Öl-Magnaten werden zu Klimarettern
17. November 2015Deutsche Welle: Herr Heintz, der Rockefeller Brothers Fund (RBF) hat ein Vermögen von 860 Millionen Dollar. Das Kapital stammt aus dem Öl-Geschäft. Warum verkauft Ihre Stiftung jetzt die Anteile aus dem fossilen Energiesektor?
Stephen Heintz: Wir hoffen, das Ende des Ölzeitalters zu beschleunigen. Es ist Zeit, den fossilen Brennstoffen abzuschwören und so schnell wie möglich auf saubere, erneuerbare Energie umzusteigen, um den Planeten zu retten.
Der Rockefeller Brothers Fund will aus dem Öl- und Kohlegeschäft aussteigen. Warum sorgte die Ankündigung weltweit für Aufsehen?
Weil das zunächst einmal nach Ironie klingt: Ausgerechnet die Familie, die ihren Reichtum im Ölgeschäft erworben hat, ist nun eine der treibenden Kräfte im Kampf gegen fossile Brennstoffe.
Was bewirkt Ihr Ausstieg?
Wir haben dazu beigetragen, der Divestment-Bewegung den entscheidenden Schub zu verleihen und auf die Risiken der Klimaveränderung aufmerksam zu machen. Wir hoffen, historische Veränderungen auszulösen.
Gibt es Zahlen?
Bis zu den Klimaverhandlungen in Paris erwarten wir, dass die Höhe des abgezogenen Kapitals auf über 2,5 Billionen Dollar ansteigt. Das ist eine Bewegung des Divestments. Immer mehr institutionelle Anleger ziehen ihre Mittel aus Öl, Kohle und Gas ab. Kohle zu verbieten ist ein wichtiger erster Schritt.
Wer zieht außerdem sein Kapital ab?
Der Wallace Global Fund ist ein großer Wegbereiter einer Zukunft ohne fossile Energien. Wallace wendet viel Energie auf, um die Bewegung groß zu machen. Während der Klimakonferenz in Paris können wir voraussichtlich 200 Institutionen bekannt geben, die ihr Geld abziehen. Einige davon sind sehr bedeutend.
Was steckt hinter dieser gewaltigen Kapitalbewegung?
Die moralische Dringlichkeit und die Auswirkung des CO2-Budgets. Wenn wir die Erderwärmung auf zwei Grad begrenzen wollen, dann müssen 60 bis 80 Prozent der bekannten Öl-, Kohle- und Gasreserven unverbrannt in der Erde bleiben.
Nur so haben wir eine Chance, die schlimmsten Klimakatastrophen verhindern. Das hat die von uns geförderte Forschungs-Initiative Carbon-Tracker belegt.
Klimaschutz wird zur Massenbewegung. Letztes Jahr demonstrierten in New York 400.000 Bürger. Das Barrel Öl kostet nur noch rund 50 Dollar - etwa halb so viel wie 2014. Werden Ölraffinerien und Kohlekraftwerke bald zu schwer verkäufliche Ladenhüter?
Ja. Unvermeidliche neue Klimagesetzte und CO2-Abgaben werden den Wert dieser Anlagen erheblich beeinträchtigen.
Wie haben Sie die Rockefeller-Familie überzeugt?
Die Stiftung setzt mehr als 40 Prozent ihrer Mittel für die Rettung des Klimas ein. Es ist moralisch nicht vertretbar, weiterhin in den fossilen Sektor zu investieren. Anfang 2014 hatten wir etwa sieben Prozente unserer Mittel im Fossilen Sektor angelegt. Jetzt nur noch 3,5 Prozent. Unser Ziel ist es, bis Ende 2017 möglichst ganz auszusteigen. Es gibt aber auch starke wirtschaftliche Argumente für den Ausstieg aus Öl, Kohle und Gas und die Umschichtung in saubere Technologien.
John D. Rockefeller hat 1870 Standard Oil gegründet und wurde zum reichsten Mann seiner Zeit. Seine Erben bekämpfen nun die Ölindustrie. Würde er sich im Grabe herumdrehen?
John D. Rockefeller war ein brillanter Unternehmer und Erfinder. Er profitierte von seinem Weitblick. Rockefeller erkannte, dass das neu entdeckte Öl das Potenzial hat, die Welt zu transformieren - und viel Geld zu verdienen. Und er tat beides.
Was würde John D. Rockefeller heute tun?
Standard Oil war die erste wirklich globale Firma. Rockefeller war ein globaler Denker und Akteur. Heute würde er die Welt ansehen und die enormen Klimarisiken mit ihren zerstörerischen wirtschaftlichen Konsequenzen erkennen. Dann würde er seinen Blick auf den grünen Wirtschaftssektor richten und sagen: "Das ist die Zukunft. Da muss die Welt hin. Ich will der erste sein und hohe Gewinne machen."
Wann denken Sie, endet das Ölzeitalter?
In 20 bis 30 Jahren.
Können wir die Klimaapokalypse noch abwenden?
Wir sind mit zwei konkurrierenden Tipping-Points konfrontieret. Der eine ist der Klima-Kipp-Punkt. Ist dieser Punkt erreicht, können wir uns nie wieder erholen und erleiden die verheerenden Konsequenzen.
Der andere ist der Wendepunk der grünen Wirtschaft. Entscheidend ist, welchen Punkt wir zuerst erreichen. Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit und wir müssen alles tun, um den grünen Tipping-Point zuerst zu erreichen.
Was passiert, wenn wir das nicht schaffen?
Das Klima wird verrückt spielen: schmelzende Pole, mehr extremes Wetter, mehr Dürren, mehr Stürme. Enorm viele Tierarten werden aussterben, und es wird eine Herkulesaufgabe, für Milliarden von Menschen ausreichend Nahrung und Trinkwasser zu finden. Städte werden überflutet und ganze Inselgruppen verschwinden. Es gibt hunderte Millionen Klimaflüchtlinge. Das Leiden und der Überlebenskampf für Nahrung und Wasser schüren neue Konflikte und Kriege. Der Ära der Ölkriege würde ein Zeitalter der Klimakriege folgen.
Was ist ihr Appell?
Handeln! Wenn wir das jetzt nicht tun, wird die derzeitige Flüchtlingskrise niedlich aussehen im Vergleich zu dem, was uns in diesem Jahrhundert noch erwartet. Wir müssen einen Zahn zulegen und massiv in saubere Energie investieren. Das ist unsere Pflicht als globale Gesellschaft. Wir müssen den einen Planeten beschützen, den wir haben. Er ist unsere Lebensquelle.
Stephen Heintz ist Nachfahre von John D. Rockefeller und seit 2001 Präsident des Rockefeller Brothers Fund (RBF). Der Fond hat ein Stiftungsvermögen von 860 Millionen Dollar und will alle Anteile am Öl- und Kohlegeschäft verkaufen. Der RBF ist eine wichtige Gallionsfigur der sogenannten Divestment-Bewegung. Die Bewegung hat innerhalb der letzten zwölf Monate über zwei Billionen Dollar vom fossilen in den grünen Sektor umgeschichtet. Der RBF wurde 1940 von den Kindern von John D. Rockefeller gegründet.
Das Interview führte Irene Hell.