Zwischenbilanz im Milosevic-Prozess
19. Februar 2004Er sitzt immer noch in einem seiner meist blauen Anzüge da, etwas ergraut mittlerweile, oft auf eine Hand aufgestützt, mit leicht desinteressiertem Blick, der abwechselnd in Richtung der Anklage, des gerade vernommenen Zeugen oder der vorsitzenden Richter schweift. Es ist der Blick eines trotzigen 61-Jährigen, der nichts mehr zu verlieren hat. Seit dem 12. Februar 2002 wird dem ehemaligen Präsidenten Serbiens und Jugoslawiens, Slobodan Milosevic, vor dem Kriegsverbrecher-Tribunal in Den Haag der Prozess gemacht. Die mehrmals modifizierte Anklage lautet auf Völkermord in Bosnien-Herzegowina und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Kroatien und im Kosovo. Es geht um Zehntausende Ermordete und Hunderttausende Vertriebene aus den Kriegen, die während der 1990er-Jahre auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens gewütet haben.
Kritik an der Chefanklägerin
Chefanklägerin Carla del Ponte wies bereits in ihrer Eröffnungsrede vor zwei Jahren auf die Bedeutung hin: "Dieser Prozess wird Geschichte machen, und wir werden gut daran tun, unsere Aufgabe im Sinne der Geschichte zu bewältigen." Doch Del Ponte ist im Verlaufe des Prozesses zunehmend in die Kritik geraten: Sie sei zu eigenwillig und selbstständig, die Richter hätten keine Möglichkeit, auf den Prozess Einfluss zu nehmen.
Der Utrechter Völkerrechtler Gören Sluiter will jedoch nicht alles auf die Schweizer Anklägerin schieben. In einem Interview mit der Deutschen Welle sagt Sluiter, auch die Richter hätten ihre Möglichkeiten nicht genutzt: "Sie hätten den Anklägern sagen können: 'Das ist der Zeitplan, Sie müssen sich daran halten, egal wie.' Das haben die Richter zwar in gewissem Maße getan. Aber der Anklage zwei Jahre für die Beweisführung zu geben, ist extrem lang." Am Donnerstag (19.2.2004) schließt die Anklage die Beweisführung ab, danach folgen drei Monate Pause. In dieser Zeit kann die Verteidigung ihre Strategie vorbereiten und ihre Zeugenliste vorlegen.
Gericht als politische Bühne
Die Verteidigung - das ist Milosevic selbst. Zwar stehen dem gelernten Juristen sowohl einige freiwillige Helfer in Belgrad als auch drei vom Richterrat ernannte Rechtshelfer zur Seite. Doch Milosevic besteht weiterhin darauf, sich selber zu verteidigen. Denn obwohl er der Einrichtung des Tribunals im Daytoner Friedensabkommen zugestimmt hat, hält er es nach wie vor für nicht legitim. Und so nutzt Milosevic das Gericht bisher ausschließlich als politische Bühne, um mit seinen Erzfeinden abzurechnen. Neben USA, NATO und EU sind das auch die Reformpolitiker in Serbien, die ihn 2001 nach Den Haag auslieferten.
Wenn nun die Beweisführung der Anklage beendet ist, kann die Verteidigung eine Prüfung der Anklage beantragen. Dabei können die drei Richter einzelne Punkte, für die keine ausreichenden Beweise vorliegen, schon jetzt abschmettern. Es ist zu erwarten, dass Milosevics Rechtshelfer diesen Antrag stellen werden. Dabei wackelt am meisten die Völkermord-Anklage, das hat auch schon Chefanklägerin Del Ponte zugegeben. Niemand konnte bisher vor dem Gericht bezeugen, dass Milosevic tatsächlich selbst den Mord an mehr als 7000 bosnischen Muslimen in der Stadt Srebrenica 1995 angeordnet hat.
Belastende Zeugen
Was die Kriegsverbrechen in Kroatien und Bosnien betrifft, baut die Anklage auf der Existenz einer "kriminellen Organisation" mit dem Ziel der Bildung eines Großserbien, das sich auch auf Teile Kroatiens und Bosniens erstreckt. Aber auch hier habe Del Ponte das Problem, dass es kaum verwertbare schriftliche Beweise gebe, meint Völkerrechtler Sluiter. Zudem bringe die mangelnde Kooperationsbereitschaft der Zeugen die Anklage in Nöte.
Einige von ihnen haben Milosevic dann aber doch schwer belastet, so die ehemaligen NATO-Generäle Wesley Clark und Klaus Naumann. Deshalb ist Sluiter optimistisch: Vor allem bei der Kosovo-Anklage habe man unter anderem durch die Aussagen der Generäle, aber auch aus Armee- und Polizeiarchiven in Belgrad genug Beweise gesammelt, um Milosevic zu einer langjährigen Freiheitsstrafe zu verurteilen. Nun aber ist erst einmal Milosevic mit seiner Verteidigung am Zug. Er wird sicher ähnlich viel Zeit in Anspruch nehmen und Zeugen einladen wie seine Widersacherin Del Ponte.
Tribunal macht Geschichte
Das heißt, mit weiteren 300 Arbeitstagen - sprich: weiteren zwei Jahren - ist zu rechnen. Dann kommt das Urteil in erster Instanz, danach die zu erwartende Revision. Das Verfahren, so schätzen Experten, werde mindestens bis Ende 2006 dauern. Für Sluiter ist aber schon jetzt klar: "Man sollte die Bedeutung des Milosevic-Prozesses nicht überschätzen. Er kommt zu einem Zeitpunkt, wo das Tribunal schon einige Jahre funktioniert hat. Was die Fakten oder die Frage der Verantwortung betrifft, so glaube ich, dass die Grundarbeit getan ist. Sogar ohne den Milosevic-Prozess ist das Tribunal von herausragender Bedeutung für die Geschichte des Balkan."