Özils Paukenschlag - und das Presseecho
23. Juli 2018
DIE WELT (Berlin)
"Das Foto mit Erdogan hat gezeigt, wie zerrissen Özil ist. Und er ist wohl nicht der einzige Deutsche mit türkischen Wurzeln, dem es so geht. Doch zum Bekenntnis, ein deutsches Trikot zu tragen, gehört mehr als das gute Spiel. Nationalspieler sind Vorbild, gerade auch für die Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Und da muss der DFB zwischen Hymnenschmettern und klarem Bekenntnis definieren, was gefordert ist. Über Jahrzehnte hatten die Deutschen kein Verhältnis zu ihren Einwanderern. Deutschland muss seine Erwartungen klar formulieren, und jeder zwischen den Kulturen wandernde Sportler muss sich entscheiden, ob er das leisten kann oder will. Wer den deutschen Pass annimmt und das Nationaltrikot überzieht, muss wissen, was das für ihn bedeutet. Der Fall Özil hat das klargemacht."
Kölner STADT-ANZEIGER
"Nach Wochen des Schweigens kommt der Nationalspieler zu dem trotzigen Schluss, er würde auch heute alles genauso gemacht haben wie im Mai, als er den Wahlkämpfer Erdogan werbewirksam zum Posing traf. (...) Mindestens so borniert ist Özils Standpunkt, das alles habe nichts mit Politik zu tun, und überhaupt sei er ja bloß Fußballer. Den fatalen Narzissmus einer Auslagerung ganzer Lebensbereiche aus der gesellschaftlichen Sphäre hat Klaus Mann in seinem Roman 'Mephisto' durchgespielt. Darin dient sich der Schauspieler Hendrik Höfgen für seine Karriere den Nazis an und will dabei doch 'nur ein Künstler' sein. Schon im Mai hätte Özil wissen können, dass solche Persönlichkeitsspaltung nicht funktioniert."
FLENSBURGER TAGEBLATT
"Erdogan baut sich sein eigenes Recht zusammen - ohne Rücksicht auf Verluste tritt er das Völkerrecht mit Füßen, lässt kritische Menschen einfach in den Knast wandern, entlässt Tausende von Beamten, denkt laut über die Wiedereinführung der Todesstrafe nach und, und, und. Nein, Herr Özil, so einem Mann muss und sollte man keinen Respekt zollen, egal, ob man selbst türkische Wurzeln hat oder nicht."
DIE RHEINPFALZ (Ludwigshafen)
"Dass Özil nach dem Foto mit Ilkay Gündogan und dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, das Mitte Mai entstanden ist, so lange geschwiegen hat, war fatal. Der 29-Jährige hat gestern in größeren Stellungnahmen sehr ausführlich Position bezogen. Eine Meinung hatte und hat er also. Warum hat der Spieler von Arsenal London sich nicht gleich gewehrt, sondern bis weit nach der WM gemauert? Schweigen ist nicht immer Gold. Nun hat Mesut Özil mit einem Rundumschlag reagiert, in dem er alles und jeden angegriffen hat. 'Rassismus und fehlender Respekt' nennt er als Gründe für seinen Schritt. Mit dieser Generalabrechnung macht er sich aber selbst zum Buhmann."
SÄCHSISCHE ZEITUNG (Dresden)
"Özil hatte auf stumm geschaltet, weil er sich nicht entschuldigen wollte für etwas, das er für selbstverständlich hält: Für Deutschland zu spielen bedeutet nicht, seine türkischen Wurzeln aufzugeben. Und es sollte genauso selbstverständlich sein, das zu respektieren, denn: Ist er deswegen weniger integriert als jener Mesut Özil, der 2014 - wie andere Nationalspieler mit Migrationshintergrund - für Deutschland Weltmeister geworden ist? Nein, und das offenbart eben die Scheinheiligkeit der Debatte."
DARMSTÄDTER ECHO
"Özil hat 92 Länderspiele für Deutschland professionell und oft genug spielerisch stark absolviert. Diese Geschäftsbeziehung hat also lange für beide Seiten gut funktioniert. Jetzt ist es an der Zeit, sie anständig zu beenden, und sich nicht länger Illusionen hinzugeben. Die politische Botschaft, die natürlich eine ist, ist verkraftbar und lehrreich, und sportlich brauchen wir Özil nicht mehr."
SCHWARZWÄLDER BOTE
"Mesut Özils Rücktritt aus der Nationalmannschaft (...) ist keine Überraschung. Der Fußballer mit türkischen Wurzeln braucht Löws Elf nicht, um seine 30,3 Millionen Follower mit Urlaubsbildern glücklich zu machen. Nicht mehr. In dieser glamourösen Scheinwelt stören politische Diskussionen nur. Schon früh hat sich Mesut Özil komplett in die Hand von Karriereplanern gegeben (...) Nach der Erdogan-Affäre hilft nur noch ein Nationalelf-Ende. Fatal ist das allerdings für die nachkommenden Fußballer-Generationen. Über die Hälfte der Nachwuchsspieler der deutschen Jugend-Nationalteams haben ausländische Wurzeln. Diese Talente könnten im Zuge der Özil-Vorkommnisse verloren gehen."
wa/haz