Äthiopiens Supergetreide und die Biopiraten
15. Januar 2020Teff, zu Deutsch Zwerghirse, ist für Äthiopien das, was Mais für Mexiko und Reis für China ist: das wichtigste Lebensmittel des Landes, die Grundlage für das Nationalgericht Injera - und ein bedeutender Teil des kulturellen Erbes. Schon vor 3000 Jahren bauten Landwirte im äthiopischen Hochland Teff an.
Entsprechend groß ist der Ärger in Äthiopien, dass ein holländisches Unternehmen ein Patent auf verarbeitetes Teffmehl besitzt. Bis heute darf in einigen europäischen Ländern kein Mehl aus dem glutenfreien und nährstoffreichen Supergetreide verkauft werden, ohne Lizenzgebühren nach Holland zu überweisen. Doch das könnte sich bald ändern - auch dank der privaten Initiative eines deutschen Rechtsanwalts.
"Teff gehört den Äthiopiern!"
Besonders perfide aus der Sicht Äthiopiens: Das holländische Unternehmen hatte zunächst gemeinsam mit dem äthiopischen Staat an Teff geforscht und vereinbart, die so gewonnen genetischen Informationen gemeinsam kommerziell zu nutzen. Doch 2004 reichte die holländische Firma selbst ein Patent ein. Das Europäische Patentamt räumte ihr dann ein alleiniges Monopol auf eine breite Palette von aus Teff hergestellten Produkten in Europa ein. "Die Leute haben gesagt: Was soll das, was diese Holländer machen? Teff gehört den Äthiopiern, nicht den Europäern!", erinnert sich Azeb Tadesse-Hahn, Kulturredakteurin bei DW Amharisch, an den Aufschrei im Land.
Kann man einfach so ein Nahrungsmittel patentieren, das Menschen seit Jahrtausenden als Lebensgrundlage dient? Ganz so einfach sei es nicht, sagt Anton Horn, ein auf Patentrecht spezialisierter Rechtsanwalt aus Düsseldorf. Grundsätzlich seien Pflanzen durch internationale Vereinbarungen von der Patentierung ausgenommen. Doch es gebe eine Hintertür: die vor- und nachgelagerte Wertschöpfungskette einer Pflanze. "Bei der Verarbeitung der Pflanze zu einem Nahrungsmittel, da kommt Technik zum Einsatz", erklärt Horn im DW-Interview. "Wenn man da etwas Neues und Erfinderisches entwickelt, warum sollte man darauf kein Patent bekommen?"
Datenbanken erkennen kein kulturelles Erbe
Genau darauf habe sich die Firma berufen, sagt Horn. "Das Patent betraf nicht eine Pflanze, sondern eine Verarbeitungsform, nämlich Mehl." Doch sei es eben weder neu noch erfinderisch, Mehl aus Teff-Samen herzustellen.
Dass das Patent trotzdem bewilligt wurde, habe strukturelle Ursachen. "Der Prüfer sitzt vor seinem Computer, hat vier Stunden Zeit für die gesamte Bearbeitung und schaut in Datenbanken. Und wenn in diesen Datenbanken nichts auftaucht, dann ist es aus seiner Perspektive neu." Gerade bei traditionellem Wissen und kulturellem Erbe aus Ländern des globalen Südens gebe es häufig das Problem, dass diese nicht in Schriftform vorliegen. "Und was nicht verschriftlicht ist, gibt es in den Datenbanken häufig nicht und wird ignoriert", sagt Horn.
Teffmehl-Patent ist kein Einzelfall
Biopiraterie: So nennen es Aktivisten, wenn Unternehmen Pflanzen oder andere biologische Materialien aus dem globalen Süden vermarkten, ohne die Herkunftsländer am Gewinn zu beteiligen. Das holländische Teffmehl-Patent sei kein Einzelfall, sagt Jim Thomas. Er ist stellvertretender Leiter der kanadischen Nichtregierungsorganisation ETC Group, die beobachtet, wie sich neue Technologien und Konzernstrategien auf Bauern und Umwelt auswirken. "Leider hat sich das Patentsystem in den vergangenen 30, 40 Jahren so entwickelt, dass sich Unternehmen häufig nicht nur technische Erfindungen, sondern gleich ganze Arten und natürliche Spezies und deren Verwendung patentieren lassen", sagt er.
Als Beispiele nennt er Patente auf die Wertschöpfungsketten von Rooibos-Tee aus Südafrika oder von Bohnensorten aus Mexiko und Teilen Afrikas, die dort seit Generationen von den Einheimischen verwendet würden. "Die Entwicklung und der freie Austausch von Pflanzensorten über Jahrtausende hinweg ist die Grundlage unserer heutigen Landwirtschaft", betont Thomas. Aus Pflanzen rechtlich geschützte Monopole zu machen, bedrohe deshalb letztlich die Ernährungssicherheit im globalen Süden.
Neue Dimension von Biopiraterie
Zwar gibt es internationale Abkommen wie das Nagoya-Protokoll, mit dem versucht wird, Länder im globalen Süden an der Wertschöpfung durch die Nutzung und Weiterentwicklung ihrer einheimischen Sorten zu beteiligen. Doch durch neue Technologien wie DNA-Sequenzierung und synthetische Biologie könnten solche Abkommen inzwischen umgangen werden, sagt Jim Thomas. Diese Technologien erlauben es Biotech-Firmen, die DNA von Pflanzen vor Ort zu bestimmen und zu digitalisieren.
"Was wir heute sehen ist eine großangelegte genetische Sequenzierung von so vielen Organismen wie nur möglich, die dann über das Internet verbreitet und in Laboren in Deutschland, China oder Kalifornien rekonstruiert werden können", so Thomas. Er fordert deshalb ein generelles Verbot von Eigentumsrechten auf lebende Organismen, egal ob genetisch verändert oder nicht.
Erfolg im Kampf gegen das Teffmehl-Patent
Zumindest der Fall von Teffmehl könnte sich bald erledigt haben. 2018 wehrte sich erstmals ein Unternehmen erfolgreich dagegen, Lizenzgebühren zu zahlen. Daraufhin wurde das Patent in den Niederlanden für nichtig erklärt. Doch weil europäische Patente jeweils in die nationalen Patentsysteme übertragen werden, bestand das Teff-Patent in einigen anderen europäischen Ländern unverändert fort, so auch in Deutschland. Rechtsanwalt Anton Horn erfuhr von einem äthiopischen Studienfreund vom Patent. Mit Kollegen habe er überlegt, wie man rechtlich vorgehen könnte, erzählt er. "Und irgendwann habe ich die Entscheidung getroffen: Ich mache es selbst", so Horn.
Privat und auf eigene Kosten reichte er im Sommer 2019 beim Bundespatentgericht in München eine Nichtigkeitsklage gegen das Patent ein. Die Firma in Holland verzichtete daraufhin auf den deutschen Teil des Patents.
Aller Voraussicht nach wird das Teffmehl-Patent diesen Sommer auch in den übrigen europäischen Ländern auslaufen. Denn: Laut aktuellen Registereinträgen habe die Firma seit 2019 für ihre Patente keine Verwaltungsgebühren mehr bezahlt, erklärt Anton Horn. Wie seine Initiative bei Äthiopiern ankommt, hat der Rechtsanwalt schon erlebt. In einem äthiopischen Restaurant in Düsseldorf feierte er mit seinem Team den Erfolg bei einer Portion Injera. "Und als der äthiopische Wirt mitbekommen hat, worum es geht, hat er sich geweigert, Geld entgegenzunehmen", erzählt Horn.