Hunger Äthiopien
22. Juli 2011Die UN-Nothilfekoordinatorin Valerie Amos war sichtlich bewegt, als sie Mitte Juli in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba vor die Presse trat, um für zusätzliche Lebensmittelspenden für Äthiopien zu werben. "Ich kehre gerade aus der Region Somali zurück und habe dort mit Frauen gesprochen, die fünf Stunden mit ihren Kindern gelaufen sind auf der Suche nach Nahrung und Gesundheitsversorgung." Immer mehr Kinder litten an Unterernährung, die Nomaden verlören ihr Vieh und damit ihre Existenzgrundlage, berichtet die UN-Mitarbeiterin.
Dabei sollten solche Auftritte doch der Vergangenheit angehören. "Unsere Hoffnung ist, dass wir im Laufe der kommenden fünf Jahre nicht nur genug Nahrungsmittel für den Eigenkonsum, sondern sogar für den Export produzieren", so hatte Äthiopiens Premierminister Meles Zenawi im vergangenen Jahr eines der zentralen Ziele des Fünf-Jahres-Planes seiner Regierung benannt. Zudem sollen bis 2015 die Agrarerträge Äthiopiens nicht weniger als verdoppelt werden. Doch die Realität holte Äthiopiens Regierungschef schnell ein: Schon im Februar musste seine Regierung gemeinsam mit dem Welternährungsprogramm der UN um Hilfe für drei Millionen akut von Hunger bedrohte Menschen bitten. Experten halten diese Zahl für untertrieben.
Klimawandel oder politisches Versagen?
Seit Jahren weist Äthiopien zweistellige Wachstumsraten aus, die jedoch ebenso regelmäßig vom Internationalen Währungsfonds nach unten korrigiert werden. Gleichzeitig ist jeder Zehnte in Afrikas zweitbevölkerungsreichstem Land von Nahrungsmittelnothilfe abhängig. Das Ausbleiben der saisonalen Regenfälle zum Ende des vergangenen Jahres wird von den Vereinten Nationen offiziell als Grund für die Versorgungsprobleme genannt. Intern beklagen Hilfswerke den restriktiven Zugang in der besonders betroffenen Region Somali, besser bekannt als Ogaden. Hier sind zahlreiche Verwaltungsdistrikte wegen der seit Jahren andauernden Kämpfe zwischen Regierungstruppen und Rebellen der Ogaden National Liberation Front (ONLF) für Helfer nicht zugänglich. Zeitweise wurden Hilfsorganisationen der Region verwiesen.
Auch Alun McDonald, Horn-von-Afrika-Leiter von Oxfam im kenianischen Nairobi, mag Klimaeinflüsse nur bedingt geltend machen. "Dahinter stecken auch eine schlechte Politik und mangelhafte politische Antworten auf die Krise", so McDonald. So seien die am schlimmsten betroffenen Gebiete auch immer die am wenigsten entwickelten und politisch am stärksten marginalisierten Regionen. Helmut Hess, langjähriger Afrikadirektor und Ostafrika-Experte von "Brot für die Welt", führt einen weiteren, sogenannten "man-made"-Faktor für die äthiopische Nahrungsmittelkrise an: Die Vergabe von Ländereien an ausländische Investoren für die Produktion von Biokraftstoffen und Nahrungsmitteln - für den Export, wohlgemerkt.
Nach massiver Kritik an diesem sogenannten "Land Grab" durch Agrarfirmen aus Indien, China und Saudi Arabien hat die staatliche äthiopische Investmentagentur inzwischen einige der Pachtverträge kassiert und bemüht sich um mehr Transparenz. Künftig sollen Verträge online gestellt und somit öffentlich einsehbar sein. Derweil wurden alleine in der fruchtbaren, besiedelten Gambella-Provinz fast 900 Landlizenzen für den Anbau von Exportprodukten wie Soja, Reis oder Biosprit vergeben - zu zwei Dollar pro Hektar im Jahr.
Veraltete Nahrungsmittel-Produktion
Äthiopische Agrarwissenschaftler weisen zudem seit Jahren darauf hin, dass mehr Anstrengungen unternommen werden müssen, um dürreresistentere Getreidesorten zu etablieren, insbesondere der Zwerghirse, die das Grundnahrungsmittel von 80 Millionen Äthiopiern darstellt. Die dringend gebotene Diversifizierung der Anbaufrüchte scheitert dagegen weniger an der Politik, als an den konservativen Essgewohnheiten der Hochlandbewohner.
80 Prozent der Äthiopier sind bis heute Bauern. Will das Land sein chronisches Hungerproblem in den Griff bekommen, dann müsse sich die Regierung auf diese Menschen konzentrieren, sagt Helmut Hess von "Brot für die Welt". Es sei dringend geboten, die Nahrungsmittelproduktion zu dezentralisieren und die vielen Millionen Kleinbauern mit entsprechenden Maßnahmen wie neuem Saatgut zu unterstützen.
Autor: Ludger Schadomsky
Redaktion: Jan-Philipp Scholz