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Politik

Äthiopische Regierung ruft zu den Waffen

3. November 2021

Die Rebellen um die TPLF rücken weiter in Richtung Addis Abeba vor. Die Regierung verhängte einen landesweiten Notstand. Ein neuer Bericht geißelt Menschenrechtsverstöße auf allen Seiten.

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Symbolbild Äthiopien Tigray-Krise | Ausnahmezustand
Äthiopiens Streitkräfte versuchen, die TPLF auf Distanz zu halten (Archivbild)Bild: Ben Curtis/AP Photo/picture alliance

Nach den Landgewinnen der Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF) und ihrer Verbündeten im Norden Äthiopiens hat die Regierung unter der Führung von Ministerpräsident Abiy Ahmed für sechs Monate einen landesweiten Notstand verhängt. Eine entsprechende Entscheidung habe der Ministerrat getroffen, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur ENA. Das Parlament in Addis Abeba, in dem die Regierungspartei eine deutliche Mehrheit besitzt, soll den Notstand innerhalb von 48 Stunden billigen.

Die Regierung erklärte, der Notstand sei notwendig, um Bürger vor der Gewalt der TPLF zu schützen. Er gibt den Behörden unter anderem die Möglichkeit, Straßensperren zu errichten sowie Verkehrs- und Kommunikationsverbindungen zu unterbrechen. Auch die Übernahme der Verwaltung durch das Militär in bestimmten Bereichen ist damit möglich. Zudem ist die Inhaftierung von Verdächtigen mit Verbindungen zum Gegner bis zur Dauer des Ausnahmezustands möglich, wie der Ministerrat erklärte.

Infografik: Eine Karte von Äthiopien und Tigray
Am Wochenende meldete die TPLF die Einnahme der beiden strategisch wichtigen Städte Kombolcha und Dessie in der Provinz Amhara

Die Behörden in der Hauptstadt Addis Abeba forderten die Einwohner dazu auf, ihre Wohngegenden im Konflikt mit der TPLF zu verteidigen. Zuvor hatte Regierungschef Abiy die Bevölkerung aufgerufen, zu den Waffen zu greifen. Waffenbesitzer, die sich nicht am Schutz ihrer Umgebung beteiligen könnten, sollten ihre Waffen der Regierung, nahen Verwandten oder Freunden übergeben, hieß es in einem Aufruf der Stadtverwaltung. Jeder werde festgenommen, der versuche Chaos zu stiften.

TPLF rückt auf Addis Abeba vor

Vorausgegangen war die Meldung der TPLF, sie habe zwei strategisch wichtige Städte eingenommen. Gemeinsam mit Rebellen der Oromo Liberation Army (OLA) konnte sich die TPLF Zugang zu einer der wichtigsten Autobahnen im Land verschaffen.

Zudem drohte die TPLF aus der nördlichen Region Tigray, die jahrzehntelang die Politik ganz Äthiopiens dominiert hatte, Richtung Hauptstadt Addis Abeba zu marschieren, wenn dies nötig sei, um die Ziele in Tigray zu erreichen. Die TPLF warf dem Friedensnobelpreisträger Abiy vor, die Macht auf Kosten der Regionen immer weiter zu zentralisieren.

UN-Bericht über schwere Menschenrechtsverletzungen

Derweil gibt es neue Vorwürfe über schwere Menschenrechtsverletzungen. Es könne sich um Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit handeln, berichtete eine gemeinsame Kommission des UN-Menschenrechtsbüros und der äthiopischen Menschenrechtskonvention in Genf. Das Team habe Tötungen, Folter, sexualisierte Gewalt, Gewalt gegen Flüchtlinge und die Vertreibung von Zivilisten dokumentiert. Täter gebe es ebenso in den Reihen der Streitkräfte Äthiopiens und Eritreas sowie der TPLF und ihrer Verbündeten. Eritrea und die Nachbarregion Tigray sind erbitterte Feinde - deshalb kämpften die eritreischen Truppen zur Unterstützung der Zentralregierung.

Äthiopien I Konfliktregion Tigray
Mehr als zwei Millionen Menschen mussten vor der Gewalt fliehen, unter anderem in den SudanBild: Mahmoud Hjaj/AA/picture alliance

Die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet, sprach von "extremer Brutalität" im Tigray-Konflikt und sagte: "Die Schwere der von uns dokumentierten Verstöße und Misshandlungen unterstreichen die Notwendigkeit, die Täter auf allen Seiten zur Rechenschaft zu ziehen." Die Zivilbevölkerung gerate immer wieder zwischen die Fronten.

Berlin fordert Ende der Kämpfe

Der Sprecher des Auswärtigen Amtes in Berlin, Christoph Burger, forderte eine Ende der Kämpfe: "Der Konflikt wird schon jetzt, seit über einem Jahr, bewaffnet geführt und auch nach den jüngsten Entwicklungen ist es klar, dass es keine militärische Lösung dort geben kann. Alle beteiligten Parteien müssen die Kampfhandlungen umgehend einstellen und eine politische Lösung des Konflikts suchen. Gerade ethnisch motivierter Hass und diskriminierende Rhetorik sind brandgefährlich für die Einheit Äthiopiens", sagte Burger der Deutschen Welle.

USA streichen Handelsvorteile für Äthiopien

Wegen des Konflikts streicht die US-Regierung Handelsvorteile für Äthiopien. US-Präsident Joe Biden warf der Regierung in Addis Abeba "schwerwiegende Verletzungen international anerkannter Menschenrechte" vor. Äthiopien wird deswegen zum 1. Januar 2022 aus einem als AGOA bezeichneten Mechanismus geworfen, der Ländern im südlichen Afrika den zollfreien Export zahlreicher Güter in die USA erlaubt, wenn sie sich zu guter Regierungsführung, freier Marktwirtschaft und Menschenrechten verpflichten.

Äthiopien Premierminister Abiy Ahmed
Premier Ahmed Abiy, inzwischen für eine zweite Amtszeit vereidigt, gehört zur Ethnie der Oromo Bild: Tiksa Negeri/REUTERS

Der Konflikt zwischen Abiys Regierung und der TPLF, die Äthiopien mehr als 25 Jahre lang dominierte, dauert seit einem Jahr an. Äthiopische Regierungstruppen griffen im November 2020 die in Tigray regierende TPLF an, nach Regierungsangaben als Reaktion auf Attacken der TPLF auf Armeestellungen. Die Regionalregierung wurde zunächst vertrieben, die TPLF konnte aber die Kontrolle weitgehend zurückgewinnen und rückte in Nachbarregionen vor.

Die Konfliktgebiete in Tigray und den Regionen Amhara und Afar sind von der Außenwelt nahezu abgeschnitten, Internet und Hilfslieferungen werden von der Zentralregierung blockiert.

qu/uh/ehl (dpa, rtr, afp, epd, dw-eigen)