Zähmung des Brüsseler Papiertigers
25. September 2005Die einheitliche Verpackung von Kaffee und die Harmonisierung von Sonntagsfahrverboten: das sind nur zwei der knapp 70 Gesetzesvorhaben, derer sich die EU-Kommission so schnell wie möglich entledigen will. Der Industriekommissar Günter Verheugen hatte bereits im März 2005 diese Entrümpelungsaktion angekündigt. Die schwarze Liste für Gesetzesvorhaben, über die am 27. September weiter beraten wird, ist aber nur ein Schritt auf dem Weg hin zu weniger Bürokratie.
Durchbruch nach fünf Jahren
"Wir wissen ja, dass die Bürger Europas Brüssel als eine Art bürokratisches Monster empfinden", erklärte Verheugen den Grundgedanken hinter der gesamten Aktion. Dem bürokratischen Monster will der Industriekommissar daher als eine Art moderner Drachentöter zu Leibe rücken. "Nach fünf Jahren soll man sagen können: das ist die Kommission, die es wirklich geschafft hat", sagte Verheugen.
Auf der Liste, mit der sich die EU-Kommission Ende September beschäftigt, finden sich momentan rund 70 überflüssige Gesetze, darunter auch die "Richtlinie zur Harmonisierung der Vorschriften über die Beschränkung des grenzüberschreitenden Güterverkehrs". Die EU wollte damit die Sonntagsfahrverbote für LKW abschaffen.
Der SPD-Abgeordnete Willi Piecyk konnte sich mit dieser Idee jedoch nie so ganz anfreunden: "Wir haben die Richtlinie von Anfang an für absolut überflüssig gehalten." Sie sei letztlich im Ergebnis nicht mehr als eine Zustandsbeschreibung, weil sie einen Zustand regle, den es bereits gibt. "Für Deutschland als eines des zentralen Durchgangsländer ist sie daher nur ein überflüssiges Ding, ein schädliches Ding", sagt Piecyk. Wenn das nun vom Tisch sei, umso besser.
Tauziehen um das Sonntagsfahrverbot
Der Politiker ist das Thema leid, zumal er schon seit Jahren im Verkehrsausschuss des Europäischen Parlaments mit der Richtlinie ringt. Die Kommission, der Ministerrat als erste Gesetzgebungskammer und das Europaparlament kämpfen seit 1998 bei den Fahrverboten - mal miteinander, mal gegeneinander. Wer die Richtlinie eigentlich erfunden hat, und vor allem warum, liege im Dunkeln, so Piecyk.
"Manchmal gibt es über Ecken Bedürfnisse von Interessengruppen, die so etwas wollen", sagt der SPD-Politiker. Die Verkehrrichtlinie sei zwar damals als Vorschlag der Kommission ins Spiel gekommen, welche Lobbyinteressen dahinter stehen, könne er aber nicht sagen. "Der Grundgedanke war wahrscheinlich Harmonisierung, ohne zu bedenken, dass man da in sehr viele Fettnäpfchen tritt", vermutet Piecyk.
Da liegt der Verdacht nahe, dass die Bürokratie sich selbst ständig reproduziert. "Natürlich gibt es da auch wissenschaftliche Prinzipien, nach denen sich große Organisationen plötzlich etwas ausdenken, weil sie nichts zu tun haben", sagt Piecyk dazu. In diesem Sinne halte er auch die Dienstleistungsrichtlinie für eine etwas schräge Ausgeburt von Beamten, die versuchten, jedes Detail für irgendwas zu regeln.
Gleiche Spielregeln für alle?
Trotzdem glaubt der EU-Abgeordnete nicht, dass Brüssel ein bürokratisches Monster sei, sondern in den Bereichen Binnenmarkt, Verbraucher- und Umweltschutz viel Sinnvolles regele. "Es müssen schon gleiche Spielregeln sein. Von daher ist der Gedanke, etwas zu regeln, ja nicht schlecht", räumt der SPD-Politiker ein. Allerdings komme man da irgendwann an seine Grenzen.
Auch Verheugen, der selbsternannte Drachentöter und Entrümpelungskommissar, hat erkannt, dass sich die EU-Beamten zuerst an die eigene Nase fassen müssen. "Das Unternehmen, das ein Formblatt von zwei Seiten ausfüllen muss, um sich an einer europäischen Maßnahme zu beteiligen, braucht ein Handbuch von 200 Seiten, um dieses Formblatt korrekt zu bearbeiten", nennt der Industriekommissar ein Beispiel. Das sei für einen Politiker völlig unverständlich und zeige, dass man sehr genau den von politischer Seite selbst verursachten Aufwand prüfen müsse.
Der Widerstand der betroffenen Kommissare, ausgerechnet Richtlinien aus ihrem Bereich über Bord zu werfen, ist derweil groß. Rund 900 Gesetzesvorhaben liegen der EU zurzeit vor. Nicht einmal zehn Prozent davon sollen nun sterben. "Zu wenig", klagen bereits Industrie- und Gewerkschaftsvertreter in Brüssel.
Bürgerbeteiligung erwünscht
Der neue Anlauf zum Bürokratieabbau ist zudem beileibe nicht der erste. Schon in den vergangenen Jahren gab es immer wieder Versuche, das bürokratische Monster, das aus 80.000 Seiten Gesetzestexten besteht, in engere Schranken zu verweisen. EU-Bürger dürfen dabei gerne mithelfen. Sie haben die Möglichkeit per Internet Vorschläge zu machen, wobei ihre Vertreter in Brüssel künftig doch lieber von einer Regulierung absehen sollten.