Zwischen Moskau und EU
8. Januar 2013Das Assoziierungsabkommen zwischen der Ukraine und der Europäischen Union, das auch eine Freihandelszone vorsieht, liegt immer noch auf Eis. Die EU kritisiert demokratische Defizite in der Ukraine und verlangt die Freilassung politischer Häftlinge, darunter die der Ex-Ministerpräsidentin Julia Timoschenko. Moskau nutzt den Stillstand zwischen Kiew und Brüssel, die Ukraine zum Beitritt zur Zollunion mit Russland, Belarus und Kasachstan zu ermuntern. In den vergangenen Wochen wurden darüber intensive Gespräche zwischen den Büros der Präsidenten Viktor Janukowitsch und Wladimir Putin geführt.
Es war erwartet worden, dass der ukrainische Präsident während eines Besuchs in Moskau am 18. Dezember 2012 eine Reihe von Dokumenten unterzeichnet. Allerdings wurde wenige Stunden vor dem Abflug Janukowitschs der Besuch abgesagt. Beide Regierungen erklärten daraufhin, das Treffen sei auf unbestimmte Zeit verschoben. Es sei notwendig, "auf Expertenebene weiter an den Dokumenten zu arbeiten". Welche Dokumente genau unterzeichnet werden sollten, wurde der Öffentlichkeit nicht mitgeteilt.
Hoffnung auf Preisrabatt für Gas
Der russische Wirtschaftsexperte Michail Deljagin schloss in einem Interview mit der DW nicht aus, dass sich die Ukraine im Jahr 2013 der Zollunion anschließen wird. Im Rahmen der Zollunion könne die Ukraine einen "Integrationsrabatt auf Energieträger" beanspruchen. Das Land müsste dann weniger für Gasimporte bezahlen. Für die Ukraine, die auf Energielieferungen aus Russland angewiesen ist, sei das "eine Frage von Leben und Tod im nächsten Winter", sagte der russische Experte.
Er meint, eine Mitgliedschaft in der Zollunion wäre sowohl für die Ukraine als auch für die Länder von Vorteil, die bereits dieser Wirtschaftsunion angehören, also für Russland, Belarus und Kasachstan. "Russland gibt das die Möglichkeit, viele gemeinsame Projekte umzusetzen, vor allem im Maschinenbau. Zusammen mit der Ukraine könnte Russland eine Menge Geld verdienen", so Deljagin.
Auch der ukrainische Regierungschef Mykola Asarow verweist auf die Vorteile einer engeren Zusammenarbeit mit Moskau. Hauptargument ist die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit vieler ukrainischer Waren auf dem europäischen Markt. "Was liefern wir in die Länder der Zollunion? Das ist das, was wir auf anderen Märkten nicht verkaufen können. Das sind Produkte des Maschinenbaus, unsere Röhren und so weiter", sagte Asarow in einem Interview für mehrere ukrainische Fernsehkanäle.
Vorteile der EU-Annäherung
Präsident Janukowitsch hat bislang nicht eindeutig Stellung bezogen. Der Kiewer Ökonom Ihor Burakovsky hofft deshalb, dass er die "für die Ukraine einzig vorteilhafte Entscheidung" trifft: eine Freihandelszone mit der EU zu schaffen. "Ein Beitritt zur Zollunion im Tausch gegen billigeres Gas wäre eine kurzsichtige Entscheidung. Damit würde die Staatsmacht ihre Unfähigkeit demonstrieren, Wirtschaftsreformen durchzuführen, neue Märkte zu erschließen und die geltenden Regelungen im Land zu ändern, damit es für ukrainische und ausländische Geschäftsleute interessanter wird", so Burakovsky.
Dem Experten zufolge würde die im Assoziierungsabkommen vorgesehene Anpassung des ukrainischen Wirtschaftssystems an EU-Vorschriften das Investitionsklima im Land wesentlich verbessern. Eine Vertiefung der Zusammenarbeit mit den Ländern der Zollunion sei trotzdem möglich, auch ohne Beitritt, glaubt Burakovsky.
Ein weiteres Jahr Stillstand?
Doch viele Beobachter gehen davon aus, dass sich im Jahr 2013 in dem Dreieck "Ukraine-Russland-EU" keine wichtigen Veränderungen ergeben werden. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Ukraine der Zollunion beitritt", sagte Sascha Tamm von der Friedrich-Naumann-Stiftung der DW. "Die Interessen der ukrainischen Oligarchen sprechen mehrheitlich dagegen." Reichen Geschäftsleuten in der Ukraine würde die Zollunion kaum Vorteile bringen, außer dem niedrigeren Gaspreis. Auch der deutsche Experte erwartet, dass die ukrainische Staatsmacht weiterhin zwischen Russland und der EU taktieren und balancieren wird. Tamm war bis vor kurzem Leiter des Moskauer Büros der FDP-nahen Stiftung.
Auch der schwedische Wirtschaftsexperte Anders Aslund, Mitglied im Vorstand der privaten Kiewer Wirtschaftshochschule Kyiv School of Economics, verweist auf die Interessen der ukrainischen Geschäftswelt. Die Oligarchen hofften auf neue Absatzmärkte in Europa. Putins Erklärungen, wonach er sich den Beitritt der Ukraine zur Zollunion wünscht, zielten in erster Linie auf die russischen Wähler ab. Diese würden Reintegrationsprojekte im postsowjetischen Raum unterstützten, so Aslund. Profitabel sei die Zollunion für Moskau aber nicht.
Droht Janukowitsch Machtverlust?
"Die Ukraine wird auch im Jahr 2013 nicht aus der Sackgasse herauskommen, in die Viktor Janukowitsch das Land manövriert hat", glaubt Aslund. Janukowitsch werde auch nicht Ex-Regierungschefin Timoschenko freilassen, um die Beziehungen zur EU zu verbessern.
Der Experte rechnet mit einer Wirtschaftskrise in der Ukraine. "Das Bruttoinlandsprodukt wird sinken und es wird auch zu einer Abwertung der Landeswährung kommen." Am Ende werde Janukowitsch seine Macht verlieren, ist der schwedische Ökonom überzeugt. Aslund glaubt, dass unter Janukowitsch marktwirtschaftliche Reformen unmöglich sind. "Das ist eine sehr inkompetente und korrumpierte Regierung."