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Verletzt, aber nicht geschlagen

Nils Naumann15. August 2013

Hunderte Muslimbrüder starben bei der Räumung ihrer Protestcamps. Doch die Bewegung will nicht ruhen, bis der "Militärputsch" gegen den gewählten Präsidenten Mursi der Vergangenheit angehört, erklärte ein Sprecher.

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Protestierende Mursi Anhänger, zwei Tage vor der Räumung des Protestcamps (Foto: imago/Xinhua)
Bild: imago/Xinhua

Die Muslimbrüder geben sich im Machtkampf mit dem Militär nicht geschlagen. In Kairo stürmten am Donnerstag (15.08.2013) Hunderte Mursi-Anhänger ein Regierungsgebäude. Auch in Alexandria, im Norden des Landes, gingen Islamisten auf die Straße. "Wir werden weitermachen", schrieb Gehad el-Haddad, Sprecher der Muslimbrüder, auf seinem Twitter-Account. "Und zwar gewaltfrei und friedlich."

Auch die ägyptische Übergangsregierung gibt sich unversöhnlich. Sie verteidigte ihre Entscheidung, die Protestlager aufzulösen. "Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass die Dinge einen Punkt erreicht haben, den kein sich selbst achtender Staat akzeptieren darf", sagte Ministerpräsident Hasem al-Beblaui in einer Fernsehansprache.

Sonderrechte für die Armee

Nach der Räumung der Protestcamps am Mittwoch hatte die Regierung einen einmonatigen Ausnahmezustand und eine nächtliche Ausgangssperre verhängt. Der Ausnahmezustand räumt den Sicherheitskräften Sonderrechte beim Vorgehen gegen Proteste und Versammlungen ein.

Ein Mann neben Todesopfern aus Protesten der Muslimbruderschaft in der El Eyman Moschee in Kairo (Foto: REUTERS/Amr Abdallah Dalsh)
Opfer der AusschreitungenBild: Reuters

Durch den Ausnahmezustand werden auch die Befugnisse der Armee deutlich erweitert. Es war das Militär, das den gewählten Präsidenten Mohammed Mursi Anfang Juli nach Massenprotesten absetzte, und damit die aktuelle Krise auslöste. Seitdem wird Mursi an einem unbekannten Ort festgehalten.

Viele weitere Anführer der Muslimbrüder wurden verhaftet. Hunderte starben bei Auseinandersetzungen mit der Polizei. Amnesty International spricht von "exzessiver Gewalt" der Sicherheitskräfte im Umgang mit den Muslimbrüdern.

Mangelnde Dialogbereitschaft

Westliche Politiker hatten in den vergangenen Wochen immer wieder einen Dialog zwischen Militär, Übergangsregierung und Muslimbrüdern gefordert. Doch ihre Appelle blieben vergeblich. "Die Konfliktparteien hatten extreme Forderungen", sagt Nagwan El Ashwal. Sie ist Vorsitzende des Arabischen Zentrums für Konfliktbewältigung und Demokratisierung in Kairo. Die Muslimbrüder forderten als Bedingung die Freilassung Mursis, das Militär und die Übergangsregierung lehnten das aber ab.

Symbol der Proteste: ein Mursi-Plakat im geräumten Camp der Muslimbrüder (AP Photo/Amr Nabil)
Symbol der Proteste: ein Mursi-Plakat im geräumten Camp der MuslimbrüderBild: picture-alliance/AP Photo

Ashwal glaubt nicht, dass das ägyptische Militär jemals einen ernsthaften Dialog mit den Muslimbrüdern führen wollte. "Das Militär hat entschieden, sich der Muslimbrüder zu entledigen. Aber das dürfte sehr schwer werden." Die Muslimbrüder seien sehr gut organisiert und hätten noch immer viele Anhänger. "Das Militär hat zwar auch die Unterstützung vieler Menschen", sagt Ashwal. "Ich rechne aber trotzdem nicht damit, dass sie die Muslimbrüder beseitigen können. Auch nicht mit Gewalt."

Die Muslimbrüder und die Gewalt

Die Muslimbrüder, glaubt die Politikwissenschaftlerin, würden ihre Proteste fortsetzen und möglicherweise erneut Plätze in Kairo und anderen Städten besetzen. Die Organisation könnte sogar von dem gewaltsamen Vorgehen der Sicherheitskräfte profitieren: "Die Zahl der Opfer war sehr hoch. Deswegen können sie viele Unterstützer mobilisieren."

Während die Muslimbrüder immer wieder den friedlichen Charakter ihrer Proteste betonen, werden sie von den ägyptischen Behörden als gewaltbereite Staatsfeinde dargestellt. Fernsehbilder zeigen bewaffnete Demonstranten und angebliche Waffen- und Munitionsfunde aus den Protestcamps. Auch für die Angriffe auf koptische Kirchen in mehreren Städten Ägyptens machen die Staatsmedien die Muslimbrüder verantwortlich.

Nagwan El Ashwal bezweifelt, dass die Muslimbrüder ihre Ziele mit Gewalt verfolgen: "Die Muslimbrüder wollen, dass sich die Menschen mit ihnen solidarisieren. Und das funktioniert wesentlich besser, wenn sie der Welt zeigen, dass sie friedlich demonstrieren und trotzdem von der Polizei erschossen werden." Natürlich könne es Demonstranten geben, die sich bewaffnen, das seien aber bisher Einzelfälle.

Ashwal hält es auch für unwahrscheinlich, dass die Islamisten hinter der Serie von Angriffen auf Kirchen stecken. "Das wäre dumm. Die Muslimbrüder wissen doch, dass man, wenn eine Kirche attackiert wird, sofort auf sie zeigt". Möglicherweise stecke der Geheimdienst hinter den Überfällen, um so das harte Vorgehen gegen die Muslimbrüder zu rechtfertigen. Tatsächlich hatte es in der Vergangenheit mehrfach Angriffe auf christliche Einrichtungen gegeben, die von der Staatssicherheit in Auftrag gegeben worden waren.

Verkohlte Überreste: Am Tag nach der Räumung (AP Photo/Amr Nabil)
Verkohlte Überreste: Am Tag nach der RäumungBild: picture-alliance/AP Photo

Gefahr der Radikalisierung

Eine Erklärung für die Gewalt könnte allerdings sein, dass radikalisierte Teile der Muslimbrüder ohne Wissen der Führung vorgehen. Die Verhaftungswelle der Sicherheitsbehörden, sagt Gehad el-Haddad, Sprecher der Organisation, habe der Bruderschaft und ihren Verbündeten "einen schweren Schlag" versetzt. Die zentrale Koordination funktioniere nicht mehr. Die Wut der Menschen sei "außer Kontrolle".

Haytham Abu Khalil war einer der Führer der Jugendorganisation der Muslimbrüder. Der Nachwuchs, so Khalil, sei nach der Gewalt bei der Räumung der Protestcamps wütend, verwirrt und verunsichert. "Ich kann nicht ausschließen, dass einige wütende Mitglieder unabhängige bewaffnete Gruppen ohne Kontakt zu unserer Führung bilden." Auch eine Abwanderung zu bewaffneten salafistischen Gruppen wäre möglich.

Eine Entspannung der Lage in Ägypten ist vorerst nicht in Sicht. "Die verhafteten Anführer der Muslimbrüder müssten freigelassen werden", sagt die Politikwissenschaftlerin Nagwan El Ashwal. "Das wäre ein Zeichen für einen Dialog." Doch danach, so Ashwal, sieht es im Moment nicht aus: "Militär, Polizei und Übergangsregierung werden weiter mit Gewalt gegen die Muslimbrüder vorgehen".