Die Revolutionärin
13. Juli 2010"Im Parlament Anträge stellen, wird allein nicht die Gesellschaft verändern - sondern das wird die Straße machen", sagt Özlem Demirel. Die 26-jährige Studentin aus Köln ist für die Partei Die Linke in den Landtag von Nordrhein-Westfalen eingezogen. Das bedeute jedoch nicht, dass sie sich jetzt in einem elfenbeinernen Turm befinde, sagt sie: Nur durch eine außerparlamentarische, gesellschaftliche Bewegung könne der nötige Druck auf die Parteien aufgebaut werden, um Projekte und Maßnahmen im Parlament durchzusetzen. Bei den Demonstrationen zum Bildungsstreik war sie immer ganz vorne mit dabei. Die Forderungen der Bewegung, wie die Abschaffung der Studiengebühren und die Reform des Bachelor- und Mastersystems, will Özlem Demirel nun in den Landtag hineintragen.
"Die Klappe aufmachen"
Dass sie es mit gerade einmal 26 Jahren zur Abgeordneten im bevölkerungsreichsten Bundesland gebracht hat, liegt auch daran, dass sie schon früh erkannte, dass man für seine Interessen einstehen muss. Özlem Demirel stammt aus einer kurdischen Familie, die 1989 aus der Türkei fliehen musste. Diese Erfahrung habe sie bestärkt in dem Glauben, dass man "die Klappe aufmachen muss, wenn etwas falsch läuft." Sie ließ sich in der zweiten Klasse zur Klassensprecherin wählen, was - wie sie meint - im Nachhinein zwar "süß und naiv" klinge, aber dennoch in gewisser Weise den Anfang ihres Engagements markiere.
Nach dem Abitur war sie im Stadtrat der Stadt Köln tätig und widmete sich Aufgaben in der Schul- und Bildungs- sowie der Integrationspolitik. In mehreren Migrantenverbänden engagierte sie sich ehrenamtlich. Wenn es in der Vergangenheit darum ging, Farbe zu bekennen, sei es gegen Studiengebühren oder gegen Rechtsextremismus, war Özlem Demirel stets an vorderster Front aktiv.
"Dieses System ist nicht das Non-Plus-Ultra"
Doch das außerparlamentarische Engagement ruft auch Kritiker auf den Plan. Es heißt, sie sei Sympathisantin der Antikapitalistischen Linken, einer Organisation, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Fragt man sie danach, weicht sie auf sanfte Systemkritik aus: "Selbstverständlich bin ich der Meinung, dass diese Krise gezeigt hat, dass dieses System, so wie es gestrickt ist, nicht das Non-Plus-Ultra darstellt." Man müsse überlegen, fährt Demirel fort, ob es da nicht auch Alternativen gebe. Nach Ansicht der jungen Abgeordneten würden politische Entscheidungen zu oft von Banken und Konzernen diktiert. "Wir als Linke hingegen wollen mehr Entscheidungspotenzial für die Menschen", sagt Demirel.
Özlem Demirel gehört einer neuen Generation von Politikern an: engagiert, intellektuell und interkulturell. Das Parlament sei kein Selbstzweck, sagt sie, sondern ein Forum, um Interessen zu vertreten. Sie selbst versteht sich als Sprachrohr der sozial Schwächeren, der gesellschaftlich Benachteiligte. Sie sei sich bewusst, dass nicht jede Demonstration zum gewünschten Ergebnis führe und nicht jeder eingereichte Antrag angenommen werde, sagt sie – und zitiert Bertolt Brecht: "Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren."
Autor: Marco Jelic
Redaktion: Dеnnis Stutе