellschaftlichen Spaltungen, die Herausforderung für Europa, aber sie nehmen auch die schärfer werdenden Fragen der Klima-Krise in den Fokus.
Virtuelle Veranstaltungen
Eines der wenigen physischen Zeugnisse des Kirchentages ist nun ein überdimensional großer Tisch in der Frankfurter Innenstadt: Bei 28 mal acht Metern soll er als Symbol für Zusammensein, miteinander sprechen, beieinander sitzen dienen. Ansonsten ist das Treffen weithin eine virtuelle Angelegenheit. Eigentlich sollten weit über hunderttausend Christinnen und Christen vier Tage lang in der Main-Metropole, ihrem Messezentrum und den Kirchen der Stadt unterwegs sein.
Dann kam Corona. Gelegentlich schien es, als müssten die Kirchen das Mega-Event komplett absagen. "Einige Male", sagt Thomas Sternberg, "stand das ganze Treffen auf der Kippe." Spätestens, als die Behörden betonten, niemand dürfe wegen des Kirchentags als Übernachtungsgast nach Frankfurt kommen. Stattdessen hofft man nun auf tausende Teilnehmer bei digitalen Podien – und auf bis zu 300 kleine Veranstaltungen, vielfach Gottesdienste, bundesweit.
All das gehört seit Jahrzehnten zum Profil der großen Christentreffen. Bislang standen im Land der Reformation große Treffen der getrennten Kirchen meist getrennt nebeneinander.
Erst zum dritten Mal gemeinsam
Die deutschen Katholiken versammelten sich bereits 1848, in einer Zeit des bürgerlich-demokratischen Aufbruchs, zu einem ersten "Katholikentag" in Mainz. In der Regel alle zwei Jahre folgt ein weiteres Treffen. Das jüngste 2018 in Münster war der 101. Katholikentag.
Der Deutsche Evangelische Kirchentag (DEKT) hat manche Vorläufer, aber in heutiger Form und mit der regelmäßigen Terminfolge in ungeraden Kalenderjahren läuft er seit 1949. Kirchentage sind größer als Katholikentage. Den 37. DEKT gab es 2019 in Dortmund.
Den ersten Ökumenischen Kirchentag feierten Gläubige 2003 in Berlin, einen zweiten 2010 in München. Es dauerte elf Jahre bis zum nun stattfindenden dritten gemeinsamen Treffen. Elf Jahre, in denen die katholische und evangelische Kirche, nach wie vor getrennt, mehr und mehr spüren, wie sehr sie mit den gleichen Problemen zu kämpfen haben. Jahr für Jahr treten aus jeder der beiden großen Kirchen hunderttausende Christen aus - gerade noch knapp über 50 Prozent der Deutschen gehört einer der großen Kirchen an. Beide Kirchen haben mit der Aufarbeitung von Missbrauch Minderjähriger durch Kirchenleute zu kämpfen. Beide Kirchen stehen als Mahner nationaler und weltweiter Gerechtigkeit gemeinsam gegenüber der Politik.
Kein Bad in der Menge
Spitzenvertreter der Politik werden, wie bei Kirchentagen üblich, in Frankfurt zu Gast sein. Diesmal bei vorproduzierten oder nicht öffentlichen Podiums-Veranstaltungen. Das nimmt vieles von der Stimmung, die Politiker hier sonst erleben. Dazu gehören das Bad in der Menge, frenetischer Jubel, aber auch scharfe Kritik und fordernde Ermutigungen bei Fragen von Gerechtigkeit und Solidarität.
Dabei wird der Samstag dieses Kirchentages zum Schaulaufen der Prominenz in Vor-Wahlkampfzeiten. Bei getrennten Veranstaltungen diskutieren Kanzlerin Angela Merkel und die grüne Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock Fragen des Klimaschutzes. Und die beiden, die für die Union bzw. die SPD Merkels Nachfolge antreten wollen, Armin Laschet und Olaf Scholz, erörtern bei zwei Veranstaltungen die ökonomische Weltlage nach Corona. Auch mehrere Bundesminister sowie einige Ministerpräsidenten sind angekündigt. Merkel war übrigens seit ihrer ersten Teilnahme als Kanzlerin an einem solchen Christentreffen beim Katholikentag 2006 in Saarbrücken bei fast jeder dieser Veranstaltungen dabei. Ähnliches gilt für Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der nun nach Frankfurt kommt und auch schon als Außenminister teilnahm.
Einfluss auf Politik
Vor allem evangelische Kirchentage haben in ihrer Geschichte mit deutlichen und konkreten Forderungen für Weichenstellungen gesorgt und politisches Handeln angestoßen. Das galt zum Beispiel für die Debatte um die Nachrüstung, die Deutschland Anfang der 1980er Jahre beschäftigte. Immer wieder setzten beide Konfessionen mit Mahnungen zur weltweiten Gerechtigkeit besondere Akzente.
Innerkirchlich und für das Miteinander der Kirchen wird vor allem der Samstagabend spannend. In vier Kirchen der Main-Metropole werden katholische oder evangelische Gottesdienste mit jeweils einer kleinen Zahl von Teilnehmenden gefeiert. Und dabei soll deutlicher als je zuvor werden, dass jeder Christ, jede Christin, entscheiden kann, ob es zum Abendmahl der anderen Konfession geht. Das ist bei einem kirchenamtlich heiß umstrittenen Thema spektakulär.
"Wir heißen die Christinnen und Christen anderer Konfessionen vorbehaltlos willkommen", kündigte der Limburger katholische Bischof Georg Bätzing an, zu dessen Bistum Frankfurt gehört. Bätzing ist auch Vorsitzender der katholischen Deutschen Bischofskonferenz. "Wir wollen Zeichen der Einheit setzen." So etwas hat es bei bislang keinem Kirchen- oder Katholikentag gegeben.
Aber es deutet vieles darauf hin, dass beide Seiten, Katholiken und Protestanten, künftig stärker gemeinsam gehen wollen. Die kommenden Katholiken- und Kirchentage "werden ökumenischer sein", heißt es schon zum Auftakt.