Übergriffe der Neonazis zu lange geduldet?
9. März 2015Der Innenminister von Sachsen-Anhalt sieht sich veranlasst zu reagieren. Unter zunehmendem öffentlichen Druck verspricht Holger Stahlknecht von der CDU, ehrenamtliche Lokalpolitiker künftig besser zu schützen vor "rechtsextremen Anfeindungen". "Das Signal ist fatal. Da muss man politisch konsequent gegensteuern", so Stahlknecht in Magdeburg. Der Rücktritt des Bürgermeisters der kleinen Gemeinde Tröglitz hat für Schlagzeilen gesorgt. Menschenrechtsgruppen, Bürgerrechtler, die Linkspartei, Landtagsabgeordnete beklagen eine Passivität der Staatsmacht. Immer wieder ist vom "Zerfall der Demokratie" und einer "Kapitulation vor den Neonazis" die Rede.
Der parteilose Ortsbürgermeister von Tröglitz, Markus Nierth, hatte sein Amt aufgegeben, weil Rechtsextreme vor seinem Wohnhaus demonstrieren wollten - und er sich von Behörden, Parteien und der Nachbarschaft alleingelassen sah. In einem Interview der Deutschen Presse-Agentur äußerte er sich enttäuscht, dass der Landkreis es nicht geschafft habe, den NPD-Aufmarsch vor dem Haus seiner Familie zu verhindern. Seiner Frau und den Kindern sei "nicht einmal ein Mindestschutz" gewährt worden, kritisierte er vor der Presse. Der 46-Jährige, im Hauptberuf Trauerredner, hatte das Ehrenamt des örtlichen Bürgermeisters fünfeinhalb Jahre inne.
Die Rechtsradikalen waren immer wieder durch Tröglitz marschiert. Vor Nierths Haus wollten sie gegen die geplante Unterbringung von rund 40 Flüchtlingen in dem Ort protestieren. Nierth hatte gegen alle Widerstände auch in der Bevölkerung an den Plänen für die Asylbewerber festgehalten und für eine "Willkommenskultur" geworben. Er verteidigte seine Gemeinde. Tröglitz sei kein braunes Nest, sagte er, "aber es fehlen die Sozialstrukturen".
Der Landrat des Burgenlandkreises, Götz Ulrich (CDU), rechtfertigte sich, der Kreis habe zum Zeitpunkt des Rücktritts noch gar nicht über ein Verbot der NPD-Kundgebung entschieden gehabt. Mit den Anmeldern der Demonstration habe man sich später über einen anderen Verlauf geeinigt.
Bis kommende Woche will der Landesinnenminister anordnen, dass die Landkreise und kreisfreien Städte derartige Demonstrationen vor den Häusern ehrenamtlicher Politiker verbieten können. Er wies zugleich auf die geltende Rechtsprechung hin, wonach hauptamtliche Politiker solche Protestaktionen in Sicht- und Hörweite zu ihrem Wohnhaus ertragen müssen. Ob das auch für Ehrenamtliche gelte, sei aktuell strittig.
Der Städte- und Gemeindebund Sachsen-Anhalt erklärte, die jüngsten Vorfälle seien möglicherweise erst die "Spitze des Eisbergs". Die Bedrohung von Bürgermeister Nierth und Magdeburgs OB Lutz Trümper lasse in den Kommunen die Sorge wachsen vor weiteren Übergriffen von Rechtsextremisten. Trümper steht wegen Morddrohungen mit Nazisymbolen unter Personenschutz.
SC/wl (dpa, epd, mdr)