Zweite Chance für Tsipras
21. September 2015Noch vor Mitternacht tritt der Ex-Premier vor seine Anhänger in der Athener Innenstadt, um einen überraschend klaren Sieg zu feiern: Trotz leerer Staatskassen, Kapitalkontrollen und interner Turbulenzen erhält seine Syriza-Partei über 35 Prozent der Stimmen, während der größte Herausforderer, die konservative Nea Dimokratia unter dem ehemaligen Parlamentspräsidenten Evangelos Meimarakis, lediglich auf 28 Prozent kommt. Entgegen aller Umfragen schafft auch die rechtspopulistische Anel-Partei, bisheriger Koalitionspartner des Linkspolitikers, den Einzug ins Parlament. Die Folge von alledem: Gemeinsam mit den Rechtspopulisten sichert sich Syriza 155 von insgesamt 300 Sitzen im griechischen Parlament und darf bis auf Weiteres weiterregieren. Laut Medienberichten soll schon am Dienstag dieser Woche die neue Koalition in Athen vereidigt werden. Am Mittwoch soll Tsipras dann am EU-Sondergipfel zur Flüchtlingspolitik in Brüssel teilnehmen.
"Es war ein großer Sieg von Syriza und nicht zuletzt ein persönlicher Sieg von Tsipras", erläutert Politjournalist Antonis Dellatolas im TV-Sender Antenna die Lage. Erstmals seit Ausbruch der Schuldenkrise in Hellas schaffe ein Politiker seine Wiederwahl, obwohl er neue Sparauflagen mitunterzeichnet hat, gibt der Analyst zu bedenken. Das liegt anscheinend auch daran, dass die aus Syriza hervorgegangene "Volkseinheit" ihren Einzug ins Parlament verpasst hat. Zur Erinnerung: Ende August wurde die linksradikale Gruppierung von Syriza-Abweichlern mit dem Ziel gegründet, zugesagte Reformen rückgängig zu machen und Griechenland zur eigenen Währung zurückzuführen. Eine Fehlentscheidung? "Die Entscheidung war schon richtig, aber die Zeit war für uns einfach zu knapp", so Stathis Leoutsakos, einst Weggefährte von Tsipras und nun Kandidat der "Volkseinheit", im TV-Interview. Innerhalb von nur 20 Tagen nach Verkündung des Wahltermins sei es für seine Partei nicht möglich gewesen, die Menschen ausreichend zu informieren, klagt der Linkspolitiker. Dennoch gehe der "Kampf" weiter.
Ernüchterung bei den Konservativen
Die konservative Oppositionspartei Nea Dimokratia (ND) sieht die Entwicklung mit einem lachenden und einem weinenden Auge: Zwar konnte Oppositionschef Evangelos Meimarakis innerhalb von sechs Wochen einen Umfragen-Rückstand von zwanzig Punkten erheblich verringern und dadurch einen Achtungserfolg erzielen, doch letzten Endes war Gegner Tsipras schlichtweg eine Nummer zu groß für den 62-Jährigen.
In einer ersten Stellungnahme nach Verkündung der Wahlergebnisse mahnte Meimarakis, er habe zwar für das Abkommen mit den Kreditgebern, nicht jedoch für einzelne Sparauflagen gestimmt - eine klare Andeutung, dass seine Partei in Zukunft keinen Blankoscheck für Reformen erteilt, sondern im Einzelfall entscheidet, welche Sparmaßnahmen sie mitträgt. Nach den Worten von ND-Politiker Georgios Koumoutsakos ist es nun an der Zeit, die konservative Partei in Griechenland zu "erneuern". Dafür seien nicht nur frische Gesichter, sondern vor allem neue politische Inhalte erforderlich. "Unsere Partei muss attraktiver werden", mahnt Koumoutsakos im TV-Interview.
Für Verblüffung sorgt das gute Abschneiden der rechtsradikalen "Goldenen Morgenröte", die auch bei dieser Parlamentswahl drittstärkste Kraft wird - ein verblüffendes Ergebnis, wenn man bedenkt, dass gegen die gesamte Führungsriege der Rechtsradikalen ein Strafverfahren wegen "Bildung einer kriminellen Organisation" läuft und neulich Parteichef Nikos Michaloliakos unverblümt die "politische Verantwortung" für den Mord am Linksaktivisten und Musiker Nikos Fyssas im September 2013 übernommen hat. Am Sonntagabend erklärte Michaloliakos, seine Partei werde weiterhin "gegen illegale Einwanderung kämpfen". Die Rechtsradikalen wollen sogar den Oppositionschef in Athen stellen, sollten sich Linkspolitiker Tsipras und Konservativen-Chef Meimarakis notgedrungen auf eine Große Koalition einlassen - was derzeit allerdings als unwahrscheinlich gilt.
Wahlabstinenz (fast) ohnegleichen
Die Parteienlandschaft in Griechenland ist zersplittert wie nie zuvor nach Wiederherstellung der Demokratie im Jahr 1974, da insgesamt acht Parteien den Sprung ins Parlament geschafft haben. Überraschender Neuzugang: Die Zentrumsunion von Vassilis Leventis, der seit Jahrzehnten eine Kultfigur des griechischen Trash-Fernsehens ist und im Wahlkampf die Abschaffung aller Politikerprivilegien gefordert hat.
Insgesamt waren zehn Millionen Griechen aufgerufen, ein neues Parlament zu wählen. Doch die Wahlbeteiligung lag bei erschreckend niedrigen 56 Prozent, obwohl in Hellas Wahlpflicht herrscht. Nur bei der Europawahl 2009 war die Abstinenz noch höher: Damals war fast die Hälfte der Griechen den Wahlurnen ferngeblieben.