Traum von Europa für 200 Flüchtlinge geplatzt
4. April 2016Zwei Fähren brachten eine erste Gruppe von rund 200 Migranten von den griechischen Inseln Lebos und Chios aus nach Dikili (Artikelbild) in der Türkei. Es handele sich um Menschen, die kein Asyl in Griechenland beantragt hätten, teilte das Ministerium für Bürgerschutz in Athen mit.
Dafür, dass die erste Rückführungsaktion im Rahmen des Flüchtlingspakts zwischen der EU und der Türkei reibungslos verlief, sorgten auf Lesbos und Chios ein großes Aufgebot griechischer Polizisten und Mitarbeiter der EU-Grenzschutzagentur Frontex.
"Der ganze Prozess verlief ruhig, alles war sehr geordnet", sagte Pressesprecherin Ewa Moncure von Frontex. Amnesty International bestätigte die Angaben. Ein Sprecher des griechischen Innenministeriums sagte: "Es gab keine Anwendung von Zwangsmitteln." Bis zuletzt hatte Unklarheit darüber geherrscht, ob die Abschiebung wie geplant anlaufen kann, da auf Lesbos kaum Vorbereitungen dafür zu erkennen waren.
Unter den Abgeschobenen befanden sich hauptsächlich Menschen aus Pakistan und Afghanistan ohne Asylantrag, wie der Koordinator der griechischen Regierung für Migrationspolitik, Giorgos Kyritsis, mitteilte. Andere Quellen berichteten, es habe sich vorrangig um Migranten aus Bangladesch und nordafrikanischen Ländern gehandelt. Unter den Abgeschobenen sollen einzelne Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien sein.
Massenhaft neue Asylanträge
Um der Abschiebung zu entgehen, stellten zuletzt viele Flüchtlinge Asylanträge in Griechenland. Laut dem UN-Flüchtlingskommissariat erklärten mehr als 2000 Migranten auf Lesbos ihre Absicht, Asyl zu beantragen. Von nun an gelte es, Asylanträge zu bearbeiten, bevor weitere Migranten in die Türkei zurückgeschickt werden könnten, sagte die Chefin der für Migration zuständigen Abteilung der griechischen Polizei, Zacharoula Tsirigoti.
Bislang sind erst wenige deutsche Asylexperten und Polizisten zur Mithilfe bei der Umsetzung des EU-Türkei-Pakts in Griechenland. Unter anderem sollen Fachleute aus Deutschland und anderen EU-Staaten dort bei der Bearbeitung von Asylanträgen helfen.
Fluchtbewegung nach Europa nicht gestoppt
Der Flüchtlingspakt mit der Türkei hält Schutzsuchende nicht davon ab, auf die griechischen Inseln überzusetzen. Innerhalb von 24 Stunden hätten 339 neue Asylsuchende vom türkischen Festland auf griechische Ägäis-Inseln übergesetzt, teilte der griechische Stab für die Flüchtlingskrise mit. Am Sonntag kamen demnach 514 Menschen an. Am Samstag waren es 566, am Freitag 339 und am Donnerstag 377 Migranten.
Unmoralischer Menschentausch
Menschenrechtsaktivisten üben weiter heftige Kritik an dem Flüchtlingsdeal zwischen der EU und Ankara. "Das ist ein rechtswidriger Akt der Unmenschlichkeit", erklärte der Geschäftsführer von Pro Asyl, Günter Burkhardt. In Griechenland existiere "kein rechtsstaatliches Asylverfahren", und die Türkei sei "kein sicherer Drittstaat, der Flüchtlinge schützt". Die stellvertretende Europa-Direktorin von Amnesty International, Gauri Vangulik, warnte auf Lesbos vor "einer der verheerendsten Episoden der europäischen Asylpolitik".
Die EU mache mit der Umsetzung des Flüchtlingspaktes mit der Türkei für alle sichtbar deutlich, "dass ihr die eigenen Werte, sobald sie in gewisse Schwierigkeiten gerät, nichts mehr wert sind", sagte Grünen-Bundestagsfraktionschef Anton Hofreiter dem Fernsehsender N24. Damit liefere sie sich autokratischen Herrschern aus, wenn diese ihrerseits Menschenrechtsverletzungen rechtfertigen wollten.
Auf Lesbos und Chios sowie im türkischen Dikili protestierten Dutzende Aktivisten gegen die Abschiebungen. Sie riefen Parolen wie "Freiheit", "Keine Abschiebungen" und "Nieder mit dem schmutzigen Deal".
Die EU hat mit Ankara vereinbart, alle seit dem 20. März in Griechenland gestrandeten Flüchtlinge, die dort kein Asyl beantragen oder deren Anträge abgelehnt werden, in die Türkei zurückzuschicken. Im Gegenzug will die EU für jeden abgeschobenen Syrer einen syrischen Flüchtling aus der Türkei aufnehmen - bis zu einer Obergrenze von 72.000 Menschen - und die Türkei bei der Flüchtlingsversorgung mit mehreren Milliarden Euro unterstützen. Wie viele Flüchtlinge zurückgebracht werden sollen, blieb bislang unklar.
qu/kle (dpa, afp, rtr, epd, kna)