Ägyptens Wirtschaft
12. Juli 2013Wahid Mardenly ist seit vielen Jahren Unternehmer. In einem Kairoer Vorort betreibt er eine Textilfabrik, in der momentan 500 Arbeiter für bekannte Modefirmen wie C&A, Zara oder Marks & Spencer nähen. Eigentlich ist die Fabrik für 3000 Arbeiter ausgelegt, doch die Geschäfte sind im Moment schwierig. Erst vor Kurzem hat er einen Auftrag an einen ausländischen Konkurrenten verloren: "Das Problem ist, unsere Partner haben Angst, uns Bestellungen zu geben. Unsere Geschäfte machen wir mit großen Firmen im Ausland. Und die haben kein Vertrauen mehr in das Land. Denn die investieren auch, indem sie uns das Material, den Stoff, schicken."
Mardenlys Arbeiter bekommen Stoffe, Knöpfe und anderes Material von den Auftraggebern zollfrei in die Freihandelszone geliefert. Dort nähen sie die einzelnen Stücke zusammen und schicken die fertigen Produkte nach Europa und in die USA. Doch seine Arbeiter seien seit der Revolution politisiert und würden mehr Geld verlangen. Besonders macht ihm die problematische Sicherheitssituation zu schaffen. Seine Arbeiter, meist junge Frauen, werden mit dem Bus zur Arbeit gebracht. Doch deren Eltern sorgen sich: "Die lassen sie nicht gehen. Sie haben Angst, dass der Bus überfallen werden könnte. Zwei bis dreimal ist das bereits geschehen. Kriminelle haben den Bus gestoppt und Geld gefordert."
Sicherheitssituation und Stromausfälle behindern die Produktion
Unter Mubarak war der brutale Sicherheitsapparat stets präsent. Doch nach dessen Sturz war die Polizei von den Straßen verschwunden. Ehemalige Regimemitglieder versuchten so, Chaos auf den Straßen zu erzeugen. Viele hohe Polizeioffiziere machen auch keinen Hehl daraus, dass sie die nun herrschenden Muslimbrüder nicht unterstützen wollen. Aber es seien nicht nur Sicherheitsbedenken, die Eltern zögern lasse, meint Mardenly: "Die Islamisten gehen manchmal zu den Eltern der Mädchen und sagen ihnen, dass sie nicht zur Arbeit gehen sollen, weil das gegen die Religion sei. Eine Frau solle zu Hause bleiben, soll Mutter sein."
Noch gravierendere Probleme verursachten die regelmäßigen Stromausfälle. An vielen Tagen gebe es bis zu vier Stunden lang keinen Strom. An Produktion sei somit nicht zu denken. Die Folge: Unternehmer Mardenly konnte seine Liefertermine nicht einhalten. Einige betroffene Auftraggeber beschlossen daraufhin, in Zukunft in Bangladesch oder Marokko nähen zu lassen.
Preissteigerungen durch schwache Währung gefährden Stabilität des Landes
Durch diese Entwicklung verliert Ägypten nicht nur dringend nötige Arbeitsplätze, sondern auch wertvolle Deviseneinnahmen. Mardenlys Kunden bezahlen nämlich in US-Dollar und Euro. Und die bräuchte die ägyptische Zentralbank gerade jetzt dringend, um die Lebensmittel- und Treibstoffimporte und auch die Zinsen für Auslandsschulden bezahlen zu können. Die Angst, dass Ägypten diese Belastungen nicht mehr schultern könnte, hat das Ägyptische Pfund auf Talfahrt geschickt. Importe sind dadurch teurer geworden. Das belastet nicht nur ägyptische Produktionsfirmen, sondern führt auch dazu, dass in Ägypten die Preise steigen, erläutert Mardenly: "Das Risiko entsteht, wenn in ägyptischen Pfund kalkuliert wird. Die Ware wird dann jeden Tag teurer, weil ägyptische Textilfabriken etwa 80 Prozent der Rohprodukte importieren. Und die müssen in Dollar bezahlt werden."
In diesen Preissteigerungen sieht der Unternehmer eine tickende Zeitbombe. Denn etwa 40 Prozent der Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze von zwei US-Dollar am Tag. Diese Menschen können Preiserhöhungen kaum verkraften. Bisher sind sie durch gewaltige Subventionen vor allem auf Brot und Gas von den Preissteigerungen geschützt. Doch der Staat muss diese subventionierten Güter zum normalen Preis in Dollar oder Euro aus dem Ausland einkaufen.
Der Wertverlust der ägyptischen Währung hat nun dazu geführt, dass die dazu nötigen Devisenreserven auf ein gefährlich niedriges Niveau gesunken sind. Eine Verringerung dieser Subventionen und damit Preiserhöhungen scheinen daher unausweichlich. Um Aufstände zu vermeiden, plant die Regierung zwar, eine Art Couponsystem für die Ärmsten einzuführen. Doch es gibt auch genügend "Reichere", die von solchen Preiserhöhungen schwer getroffen werden würden. Die Mitte 60-jährige Naima ist eine von ihnen. Als Putzfrau verdient sie etwa neun Euro pro Arbeitstag: "Ich bin die einzige, die im Haushalt Geld verdient. Ich putze an drei bis vier Tagen pro Woche. Dazu kommen noch knapp 25 Euro Witwenrente vom Staat." Damit verdient Naima im Idealfall etwa 170 Euro im Monat. Davon muss sie sich, zwei arbeitslose Söhne und eine Tochter ernähren, die ebenfalls bei ihr wohnen. Damit gilt Naima jedoch noch nicht als arm. Preiserhöhungen würden sie dennoch hart treffen.
Die derzeitige ägyptische Wirtschafts- und Währungskrise birgt damit enorme Sprengkraft: Sollte keine sozialverträgliche Lösung gefunden werden, sind Unruhen wie 1977 programmiert. Damals wurde der Präsident von der Straße gezwungen, die Subventionskürzungen zurückzunehmen.