Älterwerden leicht gemacht?
16. März 2017Die Lage in Deutschland sei heute anders als vor fünf Jahren, als die damalige Bundesregierung eine erste "Demografie-Strategie" auf den Weg brachte, sagte Angela Merkel beim 3. Demografie-Gipfel in Berlin. Anders als erwartet werde nämlich die Bevölkerung in den kommenden 20 Jahren nicht abnehmen, sondern konstant bleiben. Der Grund: Mehr Menschen kommen nach Deutschland. Gleichzeitig werden auch mehr Kinder geboren.
Ein "Grund zur Entwarnung" sei das trotzdem nicht, so Merkel. Denn die Grundtendenz, dass weniger Erwerbstätige für mehr Rentner aufkommen müssen, bleibe bestehen. Vor allem in den 2020er-Jahren, wenn die vielen "Babyboomer" in Rente gehen werden, sei mit einer "Bewährungsprobe für die Sozialsysteme" zu rechnen.
Merkels Probleme mit dem Älterwerden
Eigentlich ist Demografie, auch weil sie so lange Zeiträume beschreibt, ziemlich trocken: viele Zahlen, viele Themen, viele Maßnahmen. Merkel hat sie schon vor Jahren trotzdem öffentlichkeitswirksam zu einem Schicksalsthema erklärt und auch in den Bundesländern und Kommunen viel angestoßen.
Zum neuen Demografie-Gipfel kamen einige hundert Experten nach Berlin. Die Kanzlerin begann ihre Rede aber mit einem anderen Thema: Dass sie sich "sehr über das pro-europäische Wahlergebnis in den Niederlanden" freue. Offensichtlich weil ihr ein Stein vom Herzen gefallen ist, wirkte Merkel ausgesprochen heiter.
Eine älter werdende Gesellschaft brauche auch Menschen, die sich dazu bekennen, alt zu sein. Und nicht erst, "kurz bevor sie sterben". Sie sei nun ja auch schon über 60, bekomme aber immer zu hören, dass sie eigentlich doch gar nicht alt sei. Nun gut, sie versuche ja auch jeden Tag vor dem Spiegel dagegen etwas zu tun, plauderte die Kanzlerin aus dem Nähkästchen. Trotzdem sei "Mut zum Alter" wichtig. Der Saal lachte.
Rentenpolitik: Demografie konkret
Merkel kündigte in ihrer Rede - wie zuvor schon Bundesinnenminister Thomas de Maizière - eine weitere Flexibilisierung des Übergangs vom Erwerbs- ins Rentenalter an. Geld, Spaß und das Gefühl, dass man gebraucht werde, seien der Grund, weshalb viele Rentner weiterarbeiten wollten, so de Maizière, in dessen Zuständigkeit die Demografie-Strategie fällt.
Deutschland hinkt bei der Rentenflexibilisierung international hinterher. Im vergangenen Jahr wurden erste Gesetze angepasst. Doch ein aktuelles Problem ist, dass viele Arbeitnehmer ungewollt früher in Rente geschickt werden - mit finanziellen Einbußen. Dem wolle die Bundesregierung nun entgegenwirken, kündigte Merkel an. Es dürfe nicht der Eindruck entstehen, dass es bei längerem Arbeiten eigentlich um Rentenkürzungen für die gehe, die nicht so lange arbeiten wollen oder können.
Keine Schulden und schnelles Internet
Der Bilanzbericht zur Demografie-Strategie umfasst 70 Seiten und zählt mehrere dutzend Maßnahmen auf - wie mehr Kita-Plätze, bessere Vereinbarkeit von Job und Familie, Verbesserungen in der Pflege, mehr Geld für Bildung, Forschung und Innovation. Davon wurde in den letzten Jahren einiges umgesetzt. Nicht alle halten die Bilanz für positiv.
Zwei Bereiche stellt der Bericht als - auch weiterhin - zentral für die Zukunft heraus. Erstens ausgeglichene Haushalte, um den nächsten Generationen keine Schulden, sondern Spielräume zu hinterlassen. Zweitens das Ziel, gleichwertige Lebensverhältnisse in ländlichen Regionen und Städten zu schaffen. Zur Daseinsvorsorge auf dem Land gehöre neben Strom und Wasser auch ein schnelles Internet, so Merkel.
Der Anteil an AfD-Wählern sei in ländlichen strukturschwachen Gegenden auffällig hoch: Damit wies de Maizière in einem TV-Interview auf mögliche Folgen mangelnder Infrastruktur-Politik hin. In seiner Rede beim Gipfel warnte de Maizière vor einer politischen Polarisierung, die den Zusammenhalt der Gesellschaft gefährde. Dem Zeitgeist, "der nur Gewinner und Verlierer kennt", müsse wieder stärker die Essenz einer freiheitlichen Gesellschaft entgegengesetzt werden: Dass es nicht um ein Entweder-Oder, sondern um ein Wechselspiel von Faktoren gehe. Die Gesellschaft dürfe sich nicht spalten lassen.
Ausblick auf kommende Kanzlerschaft?
Zurück zur Kanzlerin: Interessant war vor allem auch, was sie zum Bereich Qualifizierung sagte. Lebenslanges Lernen werde ein "riesiges Thema" werden. Sie schlage dafür den Begriff "Duale Weiterbildung" vor, weil die Weiterbildung schließlich in den Firmen stattfinde. Hier werde sich der Staat nicht ganz heraushalten können, kündigte Merkel an, die auch nach der Bundestagswahl im September Kanzlerin bleiben möchte.
Auch an den Schulen, eigentlich Sache der Kommunen, müsse sich etwas ändern: Programmieren solle neben Lesen, Rechnen und Schreiben vierte Grundfähigkeit werden.
Einen "harten Kampf" kündigte Merkel zur Verteidigung des dualen Ausbildungssystems, des Meisterbriefs und anderer deutscher Besonderheiten an. Die Europäische Union plane einen "Abbau von Barrieren" in ihrem neuen Dienstleistungspaket. Doch dürfe sich die Qualität des deutschen Systems nicht verschlechtern. Deshalb würden Regierung, Arbeitgeber und Gewerkschaften gemeinsam kämpfen.
Auch die Jugend war eingeladen
Über zwei Jahre haben in Modell-Landkreisen Jugendliche Ideen zum demografischen Wandel gesammelt und erste konkrete Projekte erarbeitet. Eigene Jugend-Demografie-Gipfel fanden statt. So kamen 1000 Vorschläge zusammen, von denen nun einige auf der großen Bühne in Berlin präsentiert wurden. Zum Beispiel eine Art "Uber" für Fahrten in ländlichen Regionen, Online-Schulen oder mobile Arztpraxen.
Merkel hatte die Jugendlichen zuvor dazu aufgefordert, im Alltag selbstbewusst eigene Wünsche und Forderungen einzubringen. Felicia und Hanna-Marie aus Friesland fanden es "echt gut", dass sie so von der Kanzlerin angesprochen wurden. Benedikt aus Lichterfels gefiel, dass Merkel auch die ländlichen Regionen am Herzen lägen. Die Kanzlerin hat ein Wochenendhaus in der Uckermark, wo sie auch aufgewachsen ist. Offensichtlich berichtete sie von dort, dass die Freiwillige Feuerwehr keine Fahrer für das Feuerwehr-Auto mehr finde. Früher hätten viele ihren LKW-Führerschein während ihrer Bundeswehr-Zeit gemacht. Nach dem Aussetzen der Wehrpflicht habe sich das nun geändert.